Interview

Interview mit dem deutschen JCC-Repräsentanten ''Das Entscheidende ist die Gerechtigkeit''

Stand: 24.08.2007 22:30 Uhr

Georg Heuberger ist der deutsche Repräsentant der Jewish Claims Conference (JCC). Die JCC vertrat die ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiter bei den Verhandlungen über das Stiftungsgesetz. Im Gespräch mit tagesschau.de schildert er die zähen Verhandlungen und die vielfältigen Auswirkungen der Entschädigungszahlungen.

tagesschau.de: Herr Heuberger, wie haben Sie die Verhandlungen zwischen Regierung und Wirtschaft über das Stiftungsgesetz in Erinnerung?

Georg Heuberger: Wirtschaftsvertreter verstehen natürlich etwas von ihrem Geschäft. Da ging das große Feilschen los. Da musste jedes Zugeständnis abgerungen werden, teilweise mit Druck von der Regierung. Es war nicht so, dass die Wirtschaft gesagt hätte: Hurra, jetzt dürfen wir endlich unsere Zwangsarbeiter entschädigen - eher im Gegenteil. Ich glaube, viele Unternehmen hätten ohne die drohende Sammelklage aus den USA versucht, im Alleingang zu entschädigen, in Relation zum Anteil ihrer eigenen Zwangsarbeiter.

Die Wirtschaft brachte relativ früh die Bedingung auf, dass das Verfahren Rechtsicherheit garantieren, also künftige Klagen verhindern sollte. Das war sehr klug. Die Verhandlungen zogen sich dadurch natürlich unheimlich in die Länge, aber ich glaube, ohne diesen Punkt wäre es schwerlich zu dem gemeinsamen Topf gekommen. Unter den damaligen Bedingungen waren 10 Milliarden D-Mark ein ansehnlicher Betrag. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte die Claims Conference niemals akzeptiert.

tagesschau.de: Dennoch: Entschädigungszahlungen im engen juristischen Sinne waren das ja nicht.

Heuberger: Richtig. Ich mag das Wort auch nicht. Niemand kann den Menschen das Leid nehmen, das sie erlitten haben. Die Schuld wird nie ganz abgegolten sein. Aber es ist ein politischer Begriff, der auch von Forschern und von den Überlebenden selbst verwendet wird. Ich kann ja nicht mein ganzes Leben damit verwenden, ständig Anführungszeichen zu setzen.

tagesschau.de: Wie haben die Berechtigten die Zahlungen aufgenommen?

Heuberger: Sie haben es als ihr Recht betrachtet. Ich kann nicht sagen, dass uns, als Vermittler zwischen Stiftung und ehemaligen Zwangsarbeitern, besondere Dankbarkeit entgegengeschlagen wäre. Die Empfänger des Geldes haben Schlimmes erlebt, schwer gearbeitet. Nun bekamen sie, 60 Jahre später, eine bescheidene Einmalzahlung dafür.

Natürlich trafen die Zahlungen oft auf eine Bedürftigkeit. Es ist nicht so, dass alle ehemaligen Zwangsarbeiter in Wohlstand leben. Der Kernpunkt ist aber für mich: Es ist eine späte, aber sehr, sehr wichtige Anerkennung. Viele ehemalige Verfolgte berichten von einem Gefühl der psychischen Einsamkeit. Das hat die Geste der Entschädigung zumindest gelindert. Viele fühlen sich jetzt eher als Verfolgte anerkannt und weniger als jemand, von dem niemand Kenntnis nimmt und um den sich niemand kümmert.

Diese Zahlungen sind auch in den Familien von großer Wichtigkeit, auch für die Kinder und die Enkel. Da ist ein Diskurs in Gang gekommen, die Zwangsarbeit ist sozusagen bewiesen, schwarz auf weiß. Und die Geste der Entschädigung hat das Deutschlandbild der nachfolgenden Generationen geprägt, vor allem der Enkel: Natürlich ist der Holocaust nicht heilbar, aber das, was heute überhaupt erbracht werden kann, nämlich eine Anerkennung und eine materielle Entschädigung, das hat Deutschland erbracht. Das ist ganz fundamental für die Versöhnung. Sie können nicht versöhnen, wenn Sie nicht anerkennen, was war. Und diese Anerkennung, wenn sie mit materiellen Leistungen verbunden ist, ist die konkreteste Form der Anerkennung. Das Entscheidende ist die Gerechtigkeit.

Das Interview führte Nicole Diekmann, tagesschau.de.