Euroschau zur Corona-Krise EZB erwartet Wirtschafts-Schock

Stand: 12.03.2020 02:53 Uhr

Das Coronavirus wird zur größten Herausforderung für die Europäische Zentralbank seit der Finanzkrise. Doch die Währungshüter haben ihr Pulver weitgehend verschossen. Gefragt sind nun die Euro-Länder.

Damit hatte die noch neue Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht gerechnet: Nur vier Monate nach ihrem Amtsantritt steht Christine Lagarde vor der größten Herausforderung für die EZB seit der schweren globalen Finanzkrise von 2008 und 2009. Denn das neuartige Coronavirus könnte einen Wirtschaftsschock wie damals auslösen, weil Konsum und Produktion zurückgehen - in einer Zeit, in der die alte Krise noch gar nicht verdaut und verarbeitet ist.

Der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, verglich den ökonomischen "fall-out" von Corona mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman, die damals die Finanzkrise beschleunigt hatte. Das Coronavirus sei die größte Bedrohung für die Weltwirtschaft und könne sich als "Lehman-Moment" erweisen, so der Top-Ökonom.

Fehlende Werkzeuge der Notenbank

Diese Bedrohung ist auch dem EZB-Rat nur zu bewusst. Zumal im Frankfurter Eurotower selbst ein Mitarbeiter an Corona erkrankt ist. 100 Kollegen wurden in häusliche Quarantäne geschickt. Die Zentralbank hatte deshalb Anfang der Woche bereits einen Krisenmodus durchgespielt, der die Funktionsfähigkeit der Institution sicher stellen soll. Mit Erfolg.

Doch dem EZB-Rat ist auch bewusst, dass die Notenbank kaum noch über Werkzeuge verfügt und nicht mehr viel machen kann. Denn im Unterschied zur US-Notenbank und der Bank of England, die teilweise in außerordentlichen Sitzungen ihre Leitzinsen fast panikartig aus Angst vor den Folgen von Corona senkten, verfügt die EZB über keinen Spielraum mehr: Ihre Zinsen liegen seit Jahren bei null Prozent.

Günstige Kredite als Anreiz

Was noch bleibt, ist eine Verschärfung des Strafzinses für Banken, die ihr Geld bei der EZB über Nacht parken. Es ist wahrscheinlich, dass dieser weiter abgesenkt wird - auf minus 0,6 Prozent. Damit sollen die Banken einen Anreiz bekommen, das Geld lieber in Form von günstigen Krediten zur Verfügung zu stellen. Doch wer will diese Kredite haben? Welches Reisebüro, welches Restaurant, welches Hotel, welche Fluggesellschaft braucht denn jetzt Kredite, um zu investieren? Niemand wird in dieser angespannten Situation seinen Geschäftsbetrieb ausweiten. Unternehmer werden froh sein, wenn sie die Insolvenz vermeiden können.

Was die Wirtschaft braucht, sind direkte, spezielle Hilfszahlungen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Dafür ist die EZB aber nicht der richtige Ansprechpartner. Das ist nicht ihre Aufgabe. Das müssen Regierungen und die EU-Kommission auf die Beine stellen - und sie planen das auch bereits.

Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei einer Pressekonferenz in Frankfurt.

Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist aufgrund der Corona-Krise als Krisenmanagerin gefragt.

Italien als Wackelkandidat der Eurozone

Aus dem Schneider ist die EZB damit aber nicht. Denn sie muss sich um eine anderen Teil der Problematik kümmern, der sich schnell in eine neue Euro-Krise wandeln könnte: Wegen der dramatischen Ausbreitung des Coronavirus im ohnehin wirtschaftlich schwer angeschlagenen Italien geht an den Finanzmärkten die Angst vor einer neuen Krise à la Griechenland um.

Italien ist mit 130 Prozent Verschuldung nach Griechenland der Wackelkandidat der Eurozone schlechthin. Das Land versäumte es, seinen Bankensektor auf solide Füße zu stellen. Noch immer befinden sich massenweise faule Kredite in den Büchern italienischer Institute. Noch dazu sind die Bilanzen vollgestopft mit italienischen Staatsanleihen. Deren Renditen ziehen aber wegen der Corona-Krise drastisch an. Diese Situation schnürt italienischen Banken zunehmend die Luft ab. Das hatte auch der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi gewusst, der genau deshalb an der ultra-lockeren Geldpolitik der EZB festhielt.

Spekulationen gegen den Euro möglich

Wenn aber erste Banken in Italien kollabieren und die Renditen für Staatsanleihen weiter steigen, könnte an den Finanzmärkten die Spekulation gegen den Euro wieder einsetzen. So wie in der Finanzkrise, als die Gemeinschaftswährung im Juli 2012 kurz vor dem Kollaps stand und Draghi seine berühmten Worte sprach: "Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir: Es wird genug sein." Es war genug.

Doch was muss die EZB jetzt tun, um eine ähnlich fundamentale Krise abzuwehren? Ihr wird nichts anderes übrig bleiben, als das reaktivierte Anleihe-Kaufprogramm weiter auszuweiten. Möglicherweise auch durch den umstrittenen Kauf von Aktien. Sie wird erneut Hilfen für Banken auf den Weg bringen müssen, damit diese nicht in Liquiditätsengpässe geraten.

Ob die Finanzmärkte damit in Schach gehalten werden können, wird sich zeigen. Denn Spekulanten sind nimmersatt: Sie wollen immer mehr und immer Größeres. Ansonsten ist es für sie lukrativ, gegen den Euro und damit die Währungsunion zu spekulieren. Dies wäre der Super-GAU - in einer Situation, in der die USA die Welt mit einem Handelskrieg überzieht und in der das Coronavirus die Handelsströme unterbricht sowie die Globalisierung infrage stellt.

Abstimmung der Institutionen nötig

Es bedarf jetzt einer konzertierten Aktion von EZB, EU-Kommission und National-Regierungen zur Stärkung der europäischen Wirtschaft. Erste Maßnahmen gibt es bereits, wie EU-Kommission-Präsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits angekündigt hatten.

Die EZB kann dieses Mal nicht allein die Feuerwehr spielen, wie das in der Finanzkrise der Fall war - als National-Regierungen ihre Verantwortung auf die Währungshüter abschoben. Zum einen, weil die EZB einen Großteil ihrer Pfeile im Köcher bereits verschossen hat. Zum anderen, da Maßnahmen der EZB zwar beruhigen können und somit symbolisch wichtig sind - die Betroffenen aber nur indirekt oder gar nicht erreichen. Oder wie es ein Börsen-Händler formulierte: die EZB kann Salbe auf die Wunde schmieren, mehr aber nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. März 2020 um 05:27 Uhr.