Verpackung des Medikaments Ozempic (Archiv)
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Dubiose Pharmafirmen in Österreich Gefälschte Abnehmpräparate gefährden Patienten

Stand: 27.10.2023 06:01 Uhr

Offenbar sind Fälschungen des gefragten Abnehmpräparats Ozempic im Umlauf. Mehrere Menschen mussten bereits auf Intensivstationen behandelt werden. Die Spur führt nach Recherchen von NDR, WDR und SZ zu zwei dubiosen Pharmafirmen in Österreich.

Die vierte Ozempic-Packung, die eine Österreicherin von ihrem Salzburger Schönheitschirurgen bekommen hatte, war offenbar gefälscht. Mit lebensgefährlichen Nebenwirkungen musste die 31-Jährige Ende September in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Sie ist die erste von inzwischen mehreren Betroffenen, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, weil sie mutmaßlich gefälschtes Ozempic erhalten hatten. 

Das Mittel ist eigentlich nur für Diabetiker zugelassen. Doch es funktioniert auch als Abnehmspritze. Der enthaltene Wirkstoff Semaglutid ist derselbe wie in der offiziellen Abnehmspritze Wegovy. Beide produziert der Hersteller Novo Nordisk. Doch während er für die Abnehmspritze 42 Euro verlangt, kostet die gleiche Menge des Wirkstoffs in der Diabetiker-Spritze nur 18 Euro. Weltweit hat deshalb eine enorme Nachfrage nach Ozempic eingesetzt mit der Folge, dass Diabetiker ihr Medikament häufig nicht mehr bekommen - und unseriöse Geschäftemacher sich offenbar darauf spezialisiert haben, Fälschungen des Präparats anzubieten.

Krämpfe und Unterzuckerung

Die Betroffenen der gefälschten Abnehmspritzen in Österreich litten an Krampfanfällen und Unterzuckerung, was das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen BASG als Anzeichen dafür wertete, dass in den Spritzen statt Ozempic wohl Insulin enthalten war. Bei Nicht-Diabetikern können Insulinspritzen aber zu einem lebensgefährlichen Abfall des Blutzuckers führen. Das österreichische Bundeskriminalamt sprach deshalb auch von "Gesundheitsgefährdungen, die ohne sofortige ärztliche Behandlung zum Tode hätten führen können". Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Steyr.

Nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" haben die Ermittler aus Steyr im Fall des Salzburger Schönheitschirurgen eine Firma aus Oberösterreich im Visier. Diese Firma handelt laut ihrer Website vor allem mit Medizinprodukten. Einer der beiden Inhaber ist ebenfalls ein Schönheitschirurg aus Wien. Er ließ eine schriftliche Anfrage unbeantwortet. Ruft man bei der auf der Website angegebenen Telefonnummer an, meldet sich ein Österreicher, der sagt, er gehöre gar nicht zu der Firma, sondern "vermittle" nur gelegentlich etwas für diese.

Verdacht auf kriminelles Handlungen

Ein Verdacht scheint sich laut der österreichischen Aufsicht BASG zu verdichten: Die Knappheit des Arzneimittels werde "offenbar von kriminellen Organisationen ausgenutzt, um Fälschungen von Ozempic auf den Markt zu bringen". Auch die Non-Profit-Organisation Partnership for Safe Medicines hält es für unwahrscheinlich, dass Fehler, Versäumnisse oder tragische Verwechslungen Ursache für die falsch befüllten Spritzen sind. "Es handelt sich mit ziemlicher Sicherheit um eine kriminelle Handlung", sagt ihr Direktor Shabbir Safdar. "Die Qualitätskontrollen in der Pharmaindustrie sind zu streng, um von einem derartigen Fehler in der Herstellung auszugehen."

Bei einem in Deutschland unlängst bekannt gewordenen ähnlichen Fall führt die Spur der Spritze ebenfalls nach Österreich. Die in Lörrach ansässige Großhandelsfirma Pharma Medtec kaufte bei einer Pharmafirma in Österreich Ozempic-Packungen, die sich als mutmaßliche Fälschungen herausstellten. Die Lörracher verkauften die Spritzen weiter nach Großbritannien, wo sie einem Pharma-Großhändler als offenkundige Fälschung auffielen.

Im Gespräch mit NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" erklärte der Geschäftsführer von Pharma Medtec, dass er selbst die deutsche Aufsichtsbehörde, das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), am 27. September auf die mutmaßlichen Fälschungen aufmerksam gemacht habe. Das BfArM bestätigt diese Aussage auf Anfrage.

Wenige Tage nach der Meldung inspizierte das Regierungspräsidium die Lörracher Firma. Die örtliche Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz. Mit Verweis auf das laufende Verfahren will sich der Geschäftsführer von Pharma Medtec dazu nicht äußern.

Firma in Warnschreiben genannt

Bezogen hatten die Lörracher die Ware nach Informationen von NDR, WDR und SZ von der österreichischen Pharmafirma AZ Naturemed mit Sitz in der Steiermark. Der Name der Pharmafirma taucht auch in Warnschreiben des BfARM an die Regierungspräsidien und an Großhändler auf.

AZ Naturemed ist ein Familienunternehmen, das im Jahr 2018 gegründet wurde. Drei der vier Gründer sind Ärzte oder Psychotherapeuten. Die Firma produziert und vertreibt Cannabis-Produkte, homöopathische Mittel und jede Menge esoterischer Produkte wie "Druidenpflanzen", "Lichtpilze" oder "TAO-Essenzen". Dazu kommt ein "Auraspray" zur "Unterstützung bei der schamanischen Arbeit", um "verlorene Seelenanteile wieder nach Hause einzuladen". 

Ein anderer Zweig des Unternehmens, die Naturemed Pharma GmbH, handelt mit Medikamenten und Impfstoffen. Auf ihrer Website verkündet die Firma unter anderem: "Wir sind Partner für den Vertrieb von russischen Impfstoffen." Fragen von NDR, WDR und SZ, ob sie die mutmaßlich gefälschten Ozempic-Spritzen selbst hergestellt oder aus welcher Quelle sie diese bezogen haben, ließ die Firma unbeantwortet. 

Großhandelszulassung entzogen

Das BfArM informierte nach eigenen Angaben bereits am Morgen des 28. September die österreichischen Behörden über den Fall. Das dortige Bundeskriminalamt teilt auf Anfrage mit: "Derzeit liegen die Ermittlungen in Österreich aber rein bei der Polizei. Es werden zuerst alle relevanten Informationen gesammelt" und erst später werde dann "die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft damit befasst".

Bereits am 9. Oktober entzog jedoch das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) der AZ Naturemed die Großhandelszulassung. Das teilte das BASG bisher zwar nicht der Öffentlichkeit mit, doch ein entsprechendes Dokument findet sich in der EU-Datenbank EudraGMDP, wo Verstöße bekannt gemacht werden.

Hersteller beantwortet Fragen nicht

AZ Naturemed wurde demnach die Zulassung entzogen, weil sie verbotenerweise Arzneimittel von außerhalb der EU eingekauft habe, weil sie zudem "kein wirksames Qualitätssicherungssystem unterhält" und weil sie sich "nicht an die Leitlinie zur guten Vertriebspraxis von Arzneimitteln hält". Aus Gründen der "Amtsverschwiegenheit" will das österreichische BASG jedoch nicht mitteilen, ob der Entzug der Großhandelserlaubnis bei AZ Naturemed in Zusammenhang mit den gefälschten Abnehmspritzen steht. 

Derzeit gibt es nach Einschätzung des österreichischen Bundeskriminalamts keinen Hinweis, dass AZ Naturemed auch in Zusammenhang mit jenen Fällen steht, bei denen Patientinnen und Patienten in Österreich wegen gefälschter Ozempic-Spritzen in der Klinik sind. Ob Insulin auch in den von AZ Naturemed an die Lörracher Firma gelieferten Spritzen enthalten war, ist noch nicht klar. Die Analysen sind nach Angaben des BfArM auch nach vier Wochen noch nicht abgeschlossen.

Einziger Hersteller von Ozempic ist Novo Nordisk. Konkrete Fragen zum Fall, etwa wie viele gefälschte Packungen nach Kenntnis des Pharmariesen gefunden wurden und ob Strafanzeigen erstattet wurden, beantwortete das dänische Unternehmen nicht.

Nach Veröffentlichung des Artikels meldete sich der Anwalt von AZ Naturemed und teilte mit: "Im Hinblick auf die derzeit laufenden Verfahren betreffend Ozempic können die von Ihnen übermittelten Fragen derzeit nicht beantworten werden. Wir werden allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückkommen."

Marcus Engert, NDR, tagesschau, 27.10.2023 06:12 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. Oktober 2023 um 22:57 Uhr.