Kampagne "Dritte Option"
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Dritte Geschlechtsoption Nur wenige wollen "divers" sein

Stand: 09.05.2019 13:51 Uhr

Seit einigen Monaten können sich intersexuelle Menschen mit den Geschlecht "divers" registrieren lassen - doch nur wenige nutzen diese Option, wie eine Anfrage der Grünen zeigt. Kritiker sehen Mängel in dem Gesetz.

Am 13. Dezember 2018 hat der Bundestag die Einführung des dritten Geschlechtseintrags beschlossen. Die Regierung kam mit der Gesetzesreform einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach. Seitdem kann ein Mensch in Deutschland offiziell nicht nur weiblich oder männlich sein, sondern auch divers – sofern sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale medizinisch nachweisbar sind.

Nach Schätzungen des deutschen Ethikrats trifft das auf etwa 80.000 Menschen zu. Das Verfassungsgericht berief sich bei seiner Beschlussfindung auf eine Quelle, der zufolge es 160.000 Intersexuelle geben könnte.

Wie eine Kleine Anfrage der Grünen nun ergab, haben sich seit der Reform des Personenstandsgesetzes gerade einmal 69 Menschen als "divers" eintragen lassen, bei drei Kindern wurde diese Option nach der Geburt registriert. Eine Änderung des Vornamens auf Grundlage des neuen Gesetzes beantragten 355 Menschen, etwa 250 wechselten ihren Personenstandes von "männlich" zu "weiblich" oder umgekehrt.

"Transsexuellengesetz quasi überflüssig"

Sven Lehmann, Sprecher für Queerpolitik bei den Grünen, sieht darin nicht einen Misserfolg der Reform: "Seit der Einführung sind erst wenige Monate vergangen", sagt er tagesschau.de. Insbesondere die Tatsache, dass deutlich mehr Menschen eine Personenstandsänderung von "männlich" zu "weiblich" oder umgekehrt beantragt hätten, sei ein gutes Zeichen: "Die Regierung hält noch immer daran fest, dass Menschen psychologische Gutachten vorlegen müssen, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu können."

Sven Lehmann

Der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann sieht beim Personenstandsgesetz und dessen Umsetzung noch deutlichen Verbesserungsbedarf.

Dies wird im Transsexuellengesetz von 1981 bestimmt, das insbesondere die Union beibehalten will. Durch die Neuregelung des Personenstandsgesetzes von 2018 reiche nun ein Attest oder eine Erklärung, die auch auf der selbst empfundenen Geschlechtlichkeit basieren kann, was das Transsexuellengesetz quasi überflüssig mache, sagt Lehmann. Trotzdem schreckten viele Intersexuelle noch davor zurück, sich formal registrieren zu lassen - oft aus Angst vor Diskriminierung.

"Die Gesellschaft ist noch nicht frei von Diskriminierung, es ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig", meint Lehmann gegenüber tagesschau.de. So müssten Regierung und Behörden in ihrer Kommunikation deutlich machen, dass es mehr als zwei Geschlechter gebe. Auch die statistischen Erfassungen seien bisher nicht an diese Tatsache angepasst.

Viele Hindernisse für den Eintrag

Der Bundesverband Intersexuelle Menschen sieht bei den Standesämtern noch "große Unsicherheit". da es bisher keine Durchführungsverordnung zu dem Gesetz gibt. Zudem befürchteten Menschen mit Varianten der geschlechtlichen Entwicklung, durch den Passeintrag vor allem im Ausland diskriminiert zu werden.

Generell spiele der Personenstand eine untergeordnete Rolle für die Interbewegung, erklärt der Interessenverband: "Das Vertrauen in den Staat, die Politik und in die Gerichte ist gering." Die Forderung eines ärztlichen Attests würde Intergeschlechtlichkeit zudem weiterhin pathologisieren. Der Verband sieht in der Gesetzreform daher "möglicherweise ein erster Schritt in eine richtige Richtung, aber ganz sicher nicht den 'großen Wurf'".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 26. April 2019 um 05:00 Uhr.