Hintergrund

Mögliche Szenarien für die Regierungsbildung Was wäre, wenn …

Stand: 25.09.2013 16:26 Uhr

Derzeit ist keine schnelle Koalitionsbildung absehbar. Trotzdem ist Deutschland nicht ohne Regierung: Die Väter des Grundgesetzes haben für fast alle Eventualitäten Vorsorge getroffen. Am Ende könnten jedoch Neuwahlen stehen.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Von Frank Bräutigam, SWR, ARD-Rechtsexperte

Egal wie eine Bundestagswahl ausgeht - nach dem Wahlabend bleibt ein Bundeskanzler/eine Bundeskanzlerin automatisch solange im Amt, bis der neu gewählte Bundestag erstmals zusammentritt. Das muss laut Grundgesetz spätestens dreißig Tage nach der Wahl passieren, also bis zum 22. Oktober. Mit Zusammentritt des neuen Bundestages endet das Amt des Bundeskanzlers (Artikel 69 Absatz 2 Grundgesetz).

Aber: Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen (Artikel 69 Absatz 3). Wenn die Koalitionsverhandlungen bis zur konstituierenden Sitzung des Bundestages also noch nicht abgeschlossen sind, bliebe Angela Merkel bis zur Kanzlerwahl "geschäftsführende Bundeskanzlerin".

Der Bundespräsident schlägt vor

Die Wahl des Bundeskanzlers funktioniert dann folgendermaßen: Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag gewählt (Artikel 63 Absatz 1 Grundgesetz). Die Initiative geht also vom Bundespräsidenten aus. Faktisch wird er abwarten, auf welchen Kandidaten oder welche Kandidatin sich die parlamentarische Mehrheit in möglichen Koalitionsverhandlungen verständigt hat.

Wichtig: Eine bestimmte Frist für den Vorschlag des Bundespräsidenten legt das Grundgesetz nicht fest. Es ist allgemein akzeptiert, dass er seinen Vorschlag binnen angemessener Zeit machen muss. Hierbei darf der Bundespräsident durchaus auf die Dauer intensiver Koalitionsverhandlungen Rücksicht nehmen.

Irgendwann könnte er den Druck erhöhen, indem er einen Vorschlag ankündigt. Spätestens, wenn Koalitionsverhandlungen ausdrücklich gescheitert sind, muss der Bundespräsident seiner Vorschlagspflicht nachkommen.

Bisher klappte es immer mit der Kanzlermehrheit

Liegt sein Vorschlag auf dem Tisch, gilt: Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages bekommt. Diese absolute Mehrheit wird auch als "Kanzlermehrheit" bezeichnet. Bislang ist der Bundeskanzler in der deutschen Geschichte stets im ersten Wahlgang gewählt worden.

Scheitert die Wahl aber an der fehlenden Kanzlermehrheit, beginnt eine zweite Wahlphase. Der Bundestag hat nun 14 Tage lang die Möglichkeit, in Eigeninitiative einen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin vorzuschlagen und zu wählen. Nötig ist wieder die Kanzlermehrheit.

Nach Ablauf der 14 Tage ohne gewählten Kanzler beginnt die dritte und letzte Wahlphase. Unverzüglich muss ein neuer Wahlgang stattfinden, die Vorschläge kommen wie in Phase zwei aus der Mitte des Bundestages. Gewählt ist, wer die meisten Stimmen bekommt. In diesem Fall braucht man also nicht mehr die "Kanzlermehrheit", es genügt die "relative Mehrheit".

In der aktuellen Situation könnte es für Angela Merkel aber sogar schwierig werden, die "relative Mehrheit" zu bekommen. Denn mit den Stimmen von CDU/CSU hätte sich ja nicht die "meisten Stimmen", solange alle anderen Mitglieder des Bundestages mit Nein stimmen würden. Sie bräuchte zumindest einige Enthaltungen, um auf mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen zu kommen.

Trotzdem ist der mit relativer Mehrheit Gewählte keinesfalls automatisch Bundeskanzler, denn es fehlt noch die Ernennung durch den Bundespräsidenten. Hat der Kandidat in der dritten Phase die Kanzlermehrheit erhalten, muss der Bundespräsident ihn zum Bundeskanzler ernennen.

Letzter Ausweg Neuwahl

Bekommt der Kandidat nur die relative Mehrheit, bekommt der Bundespräsident wieder einen gewissen Einfluss. Innerhalb von sieben Tagen muss er sich entscheiden: Entweder er ernennt den gewählten Kandidaten zum Bundeskanzler, oder er löst den Bundestag auf und führt damit Neuwahlen herbei.

Die Ernennung trotz nur relativer Mehrheit würde bedeuten, dass es eine "Minderheitsregierung" gibt. Für jedes Gesetzesvorhaben müsste sich der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin eine Mehrheit im Bundestag besorgen. Er oder sie hätte ansonsten dieselben Rechte wie ein mit absoluter Mehrheit gewählter Kanzler und könnte nur durch ein "konstruktives Misstrauensvotum" gestürzt werden, also: Abwahl durch Wahl eines neuen Kanzlers mit absoluter Mehrheit.

Bei seiner Entscheidung zwischen "Minderheitsregierung" und "Neuwahlen" hat der Bundespräsident einen Ermessensspielraum. Wenn sicher sein sollte, dass die Regierung von einer Mehrheit zumindest toleriert wird, könnte er eher auf Neuwahlen verzichten. Diese kämen zum Beispiel in Betracht, wenn durch die Minderheitsregierung völlig instabile Verhältnisse drohen.