Startschuss für Neonazi-Register Eine Datei mit vielen Ordnern

Stand: 19.09.2012 12:54 Uhr

Als Konsequenz aus den Ermittlungspannen rund um den rechtsextremen NSU hat Innenminister Friedrich die Neonazi-Verbunddatei in Betrieb genommen. Sie speichert Informationen über Rechtsextreme. Zugriff haben Polizei und Geheimdienste. Brisante Inhalte fehlen aber in der Datei.

Von Christoph Grabenheinrich, ARD Berlin

Von Christoph Grabenheinrich, SR, ARD-Hauptstadtstudio

Ministeriumsintern ist von einem Kommunikations-Anbahnungs-Instrument die Rede - sperriges und auch verharmlosendes Behördendeutsch für die sogenannte Verbunddatei Rechtsextremismus, die direkte Folge der massiven Ermittlungspannen bei der Mordserie des NSU ist.

Sie soll sicherstellen, "dass wir die rechtsextremistischen Strukturen rechtzeitig erkennen, dass wir die identifizieren können, die Angst und Schrecken verbreiten. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass wir den Informationsaustausch zwischen den Behörden noch stärker verbessern", erklärt Innenminister Hans-Peter Friedrich.

Meilenstein oder Mosaiksteinchen?

Für ihn ist die Datei ein Meilenstein im Kampf gegen Rechtsextremismus, für andere nur ein Mosaiksteinchen. In Kraft gesetzt wurde sie aber durch eine breite parlamentarische Mehrheit. Das Entsetzen über Behördeneifersüchteleien, über Informationsverweigerung und die daraus resultierende Blindheit von Sicherheitsdiensten und Strafverfolgungsbehörden war groß.

"Wir waren zu unaufmerksam, wir haben vorhandene Informationen nicht in einer geeigneten Weise immer und regelmäßig zusammengeführt", so SPD-Innenexperte Michael Hartmann.

CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach betont: "Es darf nicht mehr so sein, dass Sicherheitsbehörden denken: Mein Tatort, meine Zuständigkeit, mein Fall, ich weiß etwas, das Du nicht weißt. Entscheidend ist, dass wir die Erkenntnisse so zusammenführen, dass wir ständig komplette Lagebilder in der ganzen Bundesrepublik Deutschland erstellen können." Dafür soll die neue Datei sorgen.

Grunddaten stehen sofort zur Verfügung

Verfassungsschutzämter und Polizeibehörden von Bund und Ländern sowie der militärische Abschirmdienst sind verpflichtet, ihre Erkenntnisse über gewaltbereite Rechtsextremisten bereitzustellen. Zugriff haben sie sofort auf Grunddaten wie Name, Geburtsdatum und Anschrift.

CDU-Innenexperte Clemens Binninger erklärt: "Es dauert nicht mehr neun Monate bis die bayerischen Ermittler vom bayerischen Verfassungsschutz oder die hessischen Ermittler vom hessischen Verfassungsschutz Informationen über rechte gewaltbereite Gruppierungen bekommen. Sondern, es ist dann innerhalb von wenigen Sekunden und Minuten möglich."

Weiterführende Informationen auf Antrag

Informationen wie Telefonanschlüsse, Konten, Haftbefehle oder Waffenbesitz können erst nach einem entsprechenden Antrag abgerufen werden. Für Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist das ein guter rechtsstaatlicher Kompromiss: "Gerade weil wir nicht eine allgemeine Volltextdatei mit Vermischung der Erkenntnisse von Polizei und Verfassungsschutz haben, haben wir ja diesem Trennungsgebot Rechnung getragen." Die Grünen fürchten allerdings, dass im Eilfall das Trennungsgebot umgangen werden könnte.

Die Datei soll keine Gesinnungsdatei sein. Mitgliedschaft in der NPD oder rechtes Gedankengut allein reichen nicht, um gespeichert zu werden. Sehr wohl aufgenommen werden aber die Daten von mutmaßlichen Drahtziehern oder Hintermännern, regelmäßigen Kontaktpersonen von gewaltbereiten Rechtsextremisten also.

Keine Hinweise auf V-Mann-Tätigkeit

Hinweise darauf, ob jemand als V-Mann eingesetzt wurde, fehlen hingegen. Das seien zu sensible Daten, heißt es im Innenministerium. Für die Petra Pau (Linkspartei) ist das ein Unding: "Wenn das Bundesinnenministerium bei der V-Leute-Praxis bleibt und gleichzeitig aber die Verwertung der Informationen, die aus der Szene kommen ausschließt, dann kann man die Datei auch gleich wieder zumachen", warnte Pau.

Vier Jahre Zeit für intensive Analysen

Nur mithilfe der Datei ließen sich schwere Gewalttaten von rechts verhindern, Personengeflechte aufzeigen, argumentiert BKA-Chef Jörg Ziercke. Auf vier Jahre begrenzt ist zunächst die Möglichkeit, die Datei für intensive Analysen zu nutzen. "Also zum Beispiel wie ist es mit der Waffen- und Sprengstoffverfügbarkeit in einem bestimmten geografischen Bereich was die rechtsextreme Szene angeht? Welche Hinweise haben wir aus der Gesamtauswertung auf bestimmte Aufenthaltsorte, Beziehungsgeflechte zwischen Verdächtigen, die bundesweit eine Rolle spielen, die auch über ein Bundesland hinausgehen natürlich, auf Reiseaktivitäten? Das wären ganz konkrete Beispiele für solche Analyseprojekte", so Ziercke.

Innenminister Friedrich wird heute den offiziellen Startschuss für die Datei geben, getragen von einer Hoffnung: "Wenn es uns gelingt, auch nur eine Tat zu verhindern, dann hat sich alles gelohnt, auch die Einrichtung dieser Verbunddatei", so Friedrich.