Wolken ziehen über die EZB in Frankfurt am Main hinweg.
analyse

EZB-Ratssitzung Ist der Zinsgipfel erreicht?

Stand: 25.10.2023 17:49 Uhr

Auf ihrer Sitzung in Athen beraten Europas Währungshüter über die weitere Entwicklung der Leitzinsen. Die Inflation geht zurück, hält sich in vielen Bereich aber hartnäckig. Was heißt das für die Geldpolitik?

Das Wasser ist azurblau, im Hafen schaukeln Fischerboote und Segelyachten. Die weiß-getünchten Häuser ziehen sich den Hang hoch, und über allem thront eine venezianische Festung. Die griechische Insel Astypalea in der Nähe von Rhodos hat alles, was das Urlauberherz begehrt. Doch das kleine Eiland in der Ägäis lebt nicht in erster Linie vom Tourismus, sondern von der "grünen" Transformation. Astypalea ist ein Eldorado der E-Mobilität und Zukunftslabor zugleich: die ganze Insel ist vollständig elektrifiziert, hier fahren nur noch Elektroautos. Der ÖPNV ist effizient und nachhaltig, "grüne" und "smarte" Technologien sind gang und gäbe.

"Mehrheit plädiert erstmal eine Zinspause einzulegen", Klaus-Rainer Jackisch, HR, zzt. Athen, zu EZB-Tagung

tagesschau24, 26.10.2023 10:00 Uhr

Astypalea steht nicht nur für die Zukunft, sondern auch für das neue Wirtschaftswunder Griechenlands. Vor wenigen Jahren noch stand das südeuropäische Land vor dem Bankrott, konnte sich vor Staatsschulden kaum retten - ihm drohte, aus der Eurozone scheiden zu müssen. Das Blatt hat sich völlig gewendet: Seit einigen Jahren boomt die griechische Wirtschaft. Angetrieben von Reformen, Tourismus und Innovationen erwartet die EZB in diesem Jahr für das Land ein Wirtschaftswachstum von 2,2 Prozent - doppelt so hoch wie im Euroraum.

Griechenlands Wirtschaft wächst

Notenbank-Präsident Yannis Stournaras verweist im "Handelsblatt"-Interview mit Stolz darauf, dass die griechische Wirtschaft stärker wächst als die deutsche, die weiter in die Rezession rutscht. Umso mehr dürfte sich der ehemalige Finanzminister darüber freuen, seine Kolleginnen und Kollegen des EZB-Rates diese Woche in Athen zu empfangen. Im neo-klassizistischen Gebäude der griechischen Nationalbank findet die jährliche Auslandssitzung der EZB statt.

Doch so erfreulich der Erfolg des Landes auch sein mag, auf der Tagesordnung der Währungshüter dürfte er keinen großen Platz finden. Denn hier dominiert weiterhin die Inflation das Geschehen. Nachdem die Teuerungsrate auch im September deutlich auf 4,3 Prozent gefallen ist, ist die Diskussion um den weiteren Kurs der Notenbank voll entbrannt. Zwar ist die Inflation immer noch mehr als doppelt so hoch wie gewünscht und hält sich in vielen Bereichen sehr hartnäckig, insbesondere bei Lebensmitteln. Doch die Mehrheit des EZB-Rates sieht derzeit keinen weiteren Handlungsbedarf und plädiert für eine Pause im Zins-Zyklus.

Ökonomen erwarten Zinspause

Nach zehn Zinsanhebungen innerhalb kürzester Zeit erwarten alle 85 von der Nachrichtenagentur Reuters befragten Volkswirte, dass die EZB in dieser Woche die Zinsen nicht weiter anhebt. Die meisten glauben auch, der Höhepunkt der Zinskurve sei erreicht. Der Leitzins liegt derzeit bei 4,5 Prozent. Viele glauben, dass die Zinsen im Laufe des kommenden Jahres wieder sinken.

Das sieht auch Gastgeber Yannis Stournaras so. Allerdings hat Griechenland die Inflation auch gut im Griff: hier liegt die Rate nur noch bei 2,4 Prozent. In Portugal ist sie zwar doppelt so hoch, doch Amtskollege Mario Centeno tritt schon seit Monaten auf die Bremse. Unterstützung gibt es von EZB-Ratsmitglied Pierre Wunsch aus Belgien und selbst vom niederländischen Kollegen Klaas Knot, der sonst eher als Hardliner gilt. Den Haag verzeichnet derzeit eine Inflationsrate von minus 0,3 Prozent, was allerdings vor allem an einer geänderten Berechnung der Teuerung in den Niederlanden liegt. Die höchste Inflation in der Eurozone ist in der Slowakei mit 9,0 Prozent. Deutschland verzeichnet nach europäischer Berechnungsart 4,3 Prozent, das entspricht genau dem Durchschnitt der Eurozone.

Für Bundesbank-Präsident Joachim Nagel ist es aber noch keine ausgemachte Sache, dass der Zins-Zyklus seinen Höhepunkt erreicht hat. Die Inflation könne auch schnell wieder anziehen. Eine weitere Zins-Anhebung im Jahresverlauf, also auf der Dezember-Sitzung des EZB-Rates, will er nicht ausschließen. Auch sein Kollege Robert Holznagel aus Österreich sieht das so. Die Alpenrepublik ächzt seit Monaten unter der Teuerung, auch wenn sie mittlerweile auf 5,7 Prozent heruntergedrückt wurde. Beide sind mit ihrer Haltung aber in der Minderheit. Schon auf der vergangenen Sitzung im September gelang es ihnen zusammen mit den baltischen Notenbankchefs nur mit großer Mühe, eine Mehrheit für die zehnte Zinsanhebung zu bekommen, wie aus den jetzt veröffentlichten Protokollen hervor geht.

Vor allem Lebensmittel verteuern sich weiter

Auch die Bevölkerung, insbesondere in Deutschland, dürfte mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden sein. Vor allem im Lebensmittel-Bereich hat die "Gierflation" weiter Hochkonjunktur. Viele Unternehmen verteuern die Produkte weiter zum Teil drastisch, manche indem sie Packungsgrößen verkleinern oder mehr Luft in die Tüte blasen. Nicht jede Kostensteigerung ist gerechtfertigt, die Gier nach höheren Profiten ist vielmehr der Treiber. Etwas anders ist die Situation bei Obst und Gemüse, beides weiterhin überdurchschnittlich teuer. Schlechte Ernten sind hier häufig der Auslöser - insbesondere Äpfeln und Birnen haben Hitze und übermäßiger Regen kräftig zugesetzt. Bei Tomaten schlagen weiterhin die hohen Energiepreise zu Buche, bei tropischen Früchten wie Kiwis oder Mangos wird der Transport immer mehr zum Kostenfaktor.

"Wir wollen, dass die Inflation zurückgeht auf zwei Prozent und wir werden das erreichen", wird EZB-Präsidentin Christine Lagarde nicht müde zu versprechen, wie etwa in einem Interview mit der französischen Zeitung "La Tribune Dimanche". Doch viele Experten glauben nicht mehr daran, dass dies realisierbar ist. Denn auf die strukturellen Veränderungen der Wirtschaft hat die EZB keinen Einfluss. Dazu gehören etwa die De-Globalisierung, die den Wettbewerb reduziert und damit Kosten dauerhaft erhöht, aber auch die grüne Transformation und steigende Militärausgaben, die Milliarden verschlingen und damit die Teuerung ebenfalls dauerhaft antreiben. Auch schlagen in letzter Zeit zunehmend höhere Löhne in einigen Ländern zu Buche.

An den Finanzmärkten wird deshalb schon seit längerem darüber diskutiert, ob das Inflations-Ziel von zwei Prozent noch Sinn ergibt. Auch die jüngste Teuerungs-Prognose der EZB, nach der dieses Ziel mit Ach und Krach erst im übernächsten Jahr und auch dann nur annähernd erreicht wird, halten viele schon jetzt für Makulatur. Ein dauerhaftes Niveau von drei bis vier Prozent sei viel wahrscheinlicher. Das würde allerdings für ein Land wie Deutschland eine permanente Geldentwertung bedeuten, auch weil hier die Löhne traditionell niedrig sind.

Banken zurückhaltender bei der Kreditvergabe

Unabhängig von dieser Diskussion dürften sich zahlreiche EZB-Ratsmitglieder auch von der zunehmenden Wirtschaftsschwäche in vielen Ländern der Eurozone leiten lassen. Für die ist das derzeit relativ hohe Zinsniveau zwar nur teilweise verantwortlich. Es macht die Rahmenbedingungen aber deutlich schwieriger: So berichtet die EZB über einen kräftigen Rückgang bei Unternehmens-Darlehen, weil die Zinsen so hoch sind.

Auch die Nachfrage der Haushalte nach Immobilien- und Konsumentenkrediten sei stärker zurückgegangen als erwartet. Im gerade begonnenen Quartal wird mit einer Verschärfung der Situation gerechnet. Wenn Investitionen und Konsum aber nicht rund laufen, ist dies ein klares Zeichen für eine weitere Schwächung der Konjunktur. All das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die den Zins-Zyklus nach oben beenden wollen.

Was auch immer der EZB-Rat diese Woche in Athen entscheidet - für die 1300 Einwohner von Astypalea dürfte das wenig Auswirkungen haben. Mit der Ausrichtung ihrer Insel auf die "grüne" Zukunft dürften die Einnahmen nur so sprudeln. Inflation ist da für das Eiland leicht zu ertragen.