Solarmodule vor Windrädern
hintergrund

2023 als "positiver Schritt" So läuft der Ausbau der Erneuerbaren

Stand: 05.02.2024 05:46 Uhr

Noch nie wurde so viel Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt wie 2023. Kann es also bei dem Ausbautempo bleiben, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht? tagesschau.de hat Fachleute befragt.

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

Spätestens 2045 will Deutschland emissionsfrei sein, einige Städte und Bundesländer planen das Erreichen der Klimaneutralität sogar schon fünf Jahre eher. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg dahin: der Ausbau der Erneuerbaren Energien.

"Der Anteil der Erneuerbaren Energien am deutschen Strommix, er war noch nie so hoch wie im letzten Jahr", erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu Jahresbeginn. Wenn der Ausbau in diesem Tempo weitergehe, könne Deutschland seine Klimaschutzziele im Energiebereich bis 2030 erreichen.

Mehr als die Hälfte des Stroms aus Erneuerbaren

Diese sehen wie folgt aus: Der Anteil der regenerativen Energien am Stromverbrauch soll mindestens 80 Prozent betragen. Im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres war es immerhin schon mehr als die Hälfte. Damit die Quote allerdings noch näher an den Zielwert herankommt, muss vor allem die Produktion des Erneuerbaren Stroms steigen.

2023 betrug die installtierte Bruttoleistung von Solarenergie, Windenergie an Land und auf See sowie Biomasse nach Angaben der Bundesnetzagentur 160.339 Megawatt (rund 160 Gigawatt). Damit deckten sie umgerechnet ein Anteil von 56 Prozent an der gesamten Stromerzeugung. Zum Vergleich: 2022 waren es noch fast 20 Gigawatt weniger und vor zehn Jahren sogar nur rund die Hälfte.

Darüber hinaus befinden sich den Daten zufolge zumindest drei der vier Energieträger über oder zumindest auf ihrem notwendigen Ausbaupfad, um die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gesteckten Ziele zu erreichen. Auf den ersten Blick war das vergangene Jahr also ein Erfolg für die Energiewende - aber wie sehen das Expertinnen und Experten?

"Reicht hinten und vorne noch nicht"

"2023 war ein positiver Schritt - es ist einiges passiert", betont Andreas Löschel, Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomik sowie Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum, im Gespräch mit tagesschau.de. So sei nicht nur die Zahl der installierten Anlagen gestiegen, sondern auch die der Genehmigungen, die entscheidend für die zukünftigen Inbetriebnahmen seien. "Es geht voran, aber es muss trotzdem noch viel geschehen."

"Grundsätzlich ist es positiv zu bewerten, dass die Erneuerbaren Energien wieder schneller ausgebaut werden als es in der Vergangenheit der Fall war", sagt auch Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Für Euphorie sorge die Entwicklung jedoch nicht, da das Ausbautempo generell noch nicht hoch genug sei, um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen.

Ähnlich sieht es Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin: "Die Richtung stimmt, aber das, was wir momentan an Erneuerbaren Energien aufbauen, reicht hinten und vorne noch nicht für die Energiewende." Die Bundesregierung zeige sich bemüht, ein Selbstläufer sei es nach wie vor aber nicht. "Man muss die ganzen Hürden weiterhin beackern", betont der Fachmann.

Solar-Leistung seit 2016 mehr als verdoppelt

Mit Blick auf die beiden wichtigsten Erneuerbaren Energieträger - Solar und Wind an Land - sind die Ziele tatsächlich noch weit entfernt. Allein bei der Solarenergie soll die installierte Leistung 2030 bei 215 Gigawatt liegen. Nach Angaben des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) sind 2023 immerhin mehr als eine Million neue Solaranlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung errichtet worden - so viele wie nie zuvor.

Bei der Stromerzeugung aus Sonnenlicht wurden danach Systeme mit einer Spitzenleistung von rund 14 Gigawatt auf Dächern und Freiflächen neu in Betrieb genommen. Seit 2016 hat sich der Ausbau der installierten Leistung laut der Bundesnetzagentur damit mehr als verdoppelt - und befindet sich sogar oberhalb der EEG-Ausbauziele.

"Bei der Solarenergie sind wir auf dem Pfad, auf dem wir sein müssen", bestätigt Expertin Kemfert gegenüber tagesschau.de. Dennoch seien riesige Potenziale auf den Dächern ungenutzt. "Das betrifft sowohl öffentliche als auch private Gebäude." Dafür müssten etwa Projekte zur Bürgerbeteiligung an Solaranlagen vorangetrieben werden.

Streit um Freiflächen auch bei Solar?

"Solarenergie ist wirklich gut gelaufen, 2015 waren wir noch bei einer neu installierten Leistung von 1,5 Gigawatt", sagt Quaschning. Wenn Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen einhalten will, seien zwar eher 30 Gigawatt im Jahr nötig. "Das ist aber nicht mehr im Bereich des Unmöglichen."

Besser laufen könne es aber vor allem in zwei Segmenten: bei Mietshäusern und im Gewerbebereich. So müssten Mieterinnen und Mieter ebenfalls vom günstigen Solarstrom profitieren. Außerdem hätten gerade viele Mittelständler große Hallen zur Verfügung, auf denen noch Anlagen installiert werden könnten.

Doch auch bei den Freiflächen komme noch einiges auf uns zu, betont Experte Löschel. "Bei Photovoltaik ist wohl ein fast so großer Platz nötig wie beim Wind." Ob es dadurch zu ähnlichen Streitigkeiten in der Gesellschaft komme, bleibe abzuwarten. "Die Konkurrenzsituation zur Nutzung der Freiflächen, aber auch deren schierer Umfang, ist bisher noch nicht so bemerkbar."

"Kein großer Aufschwung" bei der Windenergie

Weitaus schlechter sehe das Bild jedoch bei der Windenergie aus, so Quaschning. "Da sind wir deutlich unter den Ausbauzielen und auch die Genehmigungszahlen zeigen keinen großen Aufschwung." Das liege zum Teil an lokalen Widerständen. So gibt es in Bayern weiterhin die umstrittene Abstandsregel, und in Thüringen bestand bis vor kurzem ein generelles Verbot von Windrädern im Wald. "Wenn wir nach wie vor ein Fünftel des Bundesgebietes weitestgehend aussparen, werden wir unsere Ziele nicht erreichen."

Bis 2030 soll sich die Leistung von Windkraftanlagen nach den Plänen der Bundesregierung auf 145 Gigawatt mehr als verdoppeln - 115 Gigawatt davon an Land. Immerhin: Insgesamt wurden im vergangenen Jahr laut Bundesnetzagentur 1.464 neue Windräder genehmigt - so viele Genehmigungen wurden seit 2016 nicht mehr erteilt.

"Zahlreiche Veränderungen der Bundesregierung haben dazu geführt, dass es immerhin ein bisschen aufwärts geht mit der Windenergie", so Kemfert. Das betreffe einerseits die juristische Klarheit beim Naturschutz und andererseits die verpflichtenden Ausbauziele für die Bundesländer sowie schnellere Genehmigungsverfahren. Trotzdem seien die Zahlen in der Realität nicht unbedingt berauschend.

Attraktive Rahmenbedingungen und Netzausbau nötig

Denn in allen Bundesländern zusammen wurden 2023 gerade einmal 81 Windräder an Land neu in Betrieb genommen. "Hier liegt noch viel vor uns, und wir erreichen die Ausbauziele derzeit nicht", meint Löschel. Wie gut sich die Beschleunigung der Genehmigungen in der Praxis entwickele und ob bis 2032 wie gesetzlich verankert zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windenergie ausgewiesen werde, sei derzeit noch nicht klar.

"Eine Rolle spielen auch die ökonomischen Konditionen", erklärt der Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomik sowie Nachhaltigkeit. "Insbesondere die räumlichen Anreize für den Ausbau, etwa im windärmeren Süden Deutschlands, passen augenblicklich noch nicht." Um Investitionen anzuschieben, seien regionale statt landesweite Ausschreibungen sowie differenzierte Netzentgelte sinnvoll.

Für Fachmann Quaschning drängt sich darüber hinaus ebenfalls die Frage auf, wie die gestiegene Leistung Erneuerbarer Energien sinnvoll ins System integriert werden können. "Da gibt es noch viele Baustellen, die gelöst werden müssen: vom Netzausbau über den Energiespeicher bis hin zu Reservekraftwerken."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 13. Januar 2024 um 19:25 Uhr.