Interview

Interview zur Gorleben-Erkundung "Den perfekten Endlager-Standort gibt es nicht"

Stand: 01.10.2010 03:54 Uhr

Gorleben ist eine Sackgasse, meint der Geologe Detlef Appel. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, warum - und wo man in Deutschland stattdessen nach geeigneten Standorten für ein Atommüll-Endlager suchen könnte. Einen perfekten Standort gibt es seiner Meinung nach allerdings nicht.

tagessschau.de: Welche Voraussetzungen muss ein "perfektes" Atom-Endlager erfüllen?

Detlef Appel: Die Abfälle sind über einen sehr langen Zeitraum gefährlich und müssen entsprechend lange sicher gelagert werden. Das kann man in konkrete Anforderungen übersetzen. Vor allem dürfen die Schadstoffe aus dem Endlager nicht in die Biosphäre gelangen, sondern müssen möglichst in einem sehr engen Bereich um das Endlager festgehalten werden. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, die radioaktiven Abfälle in einem technischen Gebäude zu lagern, sondern man muss einen geeigneten Ort tief in der Erde finden, der insbesondere sicher ist vor Wasser.

tagesschau.de: Weshalb ist eine technische Lösung ausgeschlossen?

Appel: Weil es unmöglich ist, über einen so langen Zeitraum eine Prognose über die Stabilität der Gesellschaft abzugeben, die zu einem bestimmten Zeitpunkt Hüter dieser Einrichtung und damit für die Sicherheit der Menschen zuständig ist. Aus diesem Grund spricht viel für ein Endlager in tiefen geologischen Formationen.

Zur Person

Detlef Appel ist als unabhängiger Gutachter und Berater für Parteien, NGOs, Landes- und Bundesministerien in atomrechtlichen Genehmigungsverfahren bzw. methodischen und geologischen Fragen der Endlagerung tätig. Der Geologe ist Mitglied der Entsorgungskommission (EKS) des Bundesumweltministeriums.

tagesschau.de: Welche Eigenschaften muss das Endlager haben?

Appel: Der Arbeitskreis Endlager hat diese Kriterien benannt. Oberstes Ziel ist, eine günstige geologische Gesamtsituation zu finden. Das Gestein darf nur eine sehr geringe Wasserdurchlässigkeit aufweisen. Außerdem darf der Gesteinskörper nicht in komplexer Weise mit anderen Formationen verbunden sein, die ungünstige Eigenschaften aufweisen. Vulkanismus und starke Erosion müssen ausgeschlossen werden können und es dürfen keine starken Erdbeben auftreten. Diese und weitere Kriterien müssen für einen Zeitraum von einer Million Jahre eingehalten werden. Hinsichtlich der Erfüllung dieser Kriterien kann man nur Rückschlüsse aus der Vergangenheit ziehen - eine Weltformel gibt es nicht.

tagesschau.de: Welche Gesteinsformationen sind besonders geeignet?

Appel: Salz, Tonstein und Granit-Formationen kommen grundsätzlich in Frage. Aber alle Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Salz umschließt die eingelagerten Abfälle sehr gut, aber es hat den Nachteil, dass es wasserlöslich ist. Außerdem kommt Salz selten alleine vor, sondern ist mit anderen Gesteinsformationen verbunden, die ungünstige Eigenschaften haben und beispielsweise Wasser leiten können.  

tagesschau.de: Welche Vor- und Nachteile haben Tonstein und Granit?

Appel: Granit ist sehr stabil, aber dieses Gestein hat in der Regel Fugen und ist damit durchlässig für Grundwasser. In diesen Formationen müssen zwischen den Abfällen und dem Gestein zusätzliche technische Barrieren errichtet werden, um den Zutritt von Wasser und den Abtransport der Schadstoffe durch das Wasser zu verhindern. Tonstein hat eine sehr geringe Wasserdurchlässigkeit, ist aber in größeren Tiefen nicht so stabil, so dass in einem Tonstein-Endlager zusätzliche technische Ausbauten stattfinden müssten.

tagesschau.de: Wo in Deutschland gäbe es denn günstige geologische Voraussetzungen für ein sicheres Endlager?

Appel: Man sollte in Deutschland auf Granit verzichten und sich auf Salz und Tonstein konzentrieren. Dabei sollte man sich auch nicht nur auf Salzstöcke und damit das norddeutsche Tiefland konzentrieren, sondern auch Salz in flacher Lagerung in Mitteldeutschland betrachten.

Die weitere Erkundung von Gorleben lohnt sich nicht, da der Salzstock ein schlechtes Deckgebirge hat. Auch anderen Kriterien entspricht Gorleben nicht. Infrage kommende Ton-Formationen gibt es im norddeutschen Tiefland und im Bereich Baden-Württembergs und Bayerns. Aber den perfekten Endlagerstandort wird man kaum finden. Einzelne Nachteile wird es immer geben, sodass bei der Standortsuche immer die Vor- und Nachteile der betrachteten Optionen abzuwägen sind.

tagesschau.de: Wie sollte weiter vorgegangen werden?

Appel: Es muss einen Neustart bei der Suche nach einem Endlager geben. Man müsste einige Schritte zurückgehen. Die Kriterien des Arbeitskreises Endlagers müssten diskutiert und gegebenenfalls durch neue Erkenntnisse ergänzt werden. Der Standort muss durch einen ordentlichen Vergleich der verschiedenen Gesteins- und Standortoptionen gefunden werden. Das Verfahren muss dabei transparent sein, um bei den betroffenen Menschen Vertrauen in die Fairness des Auswahlprozesses zu erzielen.

Das Interview führte Rike Woelk für tagesschau.de