
Sondierungen in Berlin Von wegen Stillschweigen
Stand: 09.01.2018 03:35 Uhr
Nun sind doch erste Details der Sondierungen nach außen gedrungen: Laut Parteikreisen wollen Union und SPD das deutsche Klimaziel für 2020 aufgeben. Außerdem verlautete, dass es bei der Steuerpolitik erhebliche Differenzen gebe. Offiziell wurden die Einzelheiten nicht kommentiert.
Eigentlich hatten die Teilnehmer Stillschweigen vereinbart - trotzdem sind erste Zahlen und Ziele von den Sondierungen nach außen gedrungen. So sollen Union und SPD sich darauf geeinigt haben, in einer neuen Großen Koalition die ohnehin nicht mehr erreichbaren Klimaziele für 2020 offiziell aufzugeben.
Allerdings sei ein Maßnahmenpaket geplant, durch das die Lücke zu den Zielen so weit wie möglich geschlossen werden soll. Das sieht nach Informationen aus Sondierungskreisen die Einigung der Arbeitsgruppe "Energie, Klimaschutz, Umwelt" vor. Offiziell hält Deutschland bis heute am Vorhaben fest, seinen Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Grüne, Linke und Umweltverbände reagierten mit einem Aufschrei, die FDP positiv.
Laschet berichtet über Einigung in Energiepolitik
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), federführender CDU-Unterhändler in der entsprechenden Arbeitsgruppe, teilte nur soviel mit: Man habe sich in Sachen Energiepolitik geeinigt. "Ich kann Ihnen heute berichten, dass wir mit den Sozialdemokraten innerhalb von zwei Sitzungen das Thema Energiepolitik abgeschlossen haben", sagte Laschet am Abend in Düsseldorf. Bei den letztlich gescheiterten Jamaika-Sondierungen hätten Union, Grüne und FDP noch zäh über die Energiepolitik verhandelt, mit der SPD sei dies nun kein Streitthema gewesen. Weitere Details nannte Laschet nicht.
Der heutige Sondierungs-Berichterstatter, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer (CDU), sagte in Berlin, es habe insgesamt deutliche Fortschritte gegeben, die Arbeitsgruppen hätten aber Zwischen- und nicht Endergebnisse vorgelegt. "Es ist nichts vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist." Dies betreffe auch den Klimaschutz, der für alle Seiten hohe Bedeutung habe.
Die SPD zeigte sich denn auch irritiert über Laschets Einigungsaussage. "In der SPD herrscht Erstaunen darüber, dass ein professioneller Verhandler wie Armin Laschet sich nicht an diese Regel hält", sagte ein Parteisprecher. Grosse-Brömer betonte weiter: "Es werden auch noch anstrengende Verhandlungen erforderlich sein, bevor man am Donnerstag ein Sondierungspapier abschließend beraten kann."
Aktionsplan zum schrittweisen Ausstieg
Zuerst hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) über das ihm vorliegende Ergebnispapier berichtet. Zugleich solle eine Kommission einen Aktionsplan zum schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung erarbeiten, berichtete das RND.
Auf eine solche Kommission hatte sich die jetzt noch geschäftsführende Große Koalition bereits nach langem Hin und Her im November 2016 geeinigt, als Teil des Klimaschutzplans 2050. Offiziell hält Deutschland bis heute am Vorhaben fest, seinen Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 reduzieren zu wollen. Allerdings ist schon seit längerem absehbar, dass diese Zielmarke kaum noch erreichbar ist.
Das Ziel ist nicht im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens vereinbart, sondern wurde 2007 von der damaligen Großen Koalition als nationales Ziel gesetzt. Seitdem hat sich jede neue Bundesregierung dazu bekannt. Insbesondere CDU und SPD tun sich schwer, die Kohleverstromung zugunsten des Klimaschutzes massiv zurückzufahren. Sie befürchten in dem Fall hohe Arbeitsplatzverluste an ihren Kohlestandorten in West- und Ostdeutschland. "Das kurzfristige Ziel für 2020 wird aus heutiger Sicht nicht mehr erreicht werden", heißt es laut RND im Papier der Arbeitsgruppe.
Union und SPD wollen offenbar deutsches Klimaziel für 2020 aufgeben
tagesschau24 10:00 Uhr, 09.01.2018, Marcus Overmann, ARD Berlin
Debatte über Spitzensteuersatz
Als großer Brocken stellt sich nach dpa-Informationen die Steuerpolitik dar. Wie die Nachrichtenagentur aus aus Verhandlungskreisen erfahren haben will, lehnt die CDU die Forderung der SPD nach einer schrittweisen Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent ab. Die Erhöhung um 3 Punkte soll demnach nach SPD-Vorstellungen als Ausgleich für die Pläne dienen, die Einkommen, ab denen der Spitzensteuersatz von bisher 42 Prozent gilt, von knapp 55 000 Euro auf 60 000 Euro Jahreseinkommen anzuheben.
Aus der Wirtschaft wurden Warnungen vor einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes laut. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, befand: "Wer in diesen Zeiten über Steuererhöhungen auch nur nachdenkt, betreibt ein gefährliches Spiel." Aktuell liegt der Spitzensteuersatz bei 42 Prozent ab einem Jahreseinkommen von 54.950 Euro, hinzu kommt der Steuersatz von 45 Prozent ab 250.000 Euro.
Begrenzte Finanzspielräume
Zuvor hatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bei seinem Eintreffen zu den Verhandlungen vor einer Umverteilung von Steuergeldern und zusätzlichen Belastungen für Unternehmen gewarnt. Der CDU-Politiker sagte: "Ich finde, Politik besteht nicht darin, möglichst viel Steuergeld auszugeben, sondern Freiräume für zukünftige Generationen zu ermöglichen." Auf welche konkreten Pläne bei den Sondierungen zwischen Union und SPD sich Kretschmer genau bezog, blieb unklar.
Unionsfraktionschef Volker Kauder versuchte umgehend, die Äußerungen Kretschmers einzufangen und bezeichnete sie ausdrücklich als nicht berechtigt. Der Finanzrahmen, von dem man ausgehe, sei nicht höher als bei den gescheiterten Verhandlungen mit FDP und Grünen über eine Jamaika-Koalition. CDU-Vize Julia Klöckner sagte: "Wir wissen um die begrenzten Finanzspielräume und sind guter Dinge."
Steuern und Europa
SPD-Chef Martin Schulz ging auf die Äußerungen Kretschmers nicht weiter ein. Die SPD will nicht nur den Spitzensteuersatz anheben, sondern auch Erben und Reiche stärker zur Kasse bitten, um unter anderem Arbeitnehmer zu entlasten. Der Solidaritätszuschlag soll zunächst nur für untere und mittlere Einkommen abgebaut werden. Das dürfte eine Einigung schwierig machen.
Wichtige Länder wie die USA, Großbritannien und Frankreich wollten ihre Steuern für Unternehmen deutlich verringern. Schulz verlangte von einer möglichen neuen Bundesregierung mit CDU und CSU eine aktivere, gestaltende Rolle für Deutschland in der Europäischen Union. Er erhoffe sich dazu in den Sondierungen Ergebnisse, die Deutschland "wieder zum Motor der Europapolitik" machten, sagte er.
Schulz, die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer berieten auch über Europa. Vor Beginn der Sondierungen waren bei diesem Thema gegensätzliche Positionen deutlich geworden - vor allem zwischen der SPD, die eine weitere Vertiefung der Integration bis zu Vereinigten Staaten von Europa anstrebt, und der CSU, die dies ablehnt.
Sondierungen: Klimaschutz kommt später
Martin Mair, ARD Berlin
08.01.2018 19:11 Uhr
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