LNG Tanker am Kai einer Anlage für verflüssigtes Erdgas in Russland.
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Flüssiggas LNG Putins Gasgeschäfte mit Europa

Stand: 07.03.2024 05:46 Uhr

Das Geschäft mit russischem Flüssigerdgas in der EU boomt und spült immer neues Geld in Putins Kriegskasse. Es ist ein Geschäft, das an einer überschaubaren Zahl spezieller Tanker hängt. Doch Sanktionen sind weiter nicht in Sicht.

Von Lutz Polanz und Andreas Spinrath, WDR

Der Hafen von Seebrügge in Belgien, Ende Februar. Am LNG-Terminal liegt die "Christophe de Margerie", beladen mit Flüssigerdgas (LNG) aus Russland. Kein ungewöhnlicher Anblick. Dem ARD-Politikmagazin Monitor liegen Daten über die Bewegungen russischer Tanker vor, die zeigen, auf welchem Weg und wie häufig Russland europäische Häfen ansteuert.

Die "Christophe de Margerie" etwa ankert regelmäßig in Seebrügge, so wie insgesamt 15 andere Tanker der sogenannten Arc7-Klasse. Es sind eisbrechende Tanker, die auch im Winterhalbjahr das LNG von der russischen Yamal-Halbinsel am Polarkreis nach Europa bringen, im Auftrag der Firma Novatek.

Einer ihrer Eigentümer ist der Oligarch Gennadi Timtschenko, einer der reichsten Männer Russlands, Mitglied im exklusiven Zirkel um Präsident Wladimir Putin. Gegen ihn selbst hat die EU schon lange Sanktionen verhängt und etwa auch seine Luxusyacht beschlagnahmt. Doch die LNG-Tanker fahren in seinem Auftrag unvermindert weiter in EU-Häfen ein und aus. Jede Lieferung hat einen Mindestwert von 30 Millionen Euro.

Bislang keine Sanktionen

Obwohl die EU jüngst das 13. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet hat, sind Gaslieferungen davon bislang ausgenommen. Auch die deutsche Bundesregierung fordert keine Sanktionierung von Gaslieferungen, sie argumentiert noch immer mit einer "angespannten Versorgungslage". Offiziell bekomme Deutschland kein russisches Gas mehr, könne aber nicht ausschließen, dass kleinere Mengen auf Umwegen über europäische Nachbarländer ins Land kommen.

Andere EU-Staaten wie Ungarn haben bereits neue Verträge mit Moskau über zusätzliche Gaslieferungen abgeschlossen. In Frankreich ist der Energiekonzern Total an LNG-Geschäften auf der russischen Halbinsel Jamal im Nordwesten Sibiriens beteiligt. Insgesamt wurde der Gasimport durch Pipelines zwar deutlich reduziert, doch das LNG-Geschäft läuft unvermindert weiter. Unter dem Strich stammen so noch immer rund 15 Prozent des in der EU verbrauchten Gases aus Russland.

Das LNG ist für den Kreml inzwischen fast so wichtig wie die verbliebenen Einnahmen aus den Pipeline-Lieferungen. Derzeit schätzen Fachleute das Volumen der nach und über Europa transportierten LNG-Mengen auf einen Wert von rund zwölf Milliarden Euro jährlich. Doch Putin will das Geschäft in den nächsten Jahren verdreifachen. Das Ziel sei, Europa so in eine erneute Abhängigkeit von russischem Gas zu treiben, sagt der russische Umweltaktivist Wladimir Sliwjak. Mit seiner Organisation "Umweltverteidigung" erhielt er 2021 den Alternativen Nobelpreis und musste Russland verlassen, um nicht in Haft zu kommen.

Europa als Umschlagplatz

In europäischen LNG-Terminals wie Montoir-de-Bretagne, Bilbao oder Zeebrügge landet aber nicht nur Flüssigerdgas für den Eigenverbrauch. Sie dienen auch als zentrale Umschlagplätze für den Weitertransport von russischem LNG in alle Welt. In Häfen wie Zeebrügge wird das LNG entweder in Gasspeichern eingelagert und re-exportiert oder gleich auf andere Schiffe umgeladen. Das betrifft mindestens ein Fünftel der insgesamt nach Europa transportierten LNG-Mengen, hat die Umweltorganisation "urgewald" anhand der Schiffsdaten seit 2022 errechnet. Im Winterhalbjahr sei es noch deutlich mehr. So schaffe Europa nicht nur zusätzliche Klimalasten sondern helfe aktiv mit, den russischen  Angriffskrieg gegen die Ukraine zu finanzieren.

Ohne den Umschlag in den EU-Häfen wäre der LNG-Handel für Russland deutlich schwieriger und teurer. Würde die EU das Umladen in den Häfen der Mitgliedsstaaten für den internationalen Markt verbieten, müssten die Schiffe bis in die Türkei oder nach Ägypten fahren, sagt Energieexperte Angelos Koutsis von der belgischen Umweltorganisation "Bond Beter Leefmilieu": "Das kostet nicht nur viel Geld, sondern dauert auch sehr viel länger. Das führt dazu, dass Russland sehr viel weniger LNG von Jamal verkaufen kann, weil es in der Arktis keine alternativen Transportmöglichkeiten gibt."

Verzicht auf russisches LNG möglich

Der Energieexperte Georg Zachmann von der Denkfabrik Bruegel ist sicher, dass Europa auf die LNG-Einfuhren aus Russland inzwischen verzichten könnte. In Belgien macht russisches Flüssiggas derzeit elf Prozent des Gesamtverbrauchs aus, in Frankreich 13 Prozent und in Spanien 25 Prozent. "Es gibt auf dem Weltmarkt jetzt wieder ein gutes Angebot an LNG", sagt Zachmann. "Die Preise sind deutlich gesunken, und wenn man kein russisches LNG mehr kaufen würde in Europa, könnten die Häfen mit der gleichen Importinfrastruktur anderes LNG importieren."

Inzwischen fordert auch das Europarlament härtere Sanktionen und einen Komplett-Stopp für russisches LNG. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage von Monitor, die EU arbeite derzeit an einer Verordnung, um Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die Einfuhr vorübergehend zu begrenzen. Endgültig beenden will die EU das Geschäft mit russischem Gas aber erst 2027.

Für die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier kommt das viel zu spät. Sie fordert, "dass die EU sich darauf einigt, den Import von russischem Gas zu stoppen. Lasst es uns jetzt probieren und lasst es uns gemeinschaftlich als Europäische Union probieren. Genau dafür ist die EU ja geschaffen worden."

In der ersten Version dieses Textes wurde der Anteil des nach Europa transportieren und dann re-exportierten russischen LNG mit "etwa der Hälfte" quantifiziert. Diese Angabe war fehlerhaft und wurde nachträglich auf "mindestens ein Fünftel" korrigiert.