Geldscheine liegen in der Einkaufskasse eines Einzelhandelsgeschäfts.
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Debatte um Konjunkturprogramm Besser ohne Schuldenbremse?

Stand: 10.08.2023 13:02 Uhr

Seit Bestehen der Schuldenbremse wird auch über ihre Abschaffung diskutiert. Im Kern geht es dabei um die Frage: Sparen oder Geld ausgeben auf Pump? Wer argumentiert wie?

Die Ausgangslage

Die Konjunktur in Deutschland schwächelt, die Stimmung von Unternehmen und Verbrauchern ist gedrückt. Anders als in europäischen Nachbarstaaten fehlt es hierzulande an wirtschaftlicher Dynamik. Deutschland könnte wieder zum "kranken Mann Europas" werden, warnen Experten bereits. "Krank sind wir nicht, aber etwas untertrainiert", diagnostiziert Wirtschaftsminister Robert Habeck in der "Zeit".

Rufe nach einem staatlichen Hilfsprogramm der Bundesregierung werden lauter, eine neue "Agenda" müsse her, angelehnt an die "Agenda 2010" des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder. Und so trommeln die Grünen für eine "Investitionsagenda" samt Industriestrompreis, die Union fordert ein "Sofortprogramm" für die Wirtschaft, die FDP will mit steuerpolitischen Maßnahmen gegensteuern und nennt ihre Idee "Wachstumschancengesetz". Bleibt die Frage nach der Finanzierung. Soll man neue Schulden aufnehmen, um die Konjunktur anzukurbeln? Wenn es nach Finanzminister Christian Lindner geht, lautet die Antwort: Nein. Doch das sehen nicht alle so. Es wird also wieder an der Schuldenbremse gerüttelt.

Warum gibt es die Schuldenbremse?

Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert (Artikel 109 und 115), sie hat also Verfassungsrang. Vereinfacht gesagt, legt sie fest, dass die Bundesregierung nicht mehr Geld ausgeben darf, als sie durch Steuern einnimmt. Der Haushalt des Bundes ist also grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Das gilt übrigens auch für die Bundesländer. Diese Regelung soll die Staatsverschuldung begrenzen.

Es gibt allerdings einen Spielraum, der für den Bund höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Auch eine symmetrische Berücksichtigung der konjunkturellen Situation ist möglich: In konjunkturell schlechten Zeiten wird die zulässige Nettokreditaufnahme konjunkturbedingt erhöht, in konjunkturell guten Phasen wird sie im Gegenzug reduziert. Die Schuldenregel wurde erstmals im Haushalt 2011 angewendet, für den Bund ist sie seit 2016 bindend. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel verpflichtet, an der Schuldenbremse festzuhalten.

Kann sie in Notsituationen ausgesetzt werden?

Ja. Bei Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen, "die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen", kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden, was 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie geschehen ist und im Jahr darauf wegen der Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Nötig ist immer ein Mehrheitsbeschluss der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Gleichzeitig muss ein Tilgungsplan beschlossen werden, der eine Rückführung der ausnahmsweise bewilligten Kreditaufnahme in angemessener Zeit vorsieht.

Wie kann die Schuldenbremse umgangen werden?

Beispiele für die Umgehung der Schuldenbremse sind die zahlreichen milliardenschweren Sonderfonds, etwa der Corona-Wirtschaftsstabilitätsfonds (WSF), der Energie- und Klimafonds (EKF), der inzwischen unter dem Namen Klima- und Transformationsfonds (KTF) läuft, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds für die Gas- und Strompreisbremse oder auch das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr. Der Vorteil: Die Summen, um die es hier geht, tauchen nicht im regulären Haushalt auf und unterliegen daher auch nicht den Vorgaben der Schuldenbremse. Man lagert die Ausgaben also quasi aus. Für das Sondervermögen Bundeswehr ging die Bundesregierung jedoch auf Nummer sicher und verankerte es im Grundgesetz. Es steht nun in einem neuen Absatz unter Artikel 87a.

Der Wortlaut des neuen Artikels 87a:

"Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."

Kann die Schuldenbremse abgeschafft werden?

Seit ihrem Bestehen existiert auch der Streit über ihre Abschaffung. Dafür wäre aber eine Grundgesetzänderung nötig, also eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag.

Wie argumentieren die Befürworter der Schuldenbremse?

Grundsätzlich ist es durchaus sinnvoll, nicht mehr Geld auszugeben als man hat. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Mit Blick auf die Staatsverschuldung fällt dann auch immer wieder der Begriff der Generationengerechtigkeit. Die Schuldenbremse sei zentrales Instrument für die künftige Handlungsfähigkeit der jungen Generation, sagte etwa Bundesvorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel.

Vor allem für die FDP ist die Schuldenbremse nicht verhandelbar. Entsprechend trimmt Finanzminister Lindner seine Kabinettskollegen auf einen strikten Sparkurs. Der Haushaltsentwurf für 2024 sieht deutliche Ausgabenkürzungen vor. Lindners Botschaft: Der Staat müsse nach Mehrausgaben wegen Corona-Pandemie und Energiekrise wieder lernen, mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger auszukommen. Die Schuldenbremse sei ein Gebot des Grundgesetzes, erinnerte auch Lindners Parteikollege, Justizminister Marco Buschmann: "Man kann sie nicht beliebig einfrieren oder auftauen wie ein Stück Brot. Sie ist eine rechtliche Leitplanke für die Politik und wer es mit dem Rechtsstaat ernst meint, muss sie auch einhalten", schrieb er bei Twitter, das jetzt X heißt.

Auch für die CDU ist die Schuldenbremse Gesetz und damit auch gesetzt. "Die Schuldenbremse ist unverrückbar, die CDU wird davon keinen Millimeter abweichen", sagte Generalsekretär Carsten Linnemann. Seine Partei hatte Finanzminister Lindner zuletzt immer wieder vorgeworfen, durch haushaltspolitische Tricks die Schuldenbremse nur auf dem Papier einzuhalten.

Welche Kritik gibt es an der Schuldenbremse?

Nach Ansicht ihrer Kritiker verhindert die Schuldenbremse wichtige Investitionen. Der Staat spart demnach also an der falschen Stelle, unterlässt kreditfinanzierte Investitionen etwa in Straßen, Schienen, Brücken, Bildung, Energiegewinnung - mit teuren Folgen für künftige Generationen. Die Sparsamkeit heute könnte also die Handlungsspielräume morgen einschränken. Und gerade in Zeiten schwächelnder Konjunktur können Investitionsprogramme der Wirtschaft auf die Beine helfen.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hält die Schuldenbremse für "schädlich". Sie sei "ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Die Bundesregierung müsse "ihre engstirnige Obsession mit der Schuldenbremse in diesen Krisenzeiten aufgeben". Er empfahl stattdessen eine Mindestgrenze für ökologische, wirtschaftliche und soziale Investitionen, damit Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig blieben. Für den Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, ist die Schuldenbremse eine "Steuersenkungsbremse".

Auch die Gewerkschaften rütteln an der Schuldenbremse. Es sei falsch, "mitten in der Transformation auf die Schuldenbremse zu pochen", sagte DGB-Chefin Yasmin Fahimi. Nötig seien Milliardeninvestitionen in die soziale Infrastruktur. "Wir sind im Pflegenotstand, wir laufen auf eine Bildungskatastrophe zu, wenn nicht endlich mehr investiert wird." Das gefährde den sozialen Zusammenhalt und damit auch die Demokratie.

Weniger eindeutig äußert sich die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen: Eine Aussetzung der Schuldenbremse, um Konjunkturprogramme zu finanzieren, wäre keine gute Idee, sagte die Vorsitzende Monika Schnitzer der "Süddeutschen Zeitung". Am ehesten wäre an eine Aussetzung zu denken, wenn der Staat dann den Wohnungsbau und die energetische Gebäudesanierung vorantreiben würde.

Wo steht die Ampel in dieser Frage?

Kommt drauf an, wen man fragt. Der Kanzler findet mit Blick auf den Haushalt und das Geld: Die Regierung sei durch die Einhaltung der Schuldenbremse wieder "auf der richtigen Umlaufbahn". Olaf Scholz war vor seinem Kanzlerleben oberster Haushälter in der Großen Koalition und verantwortete 2019 einen ausgeglichenen Haushalt und danach dann den kreditfinanzierten Krisen-Etat. Als Kanzler bekannte er sich zum Einhalten der Schuldenbremse jetzt und in den nächsten Jahren, so wie es auch im Koalitionsvertrag vereinbart ist.

Auch Vize-Kanzler Robert Habeck ging zuletzt davon aus, dass die Schuldenbremse bis zum Ende der Legislaturperiode eingehalten werde, "vorausgesetzt, es passiert nichts Unvorhergesehenes". Ein klares Bekenntnis zur Schuldenbremse ohne Wenn und Aber gibt es aber nur von der FDP.

Warum entbrennt die Debatte jetzt erneut?

Weil weiterhin Krise ist. Und auch Krisenstimmung. Die Wirtschaft lahmt, die Politik steht vor riesigen Aufgaben, Deutschland zukunftsfähig zu machen. Das betrifft den Klimaschutz, die Energiegewinnung, die Landesverteidigung, die Digitalisierung. Transformation lautet das Zauberwort. Was liegt da näher, als die Schuldenbremse erneut auszusetzen - oder gleich ganz abzuschaffen, wie es die Linkspartei fordert.

Ein Vorstoß kam nun aus Berlin, ausgerechnet von einem CDU-Politiker. Kai Wegner, Berlins Regierender Bürgermeister forderte, die Schuldenbremse für fünf Jahre auf Eis zu legen, um Investitionen in neue Schulen, die Wohnungsbauförderung und Hilfen für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung zu ermöglichen. Nur so könne man den Industriestandort Deutschland sichern und stärken. Unterstützung bekam Wegner von seiner Stellvertreterin in Berlin, SPD-Politikerin Franziska Giffey. Auch vereinzelte SPD-Bundestagsabgeordnete begrüßten den Vorstoß. Die CDU fing Wegners Vorschlag schnell wieder ein. So war es bislang nicht mehr als ein Testballon. Der aber reichte aus, um die Debatte wieder zu befeuern.

Es bleibt die Frage, wie eventuelle Konjunkturprogramme finanziert werden könnten. Neben der Kreditaufnahme bliebe noch eine Erhöhung auf der Einnahmenseite. Doch ähnlich allergisch wie auf die Aussetzung der Schuldenbremse reagiert die FDP auf Steuererhöhungen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. August 2023 um 12:00 Uhr.