Maximilian Krah, Tino Chrupalla und Alice Weidel (v.l.)
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Europawahl Muss die AfD ihre Kandidaten neu wählen?

Stand: 18.09.2023 13:22 Uhr

Heute berät der AfD-Bundesvorstand über Kandidaten, die bei ihrer Bewerbung für die Europawahl falsche Angaben gemacht haben sollen. Stimmen die Vorwürfe, muss die ganze Wahlliste neu aufgestellt werden.

Von Bastian Wierzioch und Edgar Lopez, MDR

Bei einer Sitzung des AfD-Bundesvorstands geht es heute um Parteimitglieder, die bei ihrer Bewerbung für die Europawahl falsche biografische Angaben gemacht haben sollen. Ende Juli hatte die AfD in einem aufwendigen Parteitagsverfahren in Magdeburg insgesamt 35 Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament im kommenden Jahr nominiert. Kurz darauf wurden durch Medien-Recherchen Ungereimtheiten mit Blick auf die Lebensläufe mehrerer Kandidaten bekannt.

Als Reaktion darauf ließ der AfD-Bundesvorstand die Lebensläufe aller 35 Kandidatinnen und Kandidaten überprüfen. Das Ergebnis wird heute im Bundesvorstand beraten. Wann sich die Partei damit an die Öffentlichkeit wendet, soll im Laufe des heutigen Montags entschieden werden.

Brisante Wahlliste

Sollte nur einer der AfD-Politiker bei seiner Bewerbung in Magdeburg falsche Angaben gemacht haben, muss die komplette Wahlliste neu aufgestellt, also neu gewählt werden. Damit rechnen mehrere Verfassungsrechtler. So sagte Michael Brenner, Juraprofessor an der Universität Jena, auf MDR-Anfrage: "Stellt sich der Mangel im Vorfeld der Einreichung der Liste - also vor Einreichung beim Wahlleiter - heraus, so kann eine Bewerberauswechslung nur über ein neues Kandidatenaufstellungsverfahren herbeigeführt werden." Dies gelte auch für die Streichung einzelner Bewerber.

Die AfD sieht das genauso: "Eine Bewerberauswechslung ist ebenso wie eine Änderung der Bewerberreihenfolge nur über ein neues Kandidatenaufstellungsverfahren zulässig. Gleiches gilt für die Streichung einzelner Bewerber", teilte ein Sprecher der Bundesgeschäftsstelle auf MDR-Anfrage mit.

Anlass für die umfassende Prüfung sind Vorwürfe gegen zwei Kandidaten aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg, wovon die Listenplätze zehn und 14 betroffen sind. So soll nach Recherchen von "t-online" Arno Bausemer aus der Altmark bei seiner Bewerbung angegeben haben, über mehrere Jahre als "'Geschäftsführer' eines landwirtschaftlichen Betriebes" gearbeitet zu haben. Mary Khan-Holoch aus Brandenburg soll behauptet haben, "ein Studium der Religionswissenschaften, Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Europarecht absolviert" zu haben. Die Behauptungen beider Kandidaten zweifelt die AfD-Spitze an.

Nervöser Bundesvorstand

Dass die mutmaßlichen Lebenslauf-Betrüger in den eigenen Reihen die Partei-Spitze nervös gemacht haben, zeigt eine Beschlussvorlage des AfD-Bundesvorstands, die dem MDR vorliegt. Darin heißt es: "Politisch haben die Fälle der AfD ohnehin schon immens geschadet. Sowohl innerparteilich - der gesamte Bundesvorstand, insbesondere aber Dr. Alice Weidel stehen seit Wochen damit in der Kritik - als auch in der Außenwirkung."

Darüber hinaus ist in dem parteiinternen Dokument zu lesen: "Wir haben zehn Jahre lang behauptet, anders als die Altparteien zu sein. Wenn wir es nun den Altparteien gleichtun, verletzen wir unsere Parteiregeln, führen wir unsere Grundprinzipien ad absurdum und haben künftig das Recht verwirkt, Kritik an Berufspolitikern in den Altparteien zu üben."

Der Spitzenkandidat

Im Fall des Spitzenkandidaten Maximilian Krah aus Sachsen (Listenplatz 1) hat die Rechtsanwaltskammer Tübingen Ermittlungen aufgenommen. Der Jurist sitzt für die AfD bereits seit 2019 im Europa-Parlament. Die Ermittlungen bestätigten auf Anfrage des MDR sowohl Kammer-Vizepräsident Markus Schellhorn als auch die Rechtsanwaltskanzlei Höcker. Worum es bei dieser Prüfung geht, ist unklar. Schellhorn verweist auf seine Verschwiegenheitspflicht.

Möglicher Anlass für die Prüfung könnte nach MDR-Recherchen die Frage sein, wo Rechtsanwalt Maximilian Krah seinen Kanzleisitz hat, bzw. ob er überhaupt einen hat. Wer nämlich keiner der 28 Kammern in Deutschland einen Kanzleisitz angeben kann, darf sich nicht als Rechtsanwalt bezeichnen.

Der Jurist Maximilian Krah wurde im Jahr 2005 über die Rechtsanwaltskanzlei Solutio Schneider in Biberach in Baden-Württemberg bei der Rechtsanwaltskammer Tübingen als Anwalt eingetragen. So geht es aus dem amtlichen Anwaltsregister hervor. Hintergrund der Kammer-Ermittlungen könnte deswegen ein Interview sein, das Kanzlei-Geschäftsführer Achim Schneider der "Schwäbischen Zeitung" gegeben hatte. Darin hatte der Anwalt mitgeteilt, Krah sei in seiner Kanzlei "null komma null aktiv" und "vermutlich auch noch nie in Biberach" gewesen. "Er ist kein Mitarbeiter/Angestellter unserer Kanzlei und bearbeitet hier auch keine Mandate."

Auf Anfrage des MDR ließ Achim Schneider dazu die auf Medienrecht spezialisierte Kanzlei Höcker mitteilen: "Dass unser Mandant in diesem Punkt möglicherweise gegenüber der Schwäbischen weniger präzise war, ist dem Umstand geschuldet, dass ihm nicht bekannt war, dass es überhaupt objektiv begründete Zweifel an der Tätigkeit Herrn Krahs geben könnte, ihm also der Vorwurf gar nicht bekannt war."

Wenig auskunftsfreudig

Allgemein lässt die Kanzlei Solutio Schneider auf MDR-Anfrage zu ihrer Verbindung mit Maximilian Krah mitteilen: "Herr Krah ist als Rechtsanwalt zugelassen und über die Kanzlei unserer Mandantin eingetragen. Aufgrund seiner Inanspruchnahme durch das politische Mandat nimmt Herr Krah derzeit keine neuen Fälle an, gleichwohl werden selbstverständlich Post, Maileingänge, Rückrufnotizen etc. an Herrn Krah weitergeleitet."

Krah, den seine Partei den Wählern immerhin als Spitzenkandidaten präsentiert, hat mehrere MDR-Anfragen zu seiner Verbindung mit der Kanzlei Solutio Schneider sowie zu den Ermittlungen der Tübinger Rechtsanwaltskammer zunächst ignoriert. Nach Veröffentlichung der MDR-Recherchen allerdings ließ er seinen Büroleiter mitteilen: "Die bezüglich meiner Zulassung aufgeworfenen Zweifel sind absurd." Die Bundesgeschäftsstelle der AfD wollte sich gegenüber dem MDR zur eigenen Kandidaten-Prüfung sowie den Ermittlungen der Kammer ebenfalls nicht äußern und verweist auf die heutige Beratungssitzung des Bundesvorstands.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 18. September 2023 um 05:00 Uhr.