Kolumne Euroschau Auf dem besten Weg in eine neue Krise

Stand: 03.07.2014 02:57 Uhr

Sechs Jahre nach Beginn der Finanzkrise ist der deutsche Bankensektor noch lange nicht wieder fit. Im Gegenteil: Die Niedrigzinspolitik heizt den Immobilienmarkt zusätzlich an - der Euroraum ist auf dem besten Weg in eine neue Krise.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Schön ist er nicht, der Turm: braune Fassade, trostlose Form, einfallslose Architektur der 1970er-Jahre. Er steht mitten in Basel, direkt neben dem Bahnhof. Zu übersehen ist er auch nicht. Jeden Tag gehen Hunderte Menschen ein und aus. Aber wofür er steht, wissen nur wenige.

Die Rede ist vom Hauptsitz der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, kurz BIZ. Die 1930 für die Verteilung deutscher Reparationszahlungen gegründete Institution ist heute Headquarter der Zentralbanken. Dort sind 60 Notenbanken der Welt zusammengeschlossen. Diskretion und Vorsicht sind oberstes Gebot. Bis die BIZ an die Öffentlichkeit geht, muss schon einiges passieren. Jedes Wort aus dem Turm ist sorgsam gewählt, vielfach diskutiert, genau abgewogen.

Bankensektor immer noch nicht gesund

Umso mehr überrascht, dass ausgerechnet die BIZ der Europäischen Zentralbank die Leviten liest. Auch sechs Jahre nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers sei der europäische Bankensektor weit davon entfernt, gesund zu sein. Noch mehr Reformen seien notwendig, damit die Geschäftsmodelle wieder tragfähig werden.

Eine Ursache für die schleppende Genesung sei die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Damit fördere die EZB ein System von Zombie-Banken. Das sind Banken, die unter normalen Verhältnissen längst vom Markt gefegt worden wären. Mit dem vielen billigen Geld ist es ein Leichtes für marode Institute, ihre roten Bilanzen zu übertünchen.

Starker Tobak - aber die BIZ hat Recht. Mit ihrer Geldpolitik verhindert die EZB, die eigentlich die Banken überwachen soll, die Genesung der Branche. Die Aussagen der BIZ haben auch Gewicht, weil sie schon 2003 vor dem Ausbruch der Finanzkrise warnte - und damit den Lauf der Dinge korrekt vorhersagte. Besserung ist jedoch nicht in Sicht. EZB-Präsident Mario Draghi macht deutlich: Die Zinsen sollen noch mindestens bis Ende 2016 extrem niedrig sein.

Immobilienmarkt macht Sorgen

Wie stark das völlig unnatürliche Zinsniveau zu Problemen führt, räumt selbst die EZB ein. Vize-Präsident Vitor Constancio warnt vor Übertreibungen am Immobilienmarkt in zahlreichen Ländern - vor allem in den Niederlanden, Belgien, Slowenien und Estland, aber auch in Frankreich gibt es diese Tendenzen. Einige Länder haben Maßnahmen ergriffen, um den Kaufdruck in Schach zu halten: Förderungen für den Wohnungsbau wurden gestrichen, Grunderwerbssteuern erhöht, die Kreditvergabe an Häuslebauer erschwert.

Weil es auf dem Sparbuch nichts mehr zu holen gibt, investieren vor allem konservative Anleger in Immobilien. Ihnen ist der Aktienmarkt zu heikel. Auch mit Anleihen wollen sie sich nicht die Finger verbrennen. Viele sehen die Immobilie als eine Sicherheit, falls sich die Eurokrise wieder verschärft oder die Gemeinschaftswährung doch noch zusammenbricht. Dann hat man wenigstens ein Dach über dem Kopf. Aus diesem Grund sind viele auch bereit, überteuerte Immobilien zu kaufen. Damit werden die Preise weiter in die Höhe getrieben.

In Deutschland ist die Situation ebenfalls sehr angespannt. Die Bundesbank warnt seit Monaten vor Übertreibungen in den Ballungszentren. In München, Frankfurt, Hamburg, Köln und Stuttgart liegen die Preise laut Bundesbank etwa 20 bis 25 Prozent über einem fairen Niveau. Ein Blick in die Immobilienseiten deutscher Tageszeitungen belegt das: In München etwa werden neue Eigentumswohnungen in normaler Lage und Größe eiskalt ab 750.000 Euro angeboten. So viel Geld sind sie natürlich niemals wert.

Droht die nächste Blase?

Aber auch in kleineren Städten ziehen die Preise jetzt an - mit Übertreibungen von etwa zehn bis 20 Prozent. Von einer Immobilienblase will die Bundesbank aber nicht sprechen. Führende Wissenschaftler sehen das Problem dramatischer. In einer aufwendigen Studie mit Bezug auf historische Parallelen stellen sie klar: Die Entwicklung läuft eindeutig auf eine Immobilienblase zu.

Noch beschwichtigen die Währungshüter die Entwicklungen. Aber die Probleme auf dem Immobilienmarkt machen große Sorgen. Sollte tatsächlich eine Immobilienblase platzen, hätte das gravierende Folgen für Wirtschaft und Banken. Auch die weltweite Finanzkrise von 2008 wurde durch den Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA ausgelöst. Die verheerenden ökonomischen Probleme Spaniens sind ebenfalls die Folge zügellos übertriebener Preise auf diesem Markt: Bankencrash, Wachstumseinbruch und Rekordarbeitslosigkeit sind die Folge.

Die niedrige Zinspolitik der EZB ist derzeit auf dem besten Weg, mehr Probleme zu schaffen als zu lösen. Die positiven Effekte des billigen Geldes auf die Wirtschaft werden zu Recht bezweifelt. Das gilt auch für die auf der vergangenen EZB-Ratssitzung beschlossenen "außerordentlichen Maßnahmen".

Spekulanten als Profiteure

Nutznießer sind bislang vorwiegend Spekulanten am Aktienmarkt, die dort wieder das große Rad drehen. Die Wirtschaft im Euroraum schleppt sich dahin. Es fehlt nicht an billigen Krediten, sondern an Reformen und Fördermaßnahmen durch die Regierungen.

Gleichzeitig schwört die lockere Geldpolitik neben einer Immobilienblase auch andere Probleme herauf: drohende Rückschläge in der Altersvorsorge. Seit Monaten schlagen Versicherungen und Pensionskassen Alarm, weil sie versprochene Überschüsse nicht mehr erwirtschaften können. Bricht aber diese Säule der privaten Altersvorsorge zusammen, muss erneut der Staat einspringen und die Verschuldungsproblematik beginnt von vorne - ein Teufelskreislauf.

Der Euroraum hat seine Probleme noch lange nicht gelöst. Er ist auf dem besten Weg in eine neue Krise. Das weiß man auch im dunklen Turm der BIZ in Basel. Doch Diskretion ist angesagt. So weit wollen sich die Notenbanker nicht aus dem Fenster lehnen.