Markus Herbrand (Archivbild)
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Brief eines FDP-Abgeordneten Behördenleiter zum Wohle der Partei?

Stand: 01.08.2023 06:00 Uhr

Laut Gesetz dienen Beamte dem Volk, nicht einer Partei. Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion sieht das offenbar anders. Er will in Behörden die Ideale seiner Partei "fester verankern". Das zeigt ein Brief, der dem NDR vorliegt.

Von Christian Baars, NDR

Anfang Mai nahm die Debatte um Patrick Graichen, den damals noch amtierenden Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, richtig Fahrt auf. "Grüner Filz", "Vetternwirtschaft" - so lauteten die Vorwürfe. Wirtschaftsminister Robert Habeck geriet zusehends unter Druck. Er musste sich am 10. Mai in einer Sondersitzung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags rechtfertigen.

Nur zwei Tage später, am 12. Mai, schrieb der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Markus Herbrand, einen Brief - adressiert an seine Parteikollegin Katja Hessel. Sie arbeitet als Staatssekretärin im Bundesfinanzfinanzministerium. Herbrand berichtete in dem Brief von Gesprächen mit Unternehmern und deren Forderung nach einem stärkeren Bürokratieabbau, die er selbst unterstütze. Doch dabei beließ er es nicht.

Ideale der FDP "fester verankern"

In dem Brief, der dem NDR vorliegt, bittet Herbrand seine Parteikollegin auch darum, ihm mitzuteilen, "welche Leitungspositionen in Behörden bzw. sonstigen Organisationen des Bundes in dieser Legislaturperiode neu zu besetzen sind".

Als Beispiel nennt er die Leitung des Bundeszentralamts für Steuern. Dort soll es offenbar einen Wechsel geben. Dieser böte "die Möglichkeit, die Vorstellungen und Ideale der Freien Demokraten auch in dieser wichtigen Bundesbehörde noch fester zu verankern", schreibt Herbrand, "auch um den dringend notwendigen Bürokratieabbau mit der notwendigen Durchsetzungskraft und Überzeugung voranzutreiben". Ähnliche Möglichkeiten bestünden sicherlich auch an anderen Stellen, meint der FDP-Politiker und bittet deshalb um "eine Übersicht der anstehenden oder mutmaßlichen Personalneubesetzungen".

"Völlig inakzeptabel und rechtswidrig"

Eine fragwürdige Bitte. Denn laut Gesetz dienen Beamte "dem ganzen Volk, nicht einer Partei". Es sei "völlig inakzeptabel und rechtswidrig", öffentliche Ämter mit der Absicht zu besetzen, parteipolitische Vorstellungen umzusetzen, sagt Norman Loeckel von Transparency International.

"Laut verfassungsrechtlichen und höchstrichterlichen Vorgaben muss eine Ausschreibung öffentlicher Stellen erfolgen und die fähigste Kandidatin den Zuschlag erhalten", sagt Loeckel. Politische Ziele dürfen also keine Rolle spielen. Im Gegenteil: Beamte sind laut Grundgesetz zur Neutralität verpflichtet.

Der FDP-Abgeordnete Herbrand scheint dies jedoch anders zu sehen. Auf NDR-Anfrage bestätigte er, den Brief geschrieben zu haben. Er sieht darin auch kein Problem. "Selbstverständlich sollte sich jede Regierungsbeamtin und jeder Regierungsbeamte den Zielen der Bundesregierung verpflichtet fühlen - auch und gerade in leitender Funktion", antwortete er.

Entscheidung über Stellenvergabe schon gefallen

Tatsächlich dürfen laut Gesetz nur wenige Beamte danach ausgewählt werden, ob sie die Vorstellungen der jeweiligen Regierung teilen. Sie werden als "Regierungsbeamte" oder "politische Beamte" bezeichnet. Sie übernehmen Aufgaben, bei denen es nötig ist, dass ihre grundsätzliche politische Position mit jener der Regierung übereinstimmt. Für sie gilt auch eine besondere Regel: Sie dürfen jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden.

Im Beamtengesetz ist jedoch klar geregelt, wer als politischer Beamter gilt. Dazu zählen etwa Staatssekretäre in den Ministerien, die Chefs von Sicherheitsbehörden oder der Sprecher der Bundesregierung. Nicht dazu gehört die Leiterin des Bundeszentralamts für Steuern, die Herbrand in seinem Schreiben als Beispiel genannt hat.

Offenbar betrachtet auch das angefragte Finanzministerium das Ansinnen des FDP-Parlamentariers als problematisch. Den "geäußerten Bitten des Abgeordneten" sei das Ministerium "ausdrücklich nicht gefolgt", teilte es auf NDR-Anfrage mit. "Es wurde auch keine entsprechende Übersicht, wie in dem Schreiben erbeten, übermittelt."

"Parteipolitische Präferenzen oder gar die Mitgliedschaft in einer Partei sind bei der Auswahlentscheidung unbeachtlich und werden deswegen natürlich auch erst gar nicht abgefragt", schreibt das Finanzministerium. Die Entscheidung darüber, wer die neue Leiterin des Bundeszentralamts für Steuern werde, sei im Übrigen bereits im April getroffen worden - also bevor Herbrand seinen Brief geschickt hat. Die Stelle werde mit einer Bewerberin besetzt, die schon lange in Führungsfunktionen in dem Amt tätig sei.

Parteipolitische Erwägungen "gelebte Realität"

Das Schreiben von Herbrand weise jedoch auf ein grundsätzliches Problem hin, so Transparency-International-Mitarbeiter Loeckel: die intransparenten Verfahren bei der Besetzung von leitenden Stellen in Behörden. Dass parteipolitische Erwägungen eine Rolle spielten, sei "in Deutschland leider oft gelebte Realität".

Erst Ende Juli hatte die "Ostsee-Zeitung" (OZ) berichtet, dass der Landesrechnungshof in Mecklenburg-Vorpommern das dortige Vorgehen bei Neubesetzungen von Spitzenposten in Landesbehörden und Ministerien kritisiert habe. Es ging demnach um Stellen, bei denen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zustimmen musste. Keines der geprüften Verfahren sei fehlerfrei gewesen, die meisten enthielten sogar "schwere Fehler", zitiert die OZ den Rechnungshof. Oft habe es kein richtiges Auswahlverfahren gegeben. Der dortige FDP-Fraktionschef bezeichnete dies als "handfesten Skandal" und als "Verstoß gegen die Verfassung".

Laut OZ wies die Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern die Vorwürfe zurück. Die Grundsätze des Verfahrens seien eingehalten worden. Stellen unterhalb der Ebene der Minister und Staatssekretäre würden nicht "politisch besetzt". 

Wie oft es vorkommt, dass parteipolitische Erwägungen bei der Bewerberauswahl für Spitzenposten in Behörden eine Rolle spielen, kann niemand sagen. "Aber es ist auffällig, dass Führungspersonal des öffentlichen Dienstes deutlich öfter als die Bevölkerung über Parteimitgliedschaften verfügt", sagt Loeckel. Im Ausland gebe es gute Beispiele, wie man es anders machen könne - auch auf EU-Ebene. Dort seien die Verfahren zur Stellenbesetzung "sehr viel transparenter, neutraler und nachprüfbar organisiert".

Marcus Engert, NDR, tagesschau, 01.08.2023 06:36 Uhr