Euro-Geldscheine
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Chinesische Netzwerke Das "fliegende Geld" der Drogenhändler

Stand: 17.11.2023 12:04 Uhr

Im internationalen Drogengeschäft regiert Bargeld. Um große Summen durch die Welt zu bewegen, greifen Kriminelle verstärkt auf zuverlässige Dienstleister: chinesische Geldwäschenetzwerke.

Von Margherita Bettoni, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia, MDR

Spätestens das viele Bargeld im Handschuhfach des Audi A3 macht die Beamten misstrauisch. 91 Fünfzig-Euro-Scheine fischen sie aus dem Handbuch des Autos, das sie kurz nach der niederländischen Grenze aus dem Verkehr gezogen haben. Dazu kommen weitere 2.320 Euro im Portemonnaie des Fahrers, ein Chinese namens Linfei Y., wohnhaft in Prato bei Florenz.

Und die Beamten des Hauptzollamts Osnabrück ahnen, dass da noch mehr sein könnte. Sie bringen das Fahrzeug in eine Werkstatt, finden schließlich im Tank 27 eingeschweißte Geldbündel. Insgesamt 781.320 Euro beschlagnahmen die Fahnder an diesem Februartag im Jahr 2018.

Linfei Y. wird später erzählen, er habe in China eine Wohnung verkauft und das Geld in Europa investieren wollen. Das Bargeld habe er per Schiff nach Amsterdam transportieren lassen. So wollte er ein Gesetz des chinesischen Staates umgehen, das es verbietet, große Summen außer Landes zu bringen. Doch Forscher des Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung haben die Geldscheine untersucht und dabei Anhaftungen von Kokain gefunden.

An sich keine Überraschung, Kokain ist in Europa weit verbreitet, Spuren davon sind fast an jedem Euroschein zu finden. Aber nicht in der Menge, die an den 50-Euro-Scheinen aus Linfei Y.s Auto hafteten. Außerdem haben die Forscher auch Cannabis-Spuren gefunden.

Kurierfahrten mit großen Mengen Bargeld

Linfei Y. ist nicht der einzige Chinese, der zuletzt in Europa mit großen Summen Bargeld aufgefallen ist. Ermittler gehen davon aus, dass sich chinesische Kriminelle als wichtige Schnittstelle im internationalen Drogenhandel etabliert haben. Ihr Spezialgebiet: Kurierfahrten mit großen Mengen Bargeld und ein Netzwerk von Untergrundbanken.

Die Nachfrage nach diesen Diensten ist groß, weil das Geschäft mit Drogen über die gesamte Lieferkette mit Bargeld läuft. Drogenkartelle wollen bar in Dollar oder Euro bezahlt werden, Konsumenten zahlen bar. Doch Bargeld von Kontinent zu Kontinent zu bringen ist riskant. Deshalb wenden sich Drogenkriminelle an spezielle Dienstleister.

Die europäische Polizeibehörde Europol schreibt in einem aktuellen Bericht zur Finanzkriminalität von einem parallelen "Untergrund-Finanzsystem". Die chinesischen Netzwerke scheinen dabei besonders beliebt zu sein, wie Recherchen von MDR und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) zeigen. Die Dienste werden weltweit angeboten, auch in Deutschland.

Ein ausgefeiltes System

Schon 1994 machte die US-amerikanische Antidrogenbehörde DEA auf "chinesische Untergrundbanken" aufmerksam. Diese seien anonym, obendrein schneller und preiswerter als konventionelle Banken. Unter anderem asiatische Drogenschmuggler würden darauf zugreifen, schrieb die DEA damals, um etwa die Profite des Heroinverkaufs in den USA nach Hongkong zu verschieben.

Einblicke, wie das System funktioniert, gibt der Fall von Wen Kui Z.. Anfang Oktober nahm die italienische Finanzpolizei den chinesischen Geschäftsmann fest. In seinem Laden in Rom sollen regelmäßig italienische Drogenhändler zu Besuch gewesen sein. Laut Ermittlern lieferten sie hier Millionen Euro in bar ab, die Z. gemeinsam mit Komplizen ins Ausland transferierte. Zum Teil soll Z. auf Geldkuriere gesetzt haben, die Koffer voll Bargeld mit Linienflügen nach China brachten.

Z. und Komplizen sollen aber auch große Summen an den italienischen Behörden vorbeigeschleust haben, ohne dass das Bargeld Italien verließ. Das soll unter anderem über ein System erfolgt sein, das in China unter anderem "Feiqian" heißt, "fliegendes Geld". Dieses funktioniert ähnlich wie das "Hawala"-System: In einem Land, etwa Italien, sitzt ein Händler, der Bargeld bekommt. Dieser Händler meldet einem Vertrauensmann in einem anderen Land, etwa Spanien, die erfolgte Übergabe.

In Spanien zahlt der Vertrauensmann das Bargeld aus, etwa an Kontaktpersonen der Drogenkartelle, die für eine Lieferung Kokain bezahlt werden müssen. Der Vertrauensmann bekommt sein Geld teilweise zu einem späteren Zeitpunkt, etwa über Zahlungen von Scheinrechnungen.

Im Dienste der kalabrischen Mafia

In jüngster Zeit tauchten chinesische Geldwäscher neben Italien auch in Ermittlungen in den Niederlanden, in Frankreich und in Polen auf. Sie sind international aktiv und bestens mit weiteren kriminellen Organisationen vernetzt. Unter anderem sticht die Zusammenarbeit mit der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta heraus. Schon 2017 erzählte der kalabrische Kronzeuge Giuseppe Tirintino, einst ein Drogenbroker für die 'Ndrangheta, wie chinesische Geldwäschenetzwerke in Echtzeit Geld durch die Welt bewegen würden.

Auch im Rahmen der internationalen Anti-Mafia-Operation "Eureka", die im Mai dieses Jahres auch in Deutschland zu etlichen Verhaftungen führte, tauchten sie auf. Allein im Laufe eines Monats im Jahr 2020 sollen Menschen, die mit der 'Ndrangheta in Verbindung standen, über sieben Millionen Euro an chinesische Kontaktpersonen übergeben haben, mal in einem Industriegebiet in Rom, mal auf dem Parkplatz eines Hotels.

Kaum Wissen über chinesische Strukturen

Auch hierzulande gibt es immer wieder Hinweise, die zu chinesischen Untergrundbankern oder Geldkurieren führen. 2021 wurden zwei Chinesen, Vater und Sohn, in einem Zug von Amsterdam nach Deutschland festgenommen. Sie trugen 1.229.635 Euro in bar bei sich, die sie zu einem Kölner Hotel bringen wollten. An Geldscheinen, Koffer und Händen wurden Kokainspuren gefunden. Die beiden wurden verurteilt, machten aber keine Aussagen zu ihren Auftraggebern.

Die Behörden in Deutschland befassen sich indes wenig mit den Geldwäschenetzwerken aus China. Auf Anfrage teilte das Bundeskriminalamt mit, dass es zu derartigen Aktivitäten in Deutschland keine Auskünfte erteilen könne, da keine "konkreten Auswertungen" durchgeführt würden. Oliver Huth, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in Nordrhein-Westfalen, kritisiert im Gespräch mit MDR und der FAZ: "Wir wissen so gut wie nichts über die chinesischen Strukturen."

Huth hat beim nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt die Ermittlungen der Anti-Mafia-Operation "Eureka" geleitet. Dass chinesische Kriminelle auf Augenhöhe mit der kalabrischen Mafia und den lateinamerikanischen Kartellen arbeiten, zeige für Huth deutlich, wie etabliert diese inzwischen seien. "Das sind durchstrukturierte, professionelle, international präsente Netzwerke", sagt er. "Und wir wissen überhaupt nicht, wie sie funktionieren."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. August 2023 um 07:37 Uhr.