Annalena Baerbock und Olaf Scholz
Analyse

Deutsche Außenpolitik Wo es bei Scholz und Baerbock knirscht

Stand: 17.02.2023 13:06 Uhr

Das Verhältnis von Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock erscheint angespannt - vor allem seit der Zeitenwende. Die Frage dahinter ist: Wer prägt eigentlich die deutsche Außenpolitik?

Eine Analyse von Christian Feld, ARD Berlin

Der Bundeskanzler fasst den Anspruch seiner Regierung in eine kompakte Formel: "So viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein." Es ist der 19. Februar 2022. Olaf Scholz droht bei der Münchner Sicherheitskonferenz Russland mit drastischen Konsequenzen im Falle eines Angriffs auf die Ukraine, signalisiert aber weiterhin Verhandlungsbereitschaft. Auf derselben Bühne hatte Annalena Baerbock am Vortag gesagt, sie tue alles für den Dialog - "zusammen mit meinem Kanzler". Waffenlieferungen? In "diesem Moment" stehe nicht an, den Kurs um 180 Grad zu verändern.

Der Moment kam wenige Tage danach. Zeitenwende. Seitdem zeigt sich: Die Positionen von Kanzler und Außenministerin sind nicht immer deckungsgleich. Und das betrifft nicht nur die Waffenlieferungen. Das Verhältnis der beiden erscheint zumindest angespannt. Die damit verbundenen Fragen sind nicht gänzlich neu: Wer prägt eigentlich die deutsche Außenpolitik? Wieviel Freiraum hat dabei die Außenministerin?

Reicht Baerbock ein Freiraum in der Nische?

Nachgefragt bei Christoph Heusgen, dem neuen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Seit 1980 war er als Diplomat tätig, lange Zeit als außen- und sicherheitspolitischer Berater von Angela Merkel. Zu Scholz und Baerbock will er sich nicht äußern, aber doch allgemein zum Zusammenspiel innerhalb einer Bundesregierung.

Heusgen hat in den vergangenen Jahrzehnten selbst erlebt, wie immer mehr Entscheidungen in der Außenpolitik ins Kanzleramt gewandert sind. Frühere Chefdiplomaten wie Joschka Fischer hätten sich deswegen auf gewisse Felder konzentriert und Möglichkeiten genutzt: "Da muss man sehen als Außenminister: Wo gibt es Nischen?" Den Freiraum in der Nische suchen - schwer vorstellbar, dass Annalena Baerbock darin einen Weg für sich sehen könnte.

Unterschiedliche Stile, unterschiedliche Positionen

Zwei Persönlichkeiten mit Machtbewusstsein. Zwei Politikstile. Die Unterschiede sind hinlänglich beschrieben worden: Der SPD-Kanzler neigt nicht zu übermäßig temperamentvollen Auftritten. Die grüne Außenministerin hat mit gelegentlich wuchtigeren und auch emotionalen Botschaften kein Problem. Natürlich könne Baerbock auch bei den großen Fragen eigene Positionen vertreten und Initiativen starten, sagt Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: "Am Ende jedoch wird immer der Kanzler das letzte Wort haben."

Differenzen gibt es. Beispiel Waffen. Scholz hat sich lange Zeit gelassen für eine - wie er sagt - besonnene Entscheidung. Baerbock hat sich früh öffentlich für weitergehende Lieferungen ausgesprochen. Es sei wichtig, so Baerbock kürzlich bei der Außenpolitischen Jahrestagung der Böll-Stiftung, dass die Menschen in der Ukraine sich auf Unterstützung aus Deutschland verlassen könnten. Und: "Wir haben eben auch eine Verantwortung für das Nicht-Tun."

Zwischen Profilierung und Regierungslinie

Ist sie im Zuge der Verhandlungen über Kampfpanzer "an die Grenze der Loyalität" gegenüber dem Bundeskanzler gegangen, um ihre Ziele durchzusetzen, wie die Wochenzeitung "Die Zeit" schreibt? Sie habe "keineswegs" hinter dem Rücken des Kanzlers gehandelt, sagte Baerbock dem "Tagesspiegel".

Für Verstimmung hatten die Baerbock-Äußerungen vor der Peking-Reise des Bundeskanzlers gesorgt, die im Kanzleramt wie unangebrachte Ratschläge aufgenommen worden waren. Ohne Frage hatte die Grünen-Politikerin ihr Amt mit eigenen Vorstellungen vom Umgang mit China angetreten, die sich von denen des Kanzlers unterscheiden. Die Politikwissenschaftlerin Puglierin beschreibt ein Dilemma: "Jetzt muss sie - auch ihrer eigenen Partei - zeigen, dass sie sich dafür weiterhin einsetzt. Gleichzeitig darf sie sich nicht so profilieren, dass die gemeinsame Linie der Bundesregierung beschädigt wird."

Warten auf die Strategie

Im Hier und Jetzt fordert der Krieg die Bundesregierung rund um die Uhr. Die nächste Bundestagswahl erscheint weit weg. Und doch wird eines Tages bei den Grünen die Entscheidung anstehen, wen sie an der Spitze ins Rennen schicken wollen. Wer das Auswärtige Amt leitet, hat es sehr viel schwerer, die eigenen Erfolge plastisch sichtbar zu machen. Hier entstehen im Gegensatz zu anderen Ministerien fast keine Gesetze, diplomatischer Fortschritt wird eher im Millimeter-Bereich gemessen. Ein erkennbares eigenes Profil könnte ein Pluspunkt sein.

Baerbocks Haus, das Auswärtige Amt, erarbeitet seit Monaten federführend für die Bundesregierung die erste deutsche Nationale Sicherheitsstrategie. Ein solches umfassendes Strategie-Dokument hätte in München auf großer internationaler Bühne diskutiert werden können. Doch daraus wird nichts. Noch konnten sich Kanzleramt und die beteiligten Ministerien nicht auf einen abgestimmten Text einigen.

Mehr als ein "Ruckeln"?

Wie stark sind die Spannungen zwischen Scholz und Baerbock? SPD-Chef Lars Klingbeil verweist darauf, dass die Regierung trotz "enormer" außenpolitischer Herausforderungen vieles vorangebracht habe. Dass es in solchen Zeiten "auch mal geruckelt" habe, sei nicht außergewöhnlich.

Im Auswärtigen Amt nehmen sie sehr wohl wahr, dass aus der SPD teilweise andere Töne zu hören sind: nicht öffentlich vom Kanzler, jedoch vom Fraktionsvorsitzenden. Baerbock hatte im Europarat gesagt: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander." Es war eine für eine Außenministerin mindestens unglückliche Formulierung. Rolf Mützenich sagte später im Bericht aus Berlin: "Dass die Außenministerin einen solchen Satz geprägt hat, nutzt eigentlich nur der Propaganda in Moskau." Ein Satz mit Wumms.

Dabei hatten sich die Ampel-Partner doch in den Koalitionsvertrag geschrieben: "Die deutsche Außenpolitik soll aus einem Guss agieren." Bei diesem Ziel gibt es Luft nach oben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 14. Februar 2023 um 06:00 Uhr.