Folgen des Erbschaftsteuer-Urteils Was sich beim Erben ändern muss

Stand: 17.12.2014 15:57 Uhr

Was bedeutet das Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Erbschaftsteuer? Kann der Fiskus Firmenerben auch künftig schonen? Und sollten Familienunternehmer jetzt schnell handeln?

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Was ist die Erbschaftsteuer?

Ob es um den Familienbetrieb oder Omas Häuschen geht - beim Erben und Vererben ist für viele eine Frage ganz entscheidend: Kassiert der Fiskus mit? Die Antwort lautet: im Prinzip ja. Aber: Im Gesetz gibt es zahlreiche Freibeträge und Privilegien sowohl für Privatpersonen als auch für Betriebe. In der Praxis wird also bei weitem nicht jeder geerbte Euro besteuert.

Zwei grundlegende Dinge sind wichtig: Steuerpflichtig ist der Erbe. Und: Es ist ein Irrglaube, dass man durch eine Schenkung zu Lebzeiten der Steuerpflicht entgehen kann. Denn dann gilt die Schenkungssteuer. Diese ist für die beschenkte Person genauso hoch und wird nahezu unter denselben Bedingungen erhoben wie die Erbschaftsteuer. Im aktuellen Verfahren in Karlsruhe ging es um die Erbschaft- und Schenkungssteuer beim Übergang von Betrieben und die vorhandenen Steuervorteile.

Wie viel Erbschaftsteuer nimmt der Staat ein?

Laut einer Schätzung des Bundesfinanzministeriums wurden 2014 deutschlandweit insgesamt 5,3 Milliarden Euro an Erbschaftsteuer gezahlt. Das macht einen Anteil von 0,8 Prozent am gesamten Steueraufkommen aus. Die Steuer wird zwar vom Bund festgelegt, fließt aber komplett in die Haushalte der Länder.

Wie hoch ist die Erbschaftsteuer für den einzelnen Bürger/den Betrieb?

Für die Höhe der Erbschaftsteuer gibt es keinen festen Satz. Es gibt drei Steuerklassen, je nach Verwandtschaftsgrad. Außerdem gibt es eine Staffelung nach der Höhe des geerbten Vermögens. Wichtig sind die gewährten Freibeträge, zum Beispiel für Ehegatten in Höhe von 500.000 Euro, für Kinder in Höhe von 400.000 Euro. Bis zu dieser Höhe muss ein Erbe also keine Steuern zahlen. Faustregel: Je näher das Verwandtschaftsverhältnis ist, desto höher fallen die Freibeträge aus und desto niedriger sind die Steuersätze.

Welche Vorteile haben Betriebe aktuell bei der Erbschaftsteuer?

Der Gesetzgeber hatte 2009 das Ziel, Steuervergünstigungen für den Betriebsübergang zu schaffen, um die Unternehmen im Erbfall zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern. Wer einen Eindruck von der Kompliziertheit des deutschen Steuerrechts haben möchte, der möge einmal einen Blick in die einschlägigen §§ 13a und 13b des Erbschaftsteuergesetzes werfen. Wesentliche Punkte sind dabei - stark zusammengefasst – folgende beiden steuerliche Vorteile für Betriebe.

1) 85 Prozent des geerbten Betriebsvermögens werden unter zwei Bedingungen nicht besteuert:
  • - der Betrieb wird mindestens fünf Jahre weitergeführt
  • - die Gesamthöhe der ausgezahlten Löhne verringert sich in diesem Zeitraum nicht wesentlich (also um mehr als 20 Prozent). Anders gesagt: die Arbeitsplätze bleiben zum großen Teil erhalten.
2) Der Erbe des Betriebes kann sogar komplett von der Steuer befreit werden, wenn er:
  • - den Betrieb mindestens sieben Jahre weiterführt und
  • - die Lohnsumme über die sieben Jahre gleich bleibt, was in der Regel heißt: die Arbeitsplätze bleiben erhalten.

Für die jeweils zweite Bedingung, also den Erhalt der Arbeitsplätze, hat der Gesetzgeber aber noch eine wichtige Sonderregelung eingeführt. Die Bedingung gilt nur für Betriebe, die mehr als 20 Mitarbeiter haben. Für alle kleineren Betriebe reicht es aus, das Unternehmen die genannte Zeit fortzuführen, um von den Steuervorteilen zu profitieren. Sie müssen also nicht zwingend etwas für den Erhalt der Arbeitsplätze tun.

Welche rechtliche Kritik gibt es an den Steuervorteilen für Betriebe?

Der Bundesfinanzhof, Deutschlands oberstes Steuergericht, hielt das aktuelle System für verfassungswidrig. Da aber nur das Bundesverfassungsgericht Gesetze verwerfen kann, wurde der Fall Karlsruhe vorgelegt.

Der grundsätzliche Vorwurf der Finanzrichter lautete: Betriebe würden im Vergleich zu Privatpersonen bei der Erbschaftssteuer zu stark bevorzugt. Diese "Überprivilegierung" sei ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Artikel 3 des Grundgesetzes. Es geht also um eine "Gerechtigkeitsfrage".

Es geht den Richtern nicht darum, dass ein Ziel wie der Schutz von Arbeitsplätzen nicht wichtig oder gar unzulässig ist. Im Steuerrecht ist aber ein zentraler Grundsatz, dass ein bestimmtes Konzept auch stringent durchgezogen wird. Eine wichtige Information ist in diesem Zusammenhang: Etwa 90 Prozent der Betriebe haben nur bis zu 20 Beschäftigte. Das bedeutet mit Blick auf die oben geschilderten "Bedingungen" für die Steuervorteile: 90 Prozent der Betriebe müssen also die Arbeitsplätze nicht unbedingt erhalten, um von der Steuer verschont zu werden.

Warum hat das Bundesverfassungsgericht das geltende Recht für verfassungswidrig erklärt?

Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst deutlich betont, dass es ein legitimer Zweck ist, Familienbetriebe im Erbfall steuerlich zu begünstigen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das ist eine wichtige Weichenstellung. Allerdings hält es mehrere Punkte des aktuellen Systems für verfassungswidrig und greift dabei die Kritik des Bundesfinanzhofs auf.

  • Das Gericht bemängelt, dass Betriebe bis zu 20 Mitarbeitern von der Pflicht befreit sind, für den Zeitraum von fünf bzw. sieben Jahren im Wesentlichen dieselben Lohnsummen weiterzuzahlen, also die Arbeitsplätze zu erhalten. Es bezieht sich auf die Statistik, dass ca. 90 Prozent der Betriebe bis zu 20 Mitarbeiter haben und damit von den Steuervergünstigungen profitieren können, ohne die Arbeitsplätze zu schützen. Das Verhältnis von Regel und Ausnahme würde quasi auf den Kopf gestellt. Mit einer "Verwaltungsvereinfachung" könne man die Ausnahme auch nicht begründen, denn die Betriebe müssten ja ohnehin eine Lohnbuchhaltung führen.
  • Das Gericht sieht einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz, weil auch Großunternehmen von der Steuer befreit werden können, ohne dass sie nachweisen müssen, dass wirklich ein Bedürfnis zur Steuerentlastung vorhanden ist.
  • Außerdem ermögliche das geltende Recht, durch rechtliche Gestaltung bei guter Beratung Steuern zu vermeiden, zum Beispiel indem man die Betriebe aufspaltet. Auch damit werde nicht das Ziel verfolgt, Familienunternehmen zu begünstigen und Arbeitsplätze zu erhalten.

Warum gibt es die Frist für eine Neuregelung bis Mitte 2016?

Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich gesagt: Bis zu einem neuen Gesetz gilt die alte Regelung fort. Der Hintergrund ist, dass man so eine gewisse Rechtssicherheit gewährleisten will. Hätten die Richter das Gesetz für "nichtig" erklärt, gäbe es für die Übergangszeit eine Art rechtsfreien Raum, Erbfälle und Schenkungen könnten nicht richtig abgewickelt werden. Das Gericht dürfte damit allen die Sorge nehmen wollen, die eine Überraschungsentscheidung befürchtet hatten, nach der man womöglich noch bis Jahresende den Betrieb übertragen müsste.

Welche Möglichkeiten hat der Gesetzgeber nun?

Das Gericht betont den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Der hat nun mehrere Möglichkeiten:

(1) Das Parlament kann das Erbschaftsteuerrecht komplett neu regeln.

(2) Das Parlament kann aber auch grundsätzlich das bisherige Konzept der Vergünstigungen beibehalten, und "nur" die vom Gericht beanstandeten rechtlichen Mängel beheben.

Im letzteren Fall hieße das, der Gesetzgeber müsste zum Beispiel:

- dafür sorgen, dass auch Betriebe bis 20 Mitarbeiter tatsächlich die Lohnsumme im Wesentlichen gleich halten, also Arbeitsplätze sichern. Die Befreiung von dieser Pflicht sei allenfalls für Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten zulässig, so das Gericht.

- für Großunternehmen fordert das Gericht präzise Kriterien, wie man nachprüft, ob dort wirklich das Bedürfnis für eine Steuererleichterung besteht.

- außerdem müsste dafür gesorgt werden, dass man nicht mehr mit guter Beratung und durch geschickte Gestaltung der Betriebsstruktur in den Genuss der Steuervorteile kommen kann.

Wird der Betriebsübergang kleiner Betriebe nach dem Urteil und einem neuen Gesetz teurer?

Das ist nicht zwingend. Es hängt davon ab, wie die Politik nun das neue Gesetz gestaltet. Steuervergünstigungen zur Sicherung von Arbeitsplätzen erlaubt Karlsruhe ja ausdrücklich. Wenn man die kritisierten Punkte in einem neuen Gesetz gerade rückt, wäre es aus rechtlicher Sicht möglich, auch künftig Betriebe nach ähnlichen Konditionen wie bislang zu vererben oder zu verschenken. Voraussetzung wäre dann aber, dass man die Arbeitsplätze über den geforderten Zeitraum tatsächlich erhält.

Sollte man seinen Familienbetrieb innerhalb der Übergangsfrist auf die Nachkommen übertragen, um auf Nummer sicher zu gehen?

Bei Schnellschüssen als Reaktion auf das Urteil sollte man vorsichtig sein und eine genaue Analyse des hundertseitigen Urteils abwarten. Zentral dürfte dabei werden, welche Reformpläne die Politik innerhalb der Frist auf den Tisch legen wird. Wer zum Beispiel als möglicher Unternehmensnachfolger nicht vorhat, die Arbeitsplätze über fünf oder sieben Jahre zu erhalten, könnte ins Grübeln kommen, ob man nicht noch vor einem neuen Gesetz aktiv werden sollte. Allerdings lässt das Gericht auch die Möglichkeit offen, dass ein neues, korrigiertes Gesetz rückwirkend schon ab dem Tag des Urteils (also heute) gilt. Insgesamt ist bei dieser Frage eine ausführliche rechtliche und steuerliche Beratung absolut notwendig.

Was hat es mit dem "Sondervotum" der Richter Gaier, Masing sowie der Richterin Baer auf sich?

Es kommt immer wieder vor, dass Richterinnen oder Richter in ihrem Senat überstimmt werden und ihre abweichende Meinung dann gesondert zu Papier bringen. Das Besondere an diesem Fall ist, dass die beiden Richter und die Richterin kein anderes Ergebnis vertreten. Sie liefern vielmehr noch ein zusätzliches Argument für die Urteilsbegründung, das ihnen sehr wichtig ist: das "Sozialstaatsprinzip", das in Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz geregelt ist. Die Erbschaftsteuer diene nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern sei zugleich ein Instrument des Sozialstaates, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert werde, heißt es in der abweichenden Meinung. Die geforderten strengeren Kriterien für Steuervergünstigungen würden dies unterstützen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 17. Dezember 2014 um 12:00 Uhr.