Analyse

Die Koalition und die Flüchtlingspolitik De Maizières Ritt durch den Porzellanladen

Stand: 09.11.2015 14:24 Uhr

Was immer sich Innenminister de Maizière am Freitag gedacht haben mag: Er hat maximalen Ärger in der Koalition produziert. Was bleibt: ein düpierter Koalitionspartner, eine verärgerte Kanzlerin und ein begossener Pudel namens Altmaier. Eine Analyse.

Eine Analyse von Dietmar Riemer, ARD Berlin

Was ist da eigentlich los - fragt sich das Publikum und wundert sich nicht ganz zu Unrecht. Was steckt hinter dieser neuerlichen Auseinandersetzung um die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition? Immer klarer wird: So neu und gänzlich unbekannt war und ist der Führung der Koalitionsparteien das Thema Familiennachzug nicht, wie man es vor allem aus der SPD hört.

Was in Berlin jetzt allerdings für maximalen Ärger sorgt, ist, dass der Innenminister ohne jede Vorwarnung oder gar Absprache am Freitag das Thema öffentlich gemacht hat und dazu mit fester Stimme verkündete: "So machen wir das jetzt mit den Syrern."

Worte mit politischer Sprengkraft

Wer sich nur ein bisschen damit auskennt, wie in einer Koalition, ja in der Politik überhaupt gearbeitet wird, geht so nicht vor - es sei denn, er tut es, um die politische Sprengwirkung einer Sache mal real auszuprobieren. Was immer sich Thomas de Maizière auch gedacht haben mag - er konnte darauf setzen, dass das CDU-Präsidium samt CSU-Führung in dieser Sache genauso denkt. Die Stellungnahmen der gesamten CDU/CSU-Prominenz von Wolfgang Schäuble über Julia Klöckner bis hin nach München zeigen das heute unübersehbar.

Düpiert zurück der Koalitionspartner SPD. Die Union macht nämlich mit dem Thema "Familiennachzug für Syrer" jetzt ein Fass auf, das die SPD in eine unkomfortable Lage bringt. Mit der Stimmung in der Bevölkerung im Rücken verweist die Union auf nicht zusätzlich tragbaren Zuzug, während die SPD sich dazu erst noch politisch verhalten muss. Denn beim schroffen "darüber reden wir nicht" kann und wird es nicht bleiben.

Gabriel hat jetzt ein Problem

Niemand spürt und weiß das besser als SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, der das Gras in deutschen Vorgärten immer schnell wachsen hört. Ihm muss man nicht erzählen, was "da draußen im Lande" zum Thema Nachzug gedacht wird. Umso unverständlicher ist, dass de Maizière ihn und die SPD am Freitag derart vorgeführt hat. So wird es für den Vizekanzler politisch fast unmöglich, beim Thema Nachzug seine schreckhafte Partei auf einen Kurs zu bringen, den die sozialdemokratischen Landes- und Kommunalpolitiker unter dem Druck der Verhältnisse eher restriktiv sehen. 

Niemand hat die Absicht, ...

Weil das so ist, wie es ist , verzichtete Gabriel auch auf einen seiner gefürchteten Ausbrüche und ging, gemessen an de Maizières Foul geradezu freundlich mit ihm um. Unter ganz anderen Umständen wären Rücktrittsforderungen aus der SPD schnell fällig gewesen. Und die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin? Niemand hat die Absicht, sie zu demontieren oder gar zu stürzen - sie ist mit einem geschlossenen CDU-Präsidium im Rücken zwar für großzügige Flüchtlingsaufnahme, aber gegen einen Familiennachzug, der die Zahl  leicht mindestens verdoppelt. Das aber wussten alle, die es wissen wollten, sogar schon vor dem letzten Asylkompromiss.

Die innere Statik der Großen Koalition ist durch den Ritt des Innenministers durch den Porzellanladen labiler geworden. Zur Unzeit kam er um die Ecke mit einer Maßnahme, die die Große Koalition allerdings sowieso (zu einem späteren Zeitpunkt) hätte ins Auge fassen müssen. Für die politische Fahrlässigkeit im Umgang mit Sprengstoff dürfte sich de Maiziere von Merkel was angehört haben dürfen. Ganz zu schweigen von Peter Altmaier, der am Wochenende der begossenste Pudel im Regierungsviertel war.