Hintergrund

Draghis historische Rede am 26. Juli 2012 Drei Wörter, die den Euro retteten

Stand: 26.07.2014 13:47 Uhr

Nicht die dreistelligen Milliardenhilfen retteten den Euro, sondern drei einfache Wörter: "Whatever it takes". EZB-Chef Mario Draghi sprach sie am 26. Juli 2012. tagesschau.de erinnert an die historische Rede. Und erklärt deren Wirkungsmacht.

Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de

Die Freunde seichter britischer TV-Unterhaltung und die Exegeten dröger europäischer Krisenpolitik verbindet wenig - sollte man meinen. Tatsächlich aber teilen sie eine spezielle Beziehung zum London's Lancaster House, einem palastähnlichen Herrenhaus, das ansonsten eher nicht zu den Hotspots der Themsestadt gerechnet wird.    

Das Lancaster's House diente unlängst nämlich als Kulisse für die Fernsehserie "Downton Abbey", die der BBC regelmäßig Rekordquoten beschert. Vor allem aber: Hier sprach Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, am 26. Juli 2012 jenen berühmten Satz, den Historiker eines Tages vermutlich zum Wendepunkt in der Eurorettung erheben werden. Genau genommen war es nicht mal ein ganzer Satz. Sondern nur drei Wörter: "Whatever it takes" - was immer nötig sein wird.

2010 - der erste Tabubruch

Als Draghi diese Worte sagt, tobt die europäische Schuldenkrise beinahe schon drei Jahre. Alles beginnt im Herbst 2009, als die griechische Regierung eingestehen muss, dass das Staatsdefizit nicht nur bei - ohnehin besorgniserregenden - sechs Prozent, sondern bei mehr als zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung liege. Unter Investoren, die dem Land Geld geliehen haben, kommt Unruhe auf. Die Ratingagenturen senken die Bonitätsnoten, die sogenannten Risikoaufschläge auf griechische Staatsanleihen steigen. Bald erfasst die Verunsicherung auch weitere Länder wie Irland, Portugal oder Spanien.

Im Frühjahr 2010 schlägt die Unsicherheit in nackte Panik um. Die Regierung in Athen ist nicht mehr in der Lage, ihre Schulden aus eigener Kraft zu bedienen. Das erste Rettungspaket für Griechenland wird geschnürt - wider den Geist der europäischen Verträge, die eigentlich ausschließen, dass ein Euroland für ein anderes finanziell haftet ("No-Bailout-Klausel"). Es ist der erste Tabubruch in der Eurorettungspolitik. Viele weitere werden folgen.

Zwei Jahre, in denen alles Schlag auf Schlag geht

Denn tatsächlich geht es nun Schlag auf Schlag. Was in den 24 Monaten zwischen der ersten Griechenland-Rettung und der Londoner Draghi-Rede passiert, lässt sich selbst im Stakkato-Stil nur unzureichend zusammenfassen: Nach den Griechen gehen auch die Iren und die Portugiesen faktisch pleite und brauchen milliardenschwere Rettungspakete. +++ In Spanien und Italien stürzen die Regierungen, im Fall Berlusconi übrigens nicht auf Druck der Wähler, sondern auf Druck der Investoren.  +++ Hunderte Milliarden schwere Rettungsfonds mit kruden Namen wie EFSF und ESM werden aufgelegt. +++ Im Gegenzug für die Kredithilfen geben die Krisenländer de facto die Hoheit über ihre Staatshaushalte ab. +++ Private Gläubiger nehmen beim griechischen Schuldenschnitt milliardenschwere Verluste in Kauf. +++ Fast im Wochentakt finden europäische Krisengipfel statt, die in kürzester Zeit weitreichende Beschlüsse wie die Gründung des "Fiskalpakts" fassen.

Trotz der unzähligen Rettungsversuche tobt die Krise aber immer weiter. Mehrmals scheint es, als stünde die Währungsunion kurz vor dem Zusammenbruch: Im August 2011 etwa, als die Panik plötzlich sogar Frankreich erfasst und die Kurse an den Börsen einbrechen; oder im November desselben Jahres, als der griechische Premier Giorgios Papandreou ein Referendum über die EU-Rettungshilfe ankündigt - und das Vorhaben nur sechs Tage später wieder verwirft; schließlich im Mai 2012, als die griechische Parlamentswahl im Chaos mündet und die Schieflage der spanischen Großbank Bankia den nächsten Börsenrutsch verursacht.

Von zehn Prozent auf zweieinhalb Prozent

Doch dann kommt Draghi. Und schafft mit wenigen Worten, was zwei Jahre intensivster Rettungspolitik nicht vermocht haben - nämlich die Lage nachhaltig zu beruhigen. Wörtlich sagt er: "Die EZB ist innerhalb ihres Mandats bereit, zu tun, was immer nötig sein wird, um den Euro zu schützen." Übersetzt heißt dies: Wer Ländern wie Spanien oder Italien Geld leiht, braucht keine Angst mehr zu haben, sein Geld nicht zurückzubekommen. Denn im Zweifel wird die EZB den Investoren die entsprechenden Staatsanleihen abkaufen.

Wie sehr sich die Investoren auf die Zusage verlassen, lässt sich heute, zwei Jahre nach der Draghi-Rede, beispielhaft an der sogenannten Risikoprämie zehnjähriger spanischer Staatsanleihen ablesen. Diese ist von mehr als sieben auf rund zweieinhalb Prozent gesunken. Europas Süden gilt wieder als kreditwürdig. Dank Draghi.   

Zwei konträre Schulen ...

Unter den Exegeten der europäischen Krisenpolitik gibt es zwei konträre Schulen. Die eine ist der Meinung, dass die die EZB das "Whatever it takes"-Versprechen viel früher hätte geben müssen. Dann nämlich, so die Argumentation, wäre die Panik an den Märkten rasch erstickt worden. Und der griechischen oder portugiesischen Wirtschaft wäre der Zusammenbruch erspart geblieben. Vor allem viele angelsächsisch geprägte Ökonomen sehen das so.

Auf der anderen Seite steht die "deutsche Schule", als deren bekanntester Vertreter ifo-Chef Hans-Werner Sinn gilt. Für sie ist das "Whatever it takes"-Versprechen der ultimative Tabubruch, der letztlich auf eine Vergemeinschaftung sämtlicher Staatsschulden in der Eurozone hinausläuft. Trost findet die Sinn-Schule höchstens darin, dass das Draghi-Versprechen eben nicht schon 2009 oder 2010 kam. In diesem Fall nämlich, so die Lesart, hätte sich der Süden notwendigen Wirtschaftsreformen von vornherein verweigert und würde lieber weiter auf Kosten der Nordländer leben, statt die eigenen Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen.     

... und Merkels Mittelweg

Europas Politiker haben letzten Endes den Mittelweg gewählt. "Merkelianisches Durchwurschteln", nennt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei der ING Diba, dieses Vorgehen. Seit dem ersten Griechenland-Paket 2010 stand fest, dass die Bundesregierung die Südländer im Notfall unterstützen würde. Doch ebenso machte sie von Anfang an klar, dass sie Hilfen nur um den Preis tiefgreifender Sparmaßnahmen in den Empfängerländern gewähren würde.

Innerhalb dieser beiden Leitplanken erwies sich die Berliner Rettungspolitik als äußerst flexibel. Tabus wurden formuliert. Und kurz darauf einkassiert. Beispielsweise sollten Hilfsgelder nur an Regierungen fließen, nicht aber direkt an die Banken. Im Falle Spaniens nahm man es dann aber doch nicht so genau.  

Die Krise ist im Griff - für den Moment

Das Fazit nach fast fünf Jahren Rettungspolitik? "Im Best-Case-Szenario ist die Krisenbekämpfung abgeschlossen", sagt Brzeski. Irland und Portugal? Wagen sich vorsichtig wieder an den Kapitalmarkt. Italien? Scheint sich auch ohne Hilfsgelder zu berappeln. Spanien? Hat nur einen Teil der für die Banken vorgesehen Rettungsmilliarden überhaupt benötigt. Zypern? Ist zwar faktisch pleite, aber letztlich zu klein, um andere Länder anzustecken. Und Griechenland? Wird wohl noch ein drittes Hilfspaket benötigen, das man aber nicht so nennen und einigermaßen geräuschlos aufsetzen wird.

Wie gesagt, das ist der "Best Case". Wie brüchig der Friede an den Märkten ist, zeigte sich Mitte Juli, als das Taumeln der portugiesischen Banco Espirito Santo sofort wieder zu Turbulenzen führten. Nicht nur in Lissabon, auch an vielen anderen europäischen Börsen fielen die Aktien. Den "Worst Case" mag man sich daher gar nicht ausmalen - zumal angesichts der weiterhin steigenden Staatsschulden. "Denn Kraftakte wie in den letzten Jahren werden Regierungen und EZB nicht noch einmal leisten können", glaubt Brzeski. 

 

In Deutschland, wo man Draghi und der Rettungspolitik lange Zeit kritisch gegenüberstand, hat man sich einstweilen arrangiert - auch wenn die hiesigen Steuerzahler alles in allem mit dreistelligen Milliardenbeträgen für die Südländer haften. Als das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr den Krisenfonds ESM absegnete, war das jedenfalls kein Aufreger mehr.

Die Frage, ob auch das "Whatever it takes"-Programm der EZB rechtmäßig ist, hat Karlsruhe derweil an den Europäischen Gerichtshof verwiesen. Die deutschen Verfassungsrichter ließen dabei jedoch durchblicken, dass sie selbst erhebliche Zweifel daran hegen.

Ist der Euro, damals, am 26. Juli 2012 im London's Lancaster House, also mit einem illegalen Kniff gerettet worden? Das wäre ja fast schon wieder ein Stoff für eine TV-Serie.