Evangelische Kirche in Deutschland Standards für Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt
Unabhängig, umfassend, transparent: Die Evangelische Kirche und die Diakonie wollen sexualisierte Gewalt, die sich in ihren Reihen ereignete, systematisch aufarbeiten. In einer Erklärung verpflichteten sie sich dazu auf verbindliche Standards.
Nach mehrjährigen Verhandlungen haben die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie eine sogenannte "Gemeinsame Erklärung" mit der Unabhängig Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus, unterzeichnet.
Die Erklärung unterstreicht das Ziel unabhängiger Aufarbeitung und verpflichtet die EKD und den evangelischen Wohlfahrtsverband Diakonie zur Einhaltung von Kriterien und Standards bei der Aufarbeitung. Dazu zählen Professionalität, Transparenz und die Beteiligung Betroffener.
Verhandlungen zogen sich über Jahre
Die Erklärung hält fest, dass Aufklärung und Aufarbeitung unter anderem die Benennung von Taten, Ursachen und Folgen sexualisierter Gewalt, die Identifikation von Missbrauch ermöglichenden Strukturen und die Anerkennung geschehenen Unrechts umfasst. Die institutionelle Aufarbeitung soll zudem dazu beitragen, Schlussfolgerungen für den Schutz vor Missbrauch zu ziehen.
Mit der katholischen Kirche gibt es eine solche Vereinbarung bereits seit 2020. Die Verhandlungen mit der evangelischen Kirche zogen sich unter anderem wegen der unterschiedlichen Verfasstheit beider Kirchen in die Länge. Zudem gab es Unstimmigkeiten über die Beteiligung von Betroffenen.
EKD und Diakonie können keine verbindlichen Entscheidungen für die eigenständigen 20 Landeskirchen und 17 Diakonie-Landesverbände treffen, die letztlich für die Aufarbeitung zuständig sind. Für diese ist die Erklärung nicht unmittelbar bindend. Das Papier hält aber fest, dass deren Zusammenschlüsse - die Kirchenkonferenz und die Konferenz für Diakonie und Entwicklung - entsprechende Beschlüsse zur Umsetzung fassen.
Beteiligung von Betroffenen wird aufgewertet
Auf Grundlage der Erklärung werden laut EKD innerhalb der kommenden Monate neun "Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommissionen" ihre Arbeit aufnehmen. In ihnen sollen Expertinnen und Experten unter anderem aus Wissenschaft, Justiz und Verwaltung, Betroffene sowie Vertreterinnen und Vertreter von Kirche und Diakonie zusammenarbeiten.
Für die Vorsitzenden der verschiedenen Kommissionen soll es eine Geschäftsstelle im Kirchenamt der EKD geben. Sie soll auch eine verbindliche Struktur zur Berichtslegung schaffen. Die Beteiligung von Betroffenen wird insgesamt aufgewertet. So soll es etwa ein jährliches Forum von Betroffenen geben, auf dem diese sich austauschen und vernetzen können.
Diakonie will Aufarbeitung "lückenlos" fortsetzen
"Nach der langen Phase der Verhandlungen wird es jetzt darauf ankommen, dass die Landeskirchen und Landesverbände der Diakonie die "Gemeinsame Erklärung" schnellstmöglich umfassend und verbindlich umsetzen und es zu keinen weiteren Verzögerungen kommt", sagte die Missbrauchsbeauftragte des Bundes. Es sei höchste Zeit, dass Betroffene nach einheitlichen Standards Aufarbeitung einfordern könnten und an Aufarbeitungsprozessen grundlegend beteiligt würden, so Claus.
Die EKD-Bevollmächtigten Anne Gidion betonte die Bedeutung der Beteiligung Betroffener an der Aufarbeitung. Nur so könne sie transparent gelingen, sagte sie. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte, es werde Aufgabe der kommenden Jahre sein, die Aufarbeitung von Unrecht durch sexualisierte Gewalt an Schutzbefohlenen "lückenlos fortzusetzen". Detlev Zander, Sprecher der Betroffenenvertretung, sagte, durch die Erklärung werde es auch mehr Transparenz und Handlungssicherheit für Betroffene geben.
Missbrauchsstudie für Januar angekündigt
In der Vergangenheit war mehrfach Kritik an der schleppenden Aufarbeitung sexualisierter Gewalt bei den Protestanten laut geworden. Auch die Missbrauchsbeauftragte Claus hatte unter anderem bemängelt, dass es in der Evangelischen Kirche keine Struktur für Anerkennungszahlungen an Betroffene gebe, die losgelöst von der Kirche sei.
Zur Aufarbeitung von Missbrauch in der evangelischen Kirche hat die EKD eine groß angelegte Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse im Januar präsentiert werden sollen. Die Studie soll Auskunft über Ausmaß und Ursachen sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie geben.