Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz auf der Regierungsbank
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Ampelkoalition und Haushaltschaos Es wird Zeit für Zumutungen

Stand: 18.12.2023 17:01 Uhr

Agrarsubventionen und E-Auto-Förderung: Kaum hatte sich die Ampel beim Haushalt geeinigt, stellt sie den Kompromiss wieder infrage. Es wird Zeit, dass der Kanzler sich traut, den Menschen Veränderungen zuzumuten.

Ein Kommentar von Georg Schwarte, ARD Berlin

Der Kanzler hat Corona. Glück gehabt, könnten Zyniker jetzt denken. Dann muss er öffentlich wenigstens nichts zum Haushaltschaos sagen, das es ja offiziell gar nicht gibt. Weil sie sich ja politisch geeinigt hatten, die drei Herren Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner.

Vergangenen Mittwoch war das. Kann man schon mal vergessen. Weil die Halbwertszeit von verbindlichen Zusagen, die dann doch wieder nicht gelten, künftig in der Maßeinheit Lindner gemessen wird.

Mit dem Mann, der mal sagte, "besser nicht regieren als falsch regieren", ist kein Staat zu machen. Der Kanzler, der grüne Vizekanzler und der FDP-Finanzminister Lindner saßen 200 Stunden zusammen und kommen dann mit einem gemeinsamen Kompromiss vor die Tür. Und vier Tage später gilt das alles so nicht mehr.

Streit über Streichung von Agrarsubventionen

Agrarsubventionen streichen. Darauf hatten sie sich klar geeinigt. "Um es klar zu sagen", sagt jetzt der FDP-Mann Lindner, er sei kein Freund der Belastung der ländlichen Betriebe, und seine FDP-Bundestagsfraktion kündigt eilig schon mal ein Veto dagegen an. Um es klar zu sagen: Echt jetzt?

Habeck, der grüne Vizekanzler, der Moral nicht für das Gegenteil von Politik hält, ist da anders. Der drückt das Kreuz durch und sagt: Kürzungen muten Menschen etwas zu. Er wisse, dass jeder Einschnitt Härten bedeute, deshalb verteidige er den Kompromiss. Habeck ist da aber allein zu Haus.

Lindner will die Agrarsubventionen nicht streichen, die Kerosinsteuer findet er auch blöd, die SPD mault über das allzu spontane Ende des Umweltbonus für E-Autos und der Kanzler hat Corona und würde vermutlich auch ohne Corona tapfer gar nichts sagen. Wer hoffte, dass nach der politischen Einigung in der Haushaltskrise jetzt wenigstens über Weihnachten Ruhe einkehrt, hat wohl noch immer nicht verstanden, dass Loyalität und Koalitionsdisziplin mit der Ampel ungefähr zu viel zu tun haben wie Warmherzigkeit mit Friedrich Merz.

Dass diese Koalition jetzt obendrein wie bei einem Adventskalender jeden Tag ein neues Türchen aufmacht, hinter dem sich der nächste Einsparungsplan verbirgt, macht die Sache nicht besser. Jedes Mal wird eine Lobby brüllen, jedes Mal ein Verband den Untergang des Landes erklären. Jedes Mal wird die FDP vermutlich kurz die Stimmung prüfen, um dann auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen.

Veränderungen auch mal zumuten

Mittendrin übrigens ein bedauernswerter Regierungssprecher, der - weil ja der Kanzler schweigt - erklärt, er sehe bei der Haushaltseinigung "wenig Änderungswillen" innerhalb der Bundesregierung. Der Beobachter staunt, der Bürger schüttelt den Kopf, der politische Gegner lacht sich kaputt. Wenn diese Bundesregierung so weitermacht, wird sie bald schon zumindest den Änderungswillen der Bevölkerung sehen können.

Eine Ampel, in der eine Einigung nur bis zum nächsten Interview reicht, eine Ampel, in der der kleinste, eigene politische Geländegewinn Grund genug ist, den Koalitionspartner alt aussehen zu lassen, eine solche Ampel braucht kein Mensch. Ausgerechnet der FDP-Vize Wolfgang Kubicki ruft seinen Parteifreunden, die jetzt aus der Ampel aussteigen wollen, zu: Mit welcher Parole wollt ihr dann in den nächsten Wahlkampf ziehen? "Wir sind gescheitert, aber wählen Sie uns trotzdem."

Robert Habeck hatte mal gesagt, Veränderungen gibt es nicht ohne Zumutungen. Es wird Zeit, dass der Kanzler sich traut, uns Veränderungen auch zuzumuten.

Georg Schwarte, ARD Berlin, tagesschau, 18.12.2023 16:26 Uhr
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