Demonstration in Bloomington (USA)

Interview mit Konfliktforscher "Rassistische Politik erhöht die Bereitschaft zu Gewalt"

Stand: 08.06.2020 09:41 Uhr

Wer eindeutig rassistische Dinge sagt, sei auch ein Rassist, so die Einschätzung des Konfliktforschers Andreas Zick. Doch wo Rassismus beginnt, darüber werde gestritten. Vor rassistischer Politik warnt der Experte: Sie führe nachweislich zu einer erhöhten Gewaltbilligung und -bereitschaft.

faktenfinder: Ist man ein Rassist, wenn man rassistische Dinge sagt?

Andreas Zick: Eindeutig ja, wenn es rassistisch ist, was man sagt. Rassistische Äußerungen stammen in der Regel aus rassistischen Einstellungen, ob die nun bewusst sind oder nicht. Viele Menschen sagen ja, wenn andere sie auf ihren Rassismus hinweisen: "Ich habe nichts gegen die, aber...". Rassismus dient dazu, Menschen abzuwerten und auszugrenzen. Das kann man mit rassistischen Äußerungen. Sprache ist ein mächtiges Instrument, um Rassismus auszudrücken und andere abzugrenzen. Rassismus zeigt sich in dem, was man sagt und kommuniziert, in Verhaltensweisen, oder auch im Recht.

In Deutschland wissen wir wie mächtig Rassismus ist durch die Rassegesetze der Nationalsozialisten. Sie haben gesellschaftliche Gruppen und Gemeinschaften in Rassen eingeteilt und ihnen Minderwertigkeit zugeschrieben.

"Wo Rassismus beginnt - darüber wird gestritten"

faktenfinder: Gibt es eine wissenschaftlich gängige Definition von dem, was man in der Regel als rassistisch bezeichnet?

Zick: Da es eine Forschung über Rassismus gibt und Forschung von unterschiedlichen Perspektiven lebt, gibt es Differenzen über die Ursachen, Ausdrucksformen und Folgen von Rassismus. In der Forschung werden unterschiedliche Facetten von Rassismus analysiert und es gibt Diskussionen darüber, inwieweit bestimmte Formen des Rassismus individuell oder institutionell sind und wo Rassismus beginnt.

Es ist aber Konsens, dass Rassismus eine Ideologie ist, die Individuen, Gruppen und Gesellschaften teilen und die dazu dienen, Gruppen auf der Grundlage scheinbarer natürlicher und vor allem kaum änderbarer Merkmale abzuwerten, oder auch Menschen abzuwerten, weil sie bestimmten Gruppen angehören.

Wissenschaftlich anerkannt aber in der westlichen Welt ist der Befund der Naturwissenschaft, dass es keinen Sinn macht, Menschen nach Rassen zu unterscheiden - was Rassismus tut. Aber auch Gesellschaften haben Rassismusdefinitionen, weil gerade demokratische Gesellschaften von einem Konsens der Gleichwertigkeit abhängen. Im Grundgesetz ist klar geregelt, dass wir niemanden aufgrund von bestimmten Merkmalen ausgrenzen dürfen. Die EU hat Rassismus definiert, die UN und andere Institutionen. Dass darüber gestritten wird, wo Rassismus beginnt, ist klar.

Andreas Zick
Zur Person

Andreas Zick ist Direktor des Instituts- für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld. Seine Forschung befasst sich schwerpunktmäßig mit innergesellschaftlichen Konflikten und Prozessen der Radikalisierung

"Rassistische Bilder dienen der Abwertung"

faktenfinder: Wie wird Rassismus in der Politik eingesetzt - mit welchen Zielen?

Zick: Oft geschieht das gar nicht offen und leicht nachvollziehbar, weil wir es in rechtsextremen Gruppen finden - sondern subtil und unscheinbar. Man kann andere Gruppen auch rassistisch abwerten, indem man ihnen scheinbar postive natürliche Merkmale zuschreibt, die sie aber von der vollen Teilhabe in der Gesellschaft ausgrenzt. Aus dem Sexismus, der eine Spielart des Rassismus ist, kennen wir das: Wir schreiben Frauen die angeborene Fähigkeit zu, mit Kindern besser umgehen zu können und den Haushalt besser führen zu können und schon wird Frauen die Teilhabe versagt.

Die Politik macht sich dann verdächtig, wenn sie Gruppen benennt, die ihrer Meinung nach scheinbar natürliche, kulturell irgendwo verankerte oder biologische Merkmale haben, die mit negativen Merkmalen verbunden sind, oder positiven Merkmalen, die sie als minderwertig beschreiben. Wir haben in der Vergangenheit rassistische Stereotype und Vorurteile gegenüber Juden, Muslimen, Frauen, Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe, Arbeitslosen, Menschen mit homosexueller Orientierung und vielen anderen Gruppen gehört.

In Kandel (Rheinland-Pfalz) findet eine NPD-Veranstaltung unter dem Motto "Asylflut stoppen" statt

Bei einer NPD-Veranstaltung in Kandel Anfang Januar stand auf einem Plakat: "Asylflut stoppen"

Auch während der Zuwanderung von Flüchtlingen kursierten viele Bilder über die Eigenschaften der Flüchtlinge. Rassistische Bilder dienen dann als einfache Instrumente der Gleichmacherei und der Abwertung. Dramatisch sind auch Bilder von Gruppen, die ihnen die Menschlichkeit nehmen. "Asylfluten", "Horden" von Menschen und viele andere Bilder entmenschlichen Personen und Gruppen.

Dass Rassismus auch in der Politik vorkommt, ist aber nicht verwunderlich, wenn Politik rassistisch ist, wenn sie ein Klientel bedienen will. Rassismus beschäftigt sich ja nicht mit den Gruppen, die man diskriminiert, sondern dient in erster Linie dazu, Anhänger zu finden. In unserer letzten Studie vom Sommer 2016 stimmten 13 Prozent der Befragten einer repräsentativ gezogenen Stichprobe der folgenden Meinung zu: "Die Weißen sind zurecht führend in der Welt"; unter rechtspopulistisch orientierten waren es 24 Prozent.

"Rassistische Politik erhöht die Bereitschaft zu Gewalt"

faktenfinder: Welche Folgen hat Rassismus in der Politik - auch auf eine Gesellschaft?

Zick: Politik muss den Schutz vor Rassismus stärken. Wir haben in Deutschland einen Anstieg von sogenannten Hate Crimes, die auf rassistischen und menschenfeindlichen Vorurteilen basieren, in einem hohen Ausmaß. Wenn Politik rassistische Politik betreibt, dann ist das Ausdruck einer Verschiebung von Normen, greift es das Grundgesetz an, welches die Grundlage der Gemeinschaft ist und es erhöht die Billigung und Bereitschaft zu Gewalt. Unter rechtspopulistisch orientierten Gruppen haben wir schon eine Erhöhung von Gewaltbilligung und -bereitschaft empirisch festgestellt.

Politik neigt ab und an zum Tabubruch gerade in Zeiten, wo man Punkte machen kann, indem man sich von vermeintlichen Gutmenschen und politischer Korrektheit abgrenzt. Rassismus wird dann als Mittel der Provokation verwendet. Aber das entbindet nicht von der Frage nach der Verantwortung und verdeckt die Ursachen des Tabubruchs.

"Rassismus erforschen, auch wenn es schwer fällt"

faktenfinder: Ist Rassismus eine politische Methode - gibt es da eine Entwicklung auch in Deutschland?

Zick: Wir erleben in den letzten Jahren in einigen Bevölkerungsschichten eine Rechtsruck, der einhergeht mit der Vorstellung einer deutschen Identität verbunden, der irgendwelche natürlichen Merkmale unterstellt werden, die sie scheinbar von anderen Völkern unterscheiden, denen eine andere Natur zugeschrieben wird. Das ist nicht nur meine Meinung. Im Sommer 2016 sahen 67 Prozent einer Umfrage diese Rechtsruck auch; nur 23 Prozent einen Linksruck, wobei keine politische Position vor Rassismus schützt.

In den USA ist seit den 1980er-Jahren gut erforscht, dass man mit Rassismus Politik machen kann, indem man Weiße überhöht und andere abwertet; dort nennt man das "race politics". Wir tun uns in Europa schwer damit, weil wir die Erfahrung des Nationalsozialismus erinnern und wissen, was Rassenpolitik sein kann.

Aber auch eine einfache Vorstellung eines deutschen Volkes kann ein politisches Konzept sein, welches auf Rassismus beruht. Daher müssen wir Rassismus analysieren, wie auch Stereotype und Vorurteile, auch wenn das schwer fällt. Wir stellen immer stärker fest, dass Rassismusanalyse und die Diskussion des Konzepts schon angegriffen wird, selbst Forscherinnen und Forscher als "Gutmenschen" und "politisch korrekt" verteufelt werden. Über Rassismus reden, fällt auch in Deutschland immer noch schwer.

Das Gespräch führte Wolfgang Wichmann, tagesschau.de