Friedrich Merz und Hendrik Wüst
analyse

Beschlüsse zu Migration Der Spagat der Union

Stand: 08.11.2023 19:41 Uhr

Die Union stellt sieben der 16 Ministerpräsidenten - und die saßen mit am Tisch der Bund-Länder-Runde zur Migrationspolitik. Doch deren Beschlüsse werden aus der Union nun scharf kritisiert. Wie passt das zusammen?

Eine Analyse von Corinna Emundts, tagesschau.de

Nach dem Beschluss der Bund-Länder-Runde zur Migration klingen Unionsvertreter vieldeutig bei der Frage, was sie vom Ergebnis halten. Und das, obwohl die CDU über ihre Ministerpräsidenten stark vertreten war in der Runde - und der hessische CDU-Ministerpräsident Boris Rhein bei der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) den Vorsitz innehat. Somit kann der Unionsmann auch für Beschlüsse und Ergebnisse verantwortlich gemacht werden.

Eine leichte Aufgabe war das sicher nicht, alle 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, davon einer von den Grünen und einer von der Linkspartei, beim Thema Migration auf einen gemeinsamen Weg zu bringen. Bei der Bitte um mehr Unterstützung seitens des Bundes für Flüchtlingskosten waren sich die Länder von Anfang an einig. Heikler war die Frage zu verhandeln, mit welchen Maßnahmen irreguläre Migration begrenzt werden kann. Dass dies geschehen soll, ist inzwischen auch Konsens in der Bundesregierung. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im September um ein parteiübergreifendes Bündnis dazu, den "Deutschlandpakt", geworben.

Tatsächlich fand MPK-Chef Rhein dann auch seiner Rolle entsprechend lobende Worte: "Wir sind einen guten Schritt vorangekommen, damit sind wir zufrieden." Auch wenn er hinzufügte, dass sich die Unionsländer mehr hätten vorstellen können. Ähnlich positiv äußerte sich Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner. Hendrik Wüst, CDU-Landeschef aus Nordrhein-Westfalen wiederum war froh, noch in letzter Minute die Länderrunde davon überzeugt zu haben, dass eine Drittstaatenregelung in den Forderungskatalog an Scholz aufgenommen wurde - und damit schließlich zumindest als Prüfauftrag im Beschluss landete.

Merz erklärt "Deutschlandpakt" für erledigt

Das Papier war nur wenige Stunden alt, da klangen Unionspolitiker schon ganz anders - die Abwertungsmaschinerie lief an. Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz gab sich geradezu sauertöpfisch und kündigte Scholz den "Deutschlandpakt" zum Thema Migration auf, weil der Kanzler es abgelehnt hatte, eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Regierung und Union zur Steuerung der Einwanderung einzusetzen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zeigte sich, wie Merz, skeptisch auf allen Kanälen. Das Papier sei ein kleiner Schritt, es reiche bei weitem nicht.

Daniel Günther, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, änderte seine Wortwahl von einem Tag auf den anderen in Richtung Merz/Linnemann. Sagte er kurz nach der Bund-Länder-Runde noch dem NDR, nach harten Verhandlungen habe man sich auf ein Paket verständigt, mit dem es zu schaffen sei, "zu einer deutlichen Begrenzung des Zuzugs zu kommen", klang er einen Tag später im Deutschlandfunk-Interview ganz anders: Zufrieden sei er nicht, das "sind wir alle erst, wenn wir sehen, dass die beschlossenen Maßnahmen Wirkung entfalten".

"Vertane Chance" und "Klein-Klein"

Für heute hatte die CDU/CSU-Fraktion dann ganz schnell eine "Aktuelle Stunde" im Bundestag zum Thema Migration beantragt - und da ist der MPK-Beschluss in den Worten der Unionsredner nur noch "vertane Chance" und "Klein-Klein". Es ist ein Spagat der Union, die im Bundestag Oppositionsführerin ist, in sieben Bundesländern aber den Regierungschef stellt und in zwei weiteren Juniorpartner ist. Die Politiker der Bundestagsfraktion scheinen den Effekt nicht zu fürchten, mit ihrer Positionierung die Arbeit auch ihrer Ministerpräsidenten kleinzureden.

Die Frage ist, wie das bei den Menschen im Land ankommt bei dem langen Vorlauf. Scholz hatte sich schon zweimal zum Thema mit Merz getroffen, die Länder hatten bereits länger über Migrationspolitik diskutiert, zuletzt im Oktober bei einem Treffen ohne Scholz, danach mit ihm.

In der Nacht zum Dienstag war ein gemeinsamer Beschluss entstanden, an dem alle Unions-Ministerpräsidenten beteiligt waren. In einer länglichen Bund-Länder-Runde und einem mehrfach verlängerten Vortreffen der Länder war eine Einigung verkündet worden, bei der sich alle Seiten bewegt hatten - klassische demokratische Kompromisspolitik.

Mögliche Bedenken, dies nun kleinzureden und damit AfD und Demokratieskeptikern in die Hände zu spielen, weisen die Unionspolitiker zurück. Offenbar haben sie sich für eine konfrontativere Linie entschieden. Statt weiter hinter den Beschlüssen zu stehen und die Handschrift der Union darin hervorzuheben, fordern sie zusätzliche Maßnahmen.

Mit einer solchen demokratiepolitischen Frage könne er nichts anfangen, sagt Thorsten Frei, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion. Die Bürgerinnen und Bürger würden Politik an den Fakten messen und nicht, ob man hinterher gemeinsame Beschlüsse lobe - oder nicht. Die Union steht so nach den Bund-Länder-Beschlüssen weiter zwischen konstruktiver Opposition und Attacke.

Daniel Knopp, ARD Berlin, tagesschau, 09.11.2023 09:37 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 14. Oktober 2023 um 13:45 Uhr.