Kolumne Euroschau 23 Worte, die die Welt veränderten

Stand: 31.07.2013 15:08 Uhr

Vor einem Jahr beruhigte EZB-Chef Draghi die Finanzwelt: Der Euro wird gerettet, versprach er - zur Not durch den Ankauf von Staatsanleihen. Heute fühlt er sich durch die Entwicklung weitgehend bestätigt. Doch die Krise ist noch lange nicht vorbei.

Von Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Es war ein Schachzug, der genau geplant war: In London, der Höhle des Löwen, dem Anschein nach völlig beiläufig. Hier platzierte EZB-Präsident Mario Draghi genau vor einem Jahr die 23 Worte, die an den Finanzmärkten zur Wende führten. Man werde alles tun, um den Euro zu retten, sagte er. "Und glauben Sie mir, es wird ausreichen."

Am Rande des Abgrunds

In der EZB war Panik ausgebrochen. Die Spekulationen gegen den Euro hatten zu massiven Verwerfungen geführt. Die Renditen von Staatsanleihen der Krisenstaaten waren unerträglich hoch gestiegen. Drehung für Drehung schloss sich der Geldhahn. Die Staatskassen drohten auszutrocknen. Die Währungsunion war auf dem besten Weg des Zusammenbruchs.

Den Auslöser für Draghis Rede gaben schließlich die britischen Behörden. Die hatten die Kreditinstitute des Landes aufgefordert, sich auf einen Kollaps der Eurozone vorzubereiten. Für Mario Draghi war klar: Jetzt gilt's! Es muss sofort gehandelt werden.

Kein Kauf von Staatsanleihen - bisher

Die Ankündigung der EZB, Staatsanleihen unter Auflagen unbegrenzt zu kaufen, wirkte: Spekulationen gingen drastisch zurück, Zinssenkungen spülten viel Geld in die Märkte, Aktienkurse stiegen. Bislang hat die EZB ihr angekündigtes Kaufprogramm für Staatsanleihen noch nicht umgesetzt. Allein die Ankündigung reichte, um Ruhe zu schaffen. Ein Jahr nach der Rede fühlt sich Draghi deshalb bestätigt. In der EZB wird der Schachzug als genialer Erfolg gefeiert.

Regierungen nutzten die Chancen nicht

Grund zum Jubeln gibt es allerdings nicht: Die oberflächliche Betrachtung, man habe die Krise im Griff, ist völlig falsch. Die EU-Regierungen haben die gewonnene Zeit nicht genutzt, die Eurozone zu sanieren. Die Probleme gären weiter. Skeptiker wie der aus Protest zurückgetretene EZB-Volkswirt Jürgen Stark fürchten, dass die Eurokrise schon bald in neuer Form wieder ausbricht. Sorgenkind ist vor allem Frankreich, zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Sie steuert unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande auf ein finanzielles Fiasko zu.

Die entscheidende Rechtsfrage bleibt ungeklärt

Dramatisch sind auch die rechtlichen Probleme. Kritiker monieren nicht zu Unrecht, das geplante Kaufprogramm von Staatsanleihen sei durch die EU-Verträge nicht gedeckt. Staatsfinanzierung ist dort ausdrücklich verboten. Die EZB ist zwar der Auffassung, dass dieser Vorwurf nicht zutrifft. Die Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht haben aber gezeigt, dass man das auch ganz anders sehen kann.

Das Urteil steht noch aus. Einige Beobachter glauben, dass die Richter in roten Roben der EZB strenge Auflagen machen werden. Möglicherweise werden sie eine Begrenzung des Kaufprogramms fordern. Dies würde natürlich Öl ins Feuer gießen. Denn die Wirksamkeit der Ankündigung Draghis besteht ja gerade darin, dass das Programm unbegrenzt ist.

Viele Wissenschaftler unterstützen EZB Kurs...

Es sind diese Sorgen, die eine Reihe von Wissenschaftlern umtreiben. Sie wollen, dass endlich Schluss ist mit der Kritik an der EZB. In einem Aufruf werfen sie den Skeptikern vor, ihre Vorwürfe seien "substanziell falsch" und "schädlich für Europa und die Weltwirtschaft." Außergewöhnliche Maßnahmen durch die Notenbank seien in Krisenzeiten vertretbar.

Initiatoren sind unter anderen der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und langjährige EZB-Mitarbeiter Marcel Fratzscher und die ehemalige Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro. Sie steht jetzt allerdings auf der Gehaltsliste der Schweizer Großbank UBS, welche wiederum trefflich an der Politik des billigen Geldes verdient. Nach Angaben des DIW sollen bislang über 100 Wissenschaftler in Europa, darunter auch viele aus Deutschland, den Aufruf unterzeichnet haben.

.. andere verdammen ihn

Andere Wissenschaftler bestreiten den Erfolg und sehen die Initiative durch die EZB gesteuert. Der Bonner Makroökonom Jürgen von Hagen und der Geldtheoretiker Jürgen Neumann interpretieren die Kampagne als einen Versuch, die Richter des Bundesverfassungsgerichts zu beeinflussen. Auch wenn man die Wirkung von Draghis Rede nicht bezweifelt: Der Zweck könne schließlich nicht die Mittel heiligen.

So streiten die Ökonomen um den rechten Weg der EZB. Der ist eigentlich im EU-Recht genau vorgegeben. Eine Änderung des Mandats der EZB oder gar eine Reform der EU-Verträge wollen aber auch die EZB-freundlichen Wissenschaftler nicht - wohl wissend, dass ein solcher Vorstoß kaum auf Zustimmung in der deutschen Bevölkerung stoßen würde. Denn damit würde die Vergemeinschaftung von Schulden maroder Staaten betoniert.

Der Widerstand gegen Draghi wächst

Die EZB lässt den Sturm um sich herum brausen und streitet lieber intern mit sich selbst. Auch im Rat und im Direktorium gibt es immer mehr Kritik an Draghis Kurs. Bei der letzten Ratssitzung flogen sogar die Fetzen: Der Präsident wollte dort eine weitere Zinssenkung durchdrücken - und biss auf Granit. Bundesbankpräsident Jens Weidmann und mehrere seiner Kollegen aus nordeuropäischen Staaten ließen den hoch verärgerten Draghi abblitzen.