Eine Kuh wird von einem Transporter gezogen.
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Tierschutzgesetz Zu geringe Strafen bei Tierquälerei?

Stand: 13.06.2023 10:00 Uhr

Laut Koalitionsvertrag soll es höhere Strafen bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz geben. Bislang gibt es nicht einmal einen Gesetzesentwurf. Dabei gibt es nach Angaben von Tierschützern systematische Probleme, wie ein Datenprojekt zeigt.

Von Matthias Pöls und Knud Vetten, MDR

Beinahe alle zwei Wochen wird eine gravierende Tierquälerei öffentlich. Die juristischen Konsequenzen seien zu gering, beklagen Tierschützer. Auf einer Karte haben vier Tierschutzorganisationen die von ihnen aufgedeckten Skandale der vergangenen sieben Jahre dokumentiert. Sie liegt dem ARD-Magazin Fakt exklusiv vor.

Bei den 163 Fällen konnten insgesamt 24 Strafen dokumentiert werden. Die meisten davon sind Geldstrafen. Fünfmal erging ein Tierhalte- oder Tierumgangsverbot. Drei Gerichte verhängten eine Haftstrafe zur Bewährung.

Der Fall Bad Iburg

Ein Beispiel: Der Tierschutzverein "SOKO Tierschutz" hatte 2018 hunderte illegale Schlachtungen bei einem Schlachthof in Bad Iburg in Niedersachsen enthüllt. Das Bildmaterial zeigt schwere Straftaten. Systematisch wurden kranke Rinder mit Ketten an den Beinen und durch Seilwinden von Transportern geschleift. Dabei dürfen Tiere, die nicht mehr gehen können, weder transportiert noch geschlachtet werden. Für den Leiter der Soko-Tierschutz, Friedrich Mülln, ist es der größte Tierschutzskandal der vergangenen Jahre.

Im August 2022 kam es zur Verhandlung: Angeklagt waren Heinrich B., der ehemalige Geschäftsführer des Schlachthofs, und zwei frühere Mitarbeiter. Die Beschuldigten erhielten Bewährungs- und Geldstrafen. Im Urteil sind allein 58 einzelne Misshandlungen aufgeführt, an denen der frühere Geschäftsführer beteiligt war.

"Ich habe den Gerichtssaal wütend verlassen, weil ich es nicht aushalte", erklärte Mülln nach der Urteilsverkündung. "Ich habe mich in den letzten Jahren immer daran festgeklammert, wenn es in irgendeinem dieser grausamen Fälle, eine Gerechtigkeit für die Tiere gibt, dann im Fall Bad Iburg. Denn bei dieser Bestialität der Taten geht es einfach nicht anders, als die Höchststrafe zu machen." Laut Gesetz kann Tierquälerei mit maximal drei Jahren Haft bestraft werden. Eine solche Strafe wurde jedoch noch nie verhängt.

Zu einer Strafe kommen die Prozesskosten

Die juristische Aufarbeitung des Falls ist inzwischen abgeschlossen. Der Leiter der deutschlandweit einzigen Zentralstelle für Landwirtschaftsdelikte, Dirk Bredemeier, von der Staatsanwaltschaft Oldenburg verteidigt das Urteil: Heinrich B. und seine Kollegen seien nicht vorbestraft gewesen, sie hätten ihre Taten bereut und man gehe davon aus, dass sie keine neuen begehen würden.

"Weiter muss man auch berücksichtigen, dass neben dem eigentlichen Strafausspruch, also der Ächtung des Täters, noch hinzukommt, dass ihm Bewährungsauflagen erteilt sind, und dass er die Kosten des Verfahrens und auch seine eigenen Anwaltskosten zu tragen hat", so Bredemeier. Bei einem solchen Verfahren könnte es sich um einen fünfstelligen Betrag handeln.

Tierschützer kritisieren geringe Strafen

Von Reue hat Mülln während des Prozesses nichts bemerkt. Er kritisiert die häufige Straflosigkeit nach Tierschutzskandalen und zweifelt, dass solche Urteile die Branche abschreckten. "Nach den Prozessen, nach so vielen Jahren, atmen alle auf und wissen ganz genau: Wenn selbst denen - diesen Folterknechten, anders kann man es nicht bezeichnen - wenig passiert, dann kann man eigentlich machen was man will."

Angesichts der vielen dokumentierten Fälle sei es "im Grunde eine Katastrophe", sagt Jan Peifer vom Deutschen Tierschutzbüro. "Immer wieder bringen wir die Skandale in die Öffentlichkeit, die Politik regt sich darüber auf, und am Ende passiert gar nichts." Die Tierrechtsorganisation hat ebenfalls an dem Datenprojekt "Tierschutz-Skandale: Karte der Tierquälerei" mitgearbeitet. "Genau das zeigt eben diese Karte, dass es in einem ganz niedrigen Prozentsatz überhaupt zu einer Strafverfolgung kommt, in den meisten Fällen ist es so, dass es auf eine Geldstrafe hinausläuft. Und das ist natürlich ein Wahnsinn."

Tierschützer beklagen zu geringe Strafen für Tierquälerei

Knud Vetten und Sven Knobloch, MDR, Mittagsmagazin, 13.06.2023 13:00 Uhr

Mangelnde Umsetzung des Strafrechts

Das Tierschutz-Strafrecht stehe vor allem auf dem Papier und dahinter stehe ein grundsätzliches Problem, kritisiert die Juristin Johanna Hahn von der Universität Leipzig. Die Strafrechts-Expertin hat im vergangenen Jahr eine empirische Studie veröffentlicht, in der sie auch den Ausgang von knapp 120 Tierschutz-Verfahren in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung untersucht hat. Ergebnis: Ein Großteil wurde eingestellt.

Hinzu komme: "Wenn es doch mal zur Anklage kommt, dann sind es Fälle von Kleinbetrieben oder Mitarbeitern der unteren Hierarchieebene", erklärt Hahn. "Das ist natürlich ein großes Problem, denn meistens sind die Verstöße, die die Mitarbeiter begehen, strukturelle Probleme." Es handele sich um Fehler in der Organisation des Betriebes, oder Betäubungsgeräte funktionierten nicht. "Daran kann der einzelnen Mitarbeiter wenig ändern. Da müsste man an die obere Leitungsebene ran. Das passiert aber nicht."

Im Koalitionsvertrag festgehalten

Die Problematik war auch in Berlin angekommen: Der Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sollte laut Koalitionsvertrag eine Gesetzesverschärfung umsetzen. Tierschützer kritisieren, dass bislang nicht einmal ein Entwurf dazu vorliege. Fakt hat auf Anfrage aus dem Ministerium als Antwort erhalten: Man plane weiterhin höhere Bußgelder und höhere Strafen beim Verstoß gegen das Tierschutzgesetz.

"Im Koalitionsvertrag wurde ausgehandelt, dass man das Strafmaß auf fünf Jahre erhöhen möchte. Das wäre ein wichtiges Zeichen", sagt der Chef der Soko-Tierschutz, Mülln. Außerdem sei gesagt worden, dass das bislang eher verwaltungsrechtliche Tierschutzgesetz ins Strafgesetzbuch gehen sollte. "Das sind alles gute Sachen. Aber die Ampelkoalition hat bisher mit Tierschutz Wahlkampf gemacht, aber den Tierschutz in dem Moment vergessen, in dem man die Regierung gebildet hat. Und seitdem ist nichts mehr passiert."

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