Bundeswehrsoldaten bei der Vereidigung

Personalnot bei der Bundeswehr Wie könnte die Truppe attraktiver werden?

Stand: 14.02.2023 14:48 Uhr

Die Bundeswehr hat nicht nur mit mangelhafter Ausrüstung zu kämpfen, es fehlt auch zunehmend an Personal. Die Truppe lockt mit Schnupperkursen und YouTube-Kanälen - doch das hilft bislang wenig.

Von Pascal Lasserre, SWR

"Personal ist die zentrale Herausforderung der Bundeswehr", benennt Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, eines der drängendsten Probleme der Truppe. Seit die Wehrpflicht im Jahr 2011 ausgesetzt wurde, habe die deutsche Freiwilligenarmee fortwährend Nachwuchsprobleme.

Auch aktuell gebe es viele offene Dienstposten, so Högl, die sich aufgeschlossen zeigt gegenüber einer Debatte um eine neue Art der Wehrpflicht. Der jährliche Bericht der Wehrbeauftragten zeigt, dass 2021 allein bei Unteroffizieren und Offizieren 20.000 Stellen nicht besetzt waren.

Jedes Jahr weniger Bewerber

Tendenziell gebe es jedes Jahr weniger Bewerber, sagt eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln. Ein Problem, das sich in den kommenden Jahren noch verschärfen könnte: Der Rückgang sei unter anderem auf die immer spürbarer werdenden Auswirkungen der demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen zurückzuführen, die die Personalgewinnung für alle Arbeitgeber zunehmend erschweren.

Dazu zählten sinkende Schüler- und Studienabsolventenzahlen, ein wachsender Bedarf an Kompetenzen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik (MINT) und die nachlassende körperliche Leistungsfähigkeit Jugendlicher. Wie zivile Arbeitgeber plagt auch die Bundeswehr das Problem des Fachkräftemangels - und ohne Wehrpflicht konkurriert die Truppe mit dem zivilen Arbeitsmarkt um Bewerberinnen und Bewerber.

Karrierecenter, Schnuppercamps, YouTube-Videos

Dabei habe die Bundeswehr einiges zu bieten, so ihre Sprecherin: "Im Rahmen der zivilen und militärischen Ausbildung bietet der Arbeitgeber Bundeswehr unter anderem mehr als 50 zivil anerkannte Studiengänge an, im gleichen Umfang zudem auch klassische Ausbildungsgänge."

Insgesamt spricht sie von rund 1000 verschiedenen Tätigkeiten, denen man beim Bund nachgehen könne. In der militärischen Laufbahn stünden zum Beispiel Ausbildungen zum Artilleriekanonier, zum Feldwebel der Informationstechnik oder zum Jetpiloten offen. Zivilbeschäftigte arbeiteten unter anderem als Krankenpfleger, Fachinformatiker oder Feuerwehrleute.

Diese Anreize versuchen Berater in 99 Karrierecentern - verteilt über Deutschland -, Interessenten mit digitalen Messen, Karrierelounges, individuellen Beratungsgesprächen, Bundeswehr-Schnuppercamps, Flyern, Plakaten und YouTube-Kanälen näherzubringen. In Letzteren tummeln sich sogar 500.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Aus all diesen Bemühungen resultierten zuletzt rund 84.000 Erstberatungen im Jahr.

Im Durchschnitt bewarben sich in den vergangenen Jahren 44.000 Männer und Frauen für den militärischen Dienst, 19.000 wurden eingestellt.

Högl: Werbung muss realistischer werden

Das habe die Lage nicht wesentlich verbessert, sagt die Wehrbeauftragte Högl. Die Internetvideos vermittelten einen aufregenden Alltag bei der Bundeswehr. "Es ist gut, die Bundeswehr attraktiv darzustellen, aber es muss ein realistisches Bild sein. Wenn die Frauen und Männer, die dann zur Truppe kommen, etwas ganz anderes vor Ort vorfinden, dann hilft das nicht." Und das ist für Högl ein Problem. Denn gerade in den ersten sechs Monaten der Ausbildung schmissen viele hin.

Realistischere Werbung könne auch die Zahl der Abbrecher senken. Högl betont, es komme deshalb weniger auf bunte Plakate und YouTube-Filme an: "Die besten Werbeträger sind die Soldatinnen und Soldaten selbst." Die könnten ihren Bekannten ein realitätsnahes Bild der Bundeswehr geben. Die Bundeswehr habe die Zielvorgabe, von derzeit rund 183.000 auf 203.300 Soldatinnen und Soldaten zu wachsen. Das bedeute eine große Kraftanstrengung.

Vorgesetzte nutzen vereinzelt Macht aus

Die Wehrbeauftragte erklärt weiter: "Die wichtigsten Faktoren für eine attraktive Bundeswehr sind die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, Vorgesetzte, die einen modernen Führungsstil leben, die persönliche Ausrüstung und Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten, gute Karrierechancen, Kasernen, die in einem modernen und ordentlichen Zustand sind und nicht zuletzt auch funktionierendes WLAN."

Der Bericht der Wehrbeauftragten beschreibt, dass 2021 Vorgesetzte bei der Truppe vereinzelt ihre Macht ausgenutzt haben, indem sie Untergebene beleidigt oder zu überzogenen Strafmaßnahmen gezwungen haben. Von so einem altbackenen Führungsstil will die Bundeswehr eigentlich wegkommen und hat seit 2017 ein Reformprogramm aufgelegt.

Mangelhafte Ausrüstung

"Es braucht einen Gleichklang zwischen genügend Material, Personal und einer modernen Infrastruktur", sagt Högl. Die Bundeswehr brauche für die Erfüllung ihrer gewachsenen Aufgaben in der Bündnis- und Landesverteidigung "einen dauerhaft ausreichend ausgestatteten Verteidigungsetat".

Ende 2022 waren bei einer Truppenübung alle 18 Schützenpanzer ausgefallen, viele Schiffe, Flug- und Fahrzeuge sind nicht einsatzbereit, Nachtsichtgeräte fehlen und selbst bei der Bekleidung versucht der Bund erst jetzt, langsam auf einen aktuellen Ausrüstungsstand zu kommen. Das schreckt gute Bewerberinnen und Bewerber ab.

Dabei signalisiert die Rüstungsindustrie, dass sie grundsätzlich aushelfen könnte. Es sei durchaus möglich, die vorhandene Produktion hochzufahren, so Hans Christoph Atzpodien vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Dafür müsste die Rüstungsindustrie aber viel Geld investieren und brauche vorher belastbare Aufträge. "Daran hat es bislang in vielen Fällen gefehlt", sagt Atzpodien, der die Bundeswehr im Zustand der "Mangelverwaltung" sieht.

Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro könne einen Beitrag leisten, so Atzpodien. Allerdings könnten damit nur die größten Lücken geschlossen werden. Den für den Wehretat versprochenen Anstieg auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes könne er außerdem auch noch nicht erkennen. Für Atzpodien steht ebenso wie für die Wehrbeauftragte fest, dass die Bundeswehr dauerhaft mehr Geld braucht. Nur so könne sie den gewachsenen Aufgaben in der Bündnis- und Landesverteidigung gerecht werden. Und das komme dann auch dem Personal zugute.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 08. Februar 2023 um 16:00 Uhr in den Nachrichten und am 11. Februar 2023 um 07:15 Uhr.