Massive Kritik an G8-Polizeieinsätzen Ging Sicherheit vor Grundrechten?

Stand: 12.06.2007 16:06 Uhr

Die Polizei ist zufrieden mit ihren Einsätzen rund um den G8-Gipfel. Anwälte, Grundrechtebobachter und ai werfen den Behörden dagegen eskalierendes Verhalten vor. Sie untersuchen zudem Berichte über den Einsatz von Bundeswehr-Hubschraubern.

Von Britta Scholtys, tagesschau.de

Die Polizei-Sondereinheit Kavala zieht eine positive Bilanz der Einsätze und spricht von einer "erfolgreichen Deeskalation" bei den Demonstrationen und Blockaden. Doch Anwälte, Grundrechtebeobachter und Menschenrechtsaktivisten zeichnen ein weniger rosiges Bild. "An vielen Stellen war das Verhalten der Polizei deutlich eskalierend", sagt Juristin Elke Stevens vom Komitee für Grundrechte und Demokratie zu tagesschau.de .

Die Polizei habe bei den Protesten am 2. Juni in Rostock die Eskalation befördert, indem die so genannten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten immer wieder tief in die Versammlung eindrangen und filmten. Auch die hochgerüsteten Polizeieinheiten und fünf Wasserwerfer zu Beginn der genehmigten Demonstration am 4. Juni in Rostock passe nicht zu einer "Deeskalationsstrategie", kritisiert Stevens. Die Juristin begleitete während der Gipfel-Protesttage zusammen mit insgesamt 30 Beobachtern des Komitees für Grundrechte und Demokratie die Einsätze der Polizei, die mit mehr als 17.000 Beamten an den verschiedenen Gipfel- und Demo-Orten vertreten war.

Unerklärliche Verletztenzahlen

Für die Grundrechtebeobachterin steht fest: Die zahlreichen Fehlinformationen durch die Polizei hätten eskalierend gewirkt. Dass die Sonderbehörde Kavala zum Beispiel zunächst von zehn schwerverletzten Polizisten nach der Demonstration vom 2. Juni und erst Tage später die Zahl auf zwei korrigiert habe, sei ebenso bedenklich wie der später entkräftete Vorwurf, die Aktivisten der "Clowns Army" hätten mit Säure in ihren Spritzpistolen Polizisten verletzt. "Solche Meldungen wirken verunsichernd auf die eingesetzten Polizisten", sagt Stevens. Und das schüre Eskalation.

Dementi und dann doch: Zivilpolizist in schwarzem Outfit

Auch die Informationspolitik zum Thema Zivilpolizisten sei fragwürdig. Zwei Tage dauerte es, bis die Polizei-Sondereinheit Kavala den Einsatz von Zivilbeamten bei der Blockade am Sicherheitszaun von Heiligendamm einräumte. Bis dahin wies sie jegliche Berichte zurück, Beamte hätten als schwarz gekleidete Protest-Aktivisten an der Blockade vom 6. Juni teilgenommen - übrigens auch gegenüber tagesschau.de. "Die Geschichte ist uns völlig unbekannt", antwortete Kavala-Pressesprecher Wolfgang Benzer einen Tag nach der Protestaktion am Zaun auf unsere Frage nach dem Einsatz von Beamten, die sich in Zivil unter die Demonstranten mischten. Das gehöre nicht zur Einsatzkonzeption, so Benzer.

Am 8. Juni korrigierte Kavala dann das Dementi: Ein "in Zivil eingesetzter Beamter aus der Hansestadt Bremen" sei von anderen Blockadeteilnehmern aus Bremen "erkannt, angegriffen und gewaltsam aus der Menschenmenge gedrängt" worden, teilte die Polizei dann der Presse mit. Der Einsatz solcher ziviler Kräfte sei Bestandteil der Deeskalationsstrategie und diene "ausschließlich der beweiskräftigen Feststellung von Gewalttätern", hieß es.

Fragwürdiger Auftritt im Autonomen-Outfit

Dass Augen- und Ohrenzeugen berichteten, sie hätten gesehen und gehört, wie Zivilpolizisten in schwarzem Autonomen-Outfit zu Straftaten und Störungen anstiften wollten, weist Kavala bis heute als falsch zurück. Diese Behauptungen entbehrten jeglicher Grundlage, so die Polizei. Ob auch diese Angabe möglicherweise korrigiert werden muss, wird sich in den kommenden Wochen nach den Auswertungen von Aussagen, Fotos und Protokollen der Grundrechtebeobachter zeigen.

Bundeswehr-Einsatz im Inneren?

Juristin Stevens beurteilt den Einsatz von Undercover-Beamten im Autonomen-Outfit an sich schon als "rechtlich äußerst fragwürdig". Denn das behindere das Recht der freien Kommunikation der Demonstranten untereinander. Würde sich herausstellen, dass tatsächlich von Seiten der Zivilbeamten Provokationen ausgegangen seien, sei das ebenso illegal wie der angebliche Einsatz der Bundeswehr. Nach Angaben der Grundrechtebeobachterin liegen Zeugenaussagen vor, wonach Bundeswehrhubschrauber über dem Anti-G8-Camp Reddelich gekreist seien. "Das wird noch überprüft", sagt Stevens.

Fragwürdige rechtliche Standards

Rechtliche Schritte unternahmen bereits die Notdienstanwälte vom "Legal Team": Der dazu gehörende Republikanische Anwältinnen- und Anwaltsverein (RAV) erstattete Anzeige wegen einer menschenunwürdigen Unterbringung der Gefangenen in den Sammelstellen.

Rechtswidrig sei, dass viele Gefangene bis zu 40 Stunden in Gewahrsam waren, anstatt "unverzüglich" einem Richter vorgeführt zu werden, erklärt "Legal Team"-Sprecher Martin Dolzer auf Anfrage von tagesschau.de. Und auch die Behinderung der Arbeit der Anwälte und "gezielte Desinformationspolitik durch die Polizei" gegenüber Mandanten und Anwälten widersprächen den rechtlichen Standards, so Dolzer.

Gefangene illegal untergebracht?

Die Polizei wiederum sieht das anders. In den Gefangenensammelstellen (GeSa) seien die "geltenden Standards zu jeden Zeitpunkt gewährleistet" worden, teilte Kavala mit. Das jedoch klingt in den Ohren der Anwälte und auch der Aktivisten der Menschenenrechts-Organisation Amnesty International (ai) wie Hohn. Zwar sei der Hinweis der Polizei richtig, dass ai am 1. Juni die noch leeren Käfigzellen in den GeSas besichtigt und für akzeptabel befunden habe.

Allerdings widerspreche die Praxis der übervollen GeSas, der 24-stündigen Dauerbeleuchtung und der erschwerten Kontaktaufnahme der Anwälte mit den Gefangenen eindeutig dem, was die Polizei vorab ai zugesichert habe, sagt ai-Sprecher Dawid Bartelt. Es gebe Fälle des "Missbrauchs von Polizeigewalt", sagt er zu tagesschau.de. Diese müssten nun überprüft werden.

1057 Demonstranten in Gewahrsam

Bis Anwälte, ai und die Grundrechtekommission alles geklärt haben und möglicherweise weitere rechtliche Schritte einleiten, wird noch einige Zeit vergehen. Nach offizieller Kavala-Bilanz wurden insgesamt 1057 Demonstranten in Gewahrsam genommenen und nach Gipfel-Ende wieder frei gelassen. Acht Personen wurden im Schnellverfahren verurteilt, zwei Demonstranten sitzen momentan noch in U-Haft.