Interview

Jo Brauner "Die Sendung ist und bleibt meine Heimat"

Stand: 14.12.2012 09:33 Uhr

30 Jahre lang hat Jo Brauner die Tagesschau gelesen, vor acht Jahren ging er in den Ruhestand. Doch bis heute ist er angespannt, wenn die 20-Uhr-Ausgabe beginnt. tagesschau.de sprach mit ihm über seine Angst vor Pannen, bewegende Momente und das schwierigste Wort, das er je in einer Sendung sagen musste.

tagesschau.de: Seit acht Jahren sind Sie im Ruhestand. Wie geht es Ihnen heute in den zehn Sekunden vor der 20-Uhr-Tagesschau?

Jo Brauner: Ich spüre eine gewisse Spannung. Die hängt zunächst mal davon ab, was gerade in der Welt geschieht. Aber obwohl ich schon seit acht Jahren selber nicht mehr dabei bin, ist auch eine persönliche Anspannung da. Wie wird es den Kollegen ergehen? Wer spricht heute? Und ich denke: Hoffentlich passieren keine Pannen. Das werde ich bis zum Ende meines Lebens nicht mehr los.

tagesschau.de: Sobald die Tagesschau-Melodie erklingt, sind Sie also noch immer hochkonzentriert.

Brauner: Ja, ich bin richtig involviert, die Sendung ist und bleibt meine Heimat. Obwohl bei der Tagesschau ja nur selten etwas schiefgeht, habe ich immer noch eine Telefonnummer, unter der ich den Chef vom Dienst erreichen kann, wenn mir ein Fehler auffällt.

Zur Person

Jo Brauner macht 1958 das Staatsexamen als Grundschullehrer in der DDR, kurz später flüchtet er in die BRD. Danach arbeitet er bei einer Versicherung. 1964 bewirbt er sich als Sprecher beim NDR wird beim Hörfunk genommen. 1974 wird er Sprecher der Tagesschau und bleibt es 30 Jahre lang - bis zu seinem Ruhestand.

Von Lachanfällen ...

tagesschau.de: Welche Pannen sind denn in Ihrer aktiven Zeit passiert?

Brauner: Einmal habe ich einen Lachanfall bekommen.

tagesschau.de: Das war doch während der Tagesthemen? Ulrich Deppendorf fängt einfach wieder an zu moderieren, obwohl Sie noch gar nicht fertig mit Ihrem Nachrichtenblock sind - und sie sitzen da und sagen: "Entschuldigung, ich hätte da noch eine Meldung."

Brauner: Ich weiß nicht, ob Deppendorf da vielleicht der Teufel geritten hat. Er muss gesehen haben, dass seine Kamera gar nicht rot leuchtete. Und er hätte ja auf den Monitor schauen und mich da im Bild sitzen sehen können. Das Komische war dann sein Blick. Wenn ich Deppendorf heute in Berlin noch treffe, dann sagt er immer: "Naa Brauner, wollen wir noch mal Slapstick machen?"

tagesschau.de: Und als Sie dann wieder dran waren, mussten Sie vorlesen: "Der Bundesgerichtshof hat den Autoschreck von München freigesprochen. Hartmann ist seit 1988 immer wieder über falsch geparkte Autos gestiegen."

Brauner: Ja, das macht der Hartmann übrigens immer noch. Das war so eine blöde Meldung.

... und dem "Hummerstreik"

tagesschau.de: Fällt Ihnen noch mehr ein?

Brauner: In der Zeit, als die "Bild" ständig von dem angeblich so angenehmen Leben der RAF-Terroristen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim berichtet hat, da habe ich mal gesagt: "Die Baader-Meinhof-Leute traten in den Hummerstreik." Eigentlich meinte ich "Hungerstreik". Das passte natürlich wie die Faust aufs Auge. Ein Hummerstreik.

tagesschau.de: Erinnern Sie sich noch an das schwierigste Wort, das Sie je in einer Sendung sagen mussten?

Brauner: Die Fluggesellschaft KLM im Original. Mein Sprecherkollege Werner Veigel war gebürtiger Holländer und ihn habe ich gefragt wie man das ausspricht. Und er antwortete: Koninklijke Luchtwaart Maatschappij. Dann habe ich geübt und geübt und gedacht: Euch werde ich es zeigen. In der Sendung habe ich es tatsächlich blendend hinbekommen und alle werden gedacht haben, der Brauner hat bestimmt einen holländischen Vater. Als nächstes kam eine Meldung über den niedersächsischen Landtag in Hannover. Und ich sage: der niederländische Landtag.

"Jetzt denkt der, das habe ich extra gemacht"

tagesschau.de: Es ist sicher schwierig, die Contenance während der Sendung immer zu bewahren.   

Brauner: Es gibt Versprecher unterschiedlicher Art. Wenn man beispielsweise bei einem Todesfall oder bei einer Katastrophe einen Versprecher hat, der per se auch komisch ist, muss man nicht lachen. Da ist dann eine intuitive Sperre, man ist einfach sehr erschrocken. Oder wenn man sich beim Namen eines hohen Politikers so verspricht, dass es für den Betroffenen diskreditierend wäre, dann hat man als Sprecher sofort im Hinterkopf: Jetzt denkt der, das habe ich extra gemacht.

Genau so kann eine Nachricht eine bestimmte Bedeutung bekommen, weil der Sprecher lächelt. Das ist eine dünne Gratwanderung. Man muss also das neutrale Gesicht wahren, ohne zu streng zu schauen.

"In dieser Sendung rede ich vollkommen anders"

tagesschau.de: Angeblich ist es Ihnen am 9. November 1989 – dem Tag des Mauerfalls - am schwersten gefallen, das neutrale Gesicht zu wahren.

Brauner: Wegen der sich überschlagenden Ereignisse wurden am 9. November die Meldungen für die 20 Uhr-Sendung ständig umgeschrieben, die Schabowski-Pressekonferenz hatte erst kurz vor der Sendung stattgefunden. Die ganze Tragweite habe ich erst in der Nacht erfasst. Meine Verwandten lebten ja in der DDR. Am nächsten Tag hatte ich wieder Dienst und diese 20-Uhr-Sendung vom 10. November habe ich vor kurzem noch einmal gesehen. In der Ausgabe rede ich irgendwie vollkommen anders. Ich lache zwar nicht, aber alles wirkt ganz leicht und locker. Da war mir bewusst geworden, dass dieses schreckliche Monstrum in Berlin bröckelt und dass damit möglicherweise auch politische Veränderungen einhergehen. Das sieht man mir an.

tagesschau.de: Während Ihrer Laufbahn mussten Sie auch viele Schreckensmeldungen verlesen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Brauner: Bevor ich ins Studio gegangen bin, habe ich - bildlich gesprochen - die Meldungen in einen Raum geschlossen. Und dann habe ich versucht, möglichst objektiv zu lesen. Aber nach der Sendung muss man die Tür wieder öffnen und das rauslassen. Dann kann man darüber reden.

Aber es gelingt nicht bei allen Meldungen, zu hundert Prozent neutral zu wirken. Das haben dann aber meistens nur meine Frau oder meine Kinder gemerkt. Als beispielsweise damals die Concorde abgestürzt ist, der Überschall-Jet, da hat mich meine jüngere Tochter nach der Sendung angerufen und gesagt: Deine Stimme war nicht ganz fest. Und damit hatte sie recht. Weil man die Freude so genau kennt, wenn man am Anfang einer schönen Reise steht. Und dann denkt man: Gerade waren die Leute noch so froh, und da war ihr Leben schon zu Ende.

"Die Leute lieben Tradition"

tagesschau.de: Sie waren 30 Jahre bei der Tagesschau. Wie hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Brauner: Die Tagesschau hat immer ihre Identität bewahrt. Kleinigkeiten wurden verändert, aber es wurde nicht etwas generell Neues geschaffen. Und das ist in meinen Augen auch das Geheimnis ihres Erfolgs. Die Leute lieben Tradition. Als beispielsweise die Diskussion über die neue Tagesschau-Melodie aufkam, war ich im Urlaub. Die "Bild" rief an und ich wusste nicht, was eigentlich los ist. Aber ich habe gesagt: Sie glauben doch nicht, dass die Tagesschau so dumm sein wird, ihre Fanfare zu ändern. Das wäre als würde Mercedes sagen, wir schaffen den Stern ab und nehmen drei Kreise. Die werden das nur neu arrangieren. Und so ist es dann ja auch gewesen.

tagesschau.de: Was würden Sie als bekennender Musikliebhaber zu Ehren des 60. Geburtstags der Tagesschau auflegen?

Brauner: Wir müssten dann unterscheiden. Für mich zu Hause würde ich den 60. Geburtstag der Tagesschau mit dem E-Moll-Klavierkonzert von Chopin feiern. Da laufen mir die Schauer den Rücken herunter, weil es mich so berührt. Für die Öffentlichkeit würde ich den Triumphmarsch aus Aida wählen - der passt doch! Wie ist die Tagesschau angefeindet worden und wie gut hat sie sich gehalten.

Das Interview führte Sarah Welk, tagesschau.de