Ein Schild in den Farben der Ukraine mit der Aufschrift "Welcome" ist am Münchner Hauptbahnhof zu sehen.

Geflüchtete aus der Ukraine Wie bringt man eine Million unter?

Stand: 25.02.2023 11:51 Uhr

Mehr als eine Million Menschen sind seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. In einigen Kommunen funktionieren Unterbringung und Integration, andere rufen nach Hilfe. Wie könnte es besser laufen?

Von Viktoria Kleber, ARD-Hauptstadtstudio

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben noch nie so viele Menschen in Deutschland Zuflucht gefunden wie im vergangenen Jahr - allein mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer flüchteten vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland. In den ersten sechs Monaten nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar kamen besonders viele von ihnen.

In vielen Städten fanden sich Menschen, die am Bahnhof essen verteilten, den Ankommenden den Weg wiesen und sogar Zimmer anboten. "Es gab eine wahnsinnige Hilfsbereitschaft, wie ich sie mir niemals hätte vorstellen können", sagt Innenministerin Nancy Faeser im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

"Wir haben für Unterbringungskosten im letzten Jahr über 3,7 Milliarden zur Verfügung gestellt", Innenministerin Faeser, zu Problematik Flüchtlingswelle

Frank Jahn, ARD Berlin, tagesschau24 19:00 Uhr

Dabei hagelte es zu Beginn Kritik an der Ministerin, als täglich rund 15.000 Neuankömmlinge registriert wurden. Man würde sich zu sehr auf Ehrenamtliche verlassen, Ankunft und Aufnahme müssten besser koordiniert werden, mahnte die Union. "Wir sehen es mit einigem Befremden, wie schlecht organisiert der Bund ist", sagte Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz.

Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer kommen schließlich privat unter. Anders als Schutzsuchende beispielsweise aus Syrien oder Afghanistan werden sie bei der Einreise nicht erst auf Bundesländer und später auf Kommunen verteilt. Sie ziehen in die Städte, in denen Verwandte und Bekannte leben.

"Die Aufnahme bis zum Sommer hat relativ geräuschlos geklappt", sagt Hannes Schammann, Professor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. "Doch private Unterbringung ist auf Dauer oftmals schwierig." Mit dem Auszug von Ukrainerinnen und Ukrainern aus privaten Wohnungen ist der Druck auf die Kommunen im Sommer und Herbst gestiegen: Vielerorts mussten Unterkünfte her, bis heute sind Städte und Kommunen auf der Suche nach mehr Wohnraum.

Ungleiche Verteilung in Deutschland

Dabei ist die Lage in Deutschland regional sehr unterschiedlich. Einige Städte und Kommunen errichten Massenunterkünfte und Zeltstädte und schreien laut um Hilfe. In anderen Kommunen sind noch Betten frei. Ein Grund: Weil Ukrainerinnen und Ukrainer sich aussuchen können, in welcher Stadt sie leben wollen, gibt es Ballungszentren, in denen besonders viele Kriegsflüchtlinge sind.

Zusätzlich kommen Asylsuchende beispielsweise aus Syrien oder Afghanistan, die nach Quote verteilt werden. "Das ist eine Doppelbelastung, die für viele Kommunen nicht mehr zu stemmen ist", sagt Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags.

Doch es gibt auch Städte und Kommunen, die noch Aufnahmekapazitäten haben. "Düsseldorf ist beispielsweise sehr gut organisiert", sagt Migrationsexperte Schammann. "Hier wird über Quote aufgenommen und man ist auch weiter aufnahmebereit." Die Stadt findet trotz angespanntem Wohnungsmarkt Unterkünfte für Geflüchtete und will unter anderem leerstehende Bürogebäude umbauen.

"Einige Kommunen setzen auf das Potential der Geflüchteten. Sie können als Fachkräfte gebraucht werden", sagt Schammann. Dass manche Kommunen überlastet sind und andere nicht, hänge manchmal nicht nur von der Anzahl, sondern auch vom politischen Willen ab.

Neues Verteilsystem als Erleichterung

Damit die Verteilung besser gelingt, hat das Bundesinnenministerium ein sogenanntes Dashboard angekündigt. Aktuelle Daten aus verschiedenen Regionen sollen dort zeigen: Wo sind aktuell Plätze frei? Wer kann noch aufnehmen? Expertinnen und Experten kritisieren, die Plattform komme deutlich zu spät.

Professorin Petra Bendel, Leiterin des Forschungsbereich Migration, Flucht und Integration an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, arbeitet an einer anderen, passgenaueren Plattform. "Match'in" ist ein Algorithmus, der Schutzsuchende und Kommunen nach individuellen Bedürfnissen zueinander bringen soll. "Eine große Familie mit vielen Kindern hat andere Anforderungen an eine Wohnung als ein Mensch im Rollstuhl."

Nicht nur Unterkünfte können mit dem Algorithmus passgenau zusammengefügt werden, auch freie Kita- und Schulplätze und Sprachkurse. Ist jemand chronisch krank und braucht ein Krankenhaus in der Nähe? Hat jemand einen Beruf, der in der Region gesucht wird? Auch das will der Algorithmus berücksichtigen.

Mehr als ein Drittel der Ukrainer möchte bleiben

Im März startet das Pilotprojekt von "Match'In" und übernimmt die Verteilung in vier Bundesländern auf ausgewählte Kommunen. Wenn das Projekt erfolgreich ist, hofft Bendel es auszuweiten. "Hier geht es nicht nur um die Unterbringung, sondern um Integration und damit letzten Endes um unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt."

Denn laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) möchten 37 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland bleiben. 26 Prozent von ihnen für immer, 11 Prozent für mehrere Jahre. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Anteil an Ukrainerinnen und Ukrainern steigt, die dauerhaft in Deutschland bleiben - umso mehr, je länger der Krieg andauert.