Eine NASA-Aufnahme zeigt die östliche Hemisphäre der Erdkugel.
Kontext

Desinformation zum Klimawandel Verzögerung statt Leugnung

Stand: 12.12.2023 10:27 Uhr

Den Klimawandel leugnen nur noch wenige Deutsche. Stattdessen soll Klima-Desinformation vor allem notwendige Klimaschutzmaßnahmen verzögern. Die Motivationen sind vielfältig.

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Top Wissenschaftlerin lässt Bombe platzen: Überwältigender Konsens ist, dass die Klimakrise erfunden ist", "Natur entlarvt Klima-Schwindel" oder der "Klimaschwindel" ist "ein Betrug, ein Ablasshandel, ein Vorwand uns zu berauben und in die die sozialistische Sklaverei zu führen". All dies sind Aussagen aus aktuellen Beiträgen auf dem Kurznachrichtendienst X.

Unter den Hashtags #Klimaschwindel und #ClimateScam finden sich derzeit zahlreiche Beiträge, die den Klimawandel relativieren, in Frage stellen oder gar leugnen. Rund um die UN-Klimakonferenz in Dubai scheint es einen Anstieg derartiger Beiträge gegeben zu haben. Sie stehen im absoluten Widerspruch mit der Klimawissenschaft, denn dass der gegenwärtige Klimawandel fast ausschließlich auf anthropogene Faktoren zurückzuführen ist, ist wissenschaftlicher Konsens.

Klimadesinformation hat Konjunktur

Ein Vorabbericht zur COP28 der Koalition Climate Action Against Disinformation (CAAD), einem weltweiten Zusammenschluss von mehr als 50 Klima- und Desinformationsorganisationen, kommt zu dem Schluss, dass sowohl Fehlinformationen als auch Desinformation über das Klima Hochkonjunktur haben. Sie haben das Ziel, die öffentliche und politische Unterstützung für Maßnahmen zu untergraben und verbreiten sich besonders stark, wenn extreme Wetterereignisse wie beispielsweise Waldbrände aufkommen oder wichtige Klimaentscheidungen, wie auf der Weltklimakonferenz, diskutiert werden.

"Solche Inhalte wirken sich nicht nur auf die Debatte und die Umsetzung der Klimapolitik aus, sondern machen das Klima auch zu einem Vehikel für Verschwörungstheorien, Sündenböcke und soziale Spaltung", heißt es in der Studie. Auch die Vereinten Nationen halten in einem Positionspapier vom Juni 2023 fest: "Falschinformationen über den Klimanotstand verzögern die dringend notwendigen Maßnahmen, um eine lebenswerte Zukunft für den Planeten zu gewährleisten".

Durch die Übernahme des Kurznachrichtendienstes von Elon Musk gab es laut einer Analyse des Center for Countering Digital Hate (CCDH) und des CAAD einen sprunghaften Anstieg von Klimadesinformation seit Juli 2022. Die Anzahl klimawandelleugnender Inhalte auf X verdreifachte sich im Vergleich zu den vorherigen Monaten auf knapp 110.000 Tweets pro Woche.

Der Hashtag #ClimateScam verbreitet sich laut CAAD-Analyse "Leugnen, Täuschen, Verzögern" seit Dezember 2022 überaus erfolgreich auf X und hat explizit klimaleugnenden Inhalten ein Comeback ermöglicht. Gerade in Bezug auf Extremwetterereignisse wurde der Hashtag weltweit so oft genutzt, dass er mehrmals auf X trendete. In Deutschland wurden die Hashtags #Klimaschwindel und #ClimateScam häufig in Verbindung mit Beiträgen verwendet, die unter anderem der tagesschau die Manipulation von Wetterkarten vorwarfen. Eine immer wieder auftauchende Behauptung, die bereits mehrfach widerlegt wurde.

Harte Klimaleugner in Deutschland nur noch kleine Randgruppe

Der Erfolg des Hashtags #ClimateScam lässt sich allerdings laut CAAD auf eine kleine Gruppe von Accounts zurückführen, welche den Hashtag regelmäßig verwenden und Tausende von Likes und Retweets für ihre Inhalte erhalten. Das kann auch Toralf Staud, Fachjournalist beim Wissensportal klimafakten.de, bestätigen: "Die harten Leugner sind inzwischen eine winzig kleine Randgruppe."

Fälle klassischer Leugnungen des menschengemachten Klimawandels seien hierzulande inzwischen ziemlich selten geworden. Sie würden jedoch vor Ereignissen wie der Klimakonferenz lauter werden, um größer zu erscheinen und mögliche Beschlüsse zu beeinflussen. Ein Großteil der Menschen in Deutschland wisse jedoch, dass der Klimawandel ein großes Problem sei und fordere daher auch Klimaschutzmaßnahmen von der Regierung, so Staud.

Einer Umfrage des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts zufolge befürworten 91 Prozent der Befragten mehr Anstrengungen beim Klimaschutz. 85 Prozent der Befragten gaben an, Auswirkungen des Klimawandels durch Trockenheit und Dürren bereits wahrzunehmen, 83 Prozent sehen auch Starkregen und Hochwasser als Folgen.

Zentrale Behauptungen gegen den Klimawandel

Doch die Verbreitung von Fehl- und Desinformation über den Klimawandel umfasst deutlich mehr Argumentationsmuster und Strategien als die reine Leugnung. In dem Paper "Computergestützte Erkennung und Klassifizierung von Fehlinformationen über den Klimawandel" werden folgende fünf zentrale Behauptungen aufgelistet: "Die globale Erderwärmung findet nicht statt", "Die menschlichen Treibhausgase verursachen keine globale Erwärmung", "Die Auswirkungen des Klimas sind nicht schlimm", "Klimalösungen funktionieren nicht" und "Die Klimabewegung/Wissenschaft ist unzuverlässig".

Dabei werden häufig folgende rhetorische Tricks angewendet: der Einsatz von Pseudo-Experten, die Verwendung logischer Fehlschlüsse, das Schüren unerfüllbarer Erwartungen, Rosinenpickerei sowie die Verbreitung von Verschwörungsmythen.

Argumentationsmuster zur Verzögerung des Klimaschutzes

Deutlich häufiger als die Leugnung des Klimawandels sei inzwischen eine versuchte Verzögerung des Klimaschutzes, sagt auch Staud. Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) hat in einer Studie die Argumentationsmuster von Maßnahmen-Gegnern in vier Hauptkategorien unterteilt: "Da werden zum Beispiel Verantwortung umgelenkt, unzureichende Maßnahmen propagiert, negative Nebenfolgen betont oder behauptet, es nütze doch sowieso alles nichts mehr." Staud fasst diese Kategorien zusammen mit dem Slogan: "Nicht ich. Nicht jetzt. Nicht so. Zu spät."

Die Weitergabe der Verantwortung am Klimawandel ist ein sehr häufig zu sehendes Narrativ. "Es wird zum Beispiel auf andere Länder mit höheren CO2-Emissionen gezeigt und gesagt, dass erst einmal diese Staaten etwas machen sollten", sagt Staud. Dieses Argumentationsmuster zeigt sich beispielsweise in der immer wiederkehrenden Behauptung, dass Deutschland weltweit betrachtet nur für einen geringen Anteil der CO2-Emissionen verantwortlich sei und daher weitere Klimaschutzmaßnahmen quasi sinnlos seien. Dies gilt jedoch für fast alle der knapp 200 Länder auf der Welt.

"Wenn alle Staaten so argumentieren würden, würde sich also gar nichts verändern," sagt Staud. Hinzu kommt, dass Deutschland mit Blick auf die Bevölkerungszahl deutlich mehr CO2 ausstößt als der weltweite Durchschnitt.

Das Warten auf neue Technologien ist ein weiteres gern angeführtes Argument. Die aktuellen Möglichkeiten an Klimaschutzmaßnahmen werden beispielsweise als nicht gut genug deklariert und für eine Beibehaltung des Status Quo plädiert, bis vermeintlich bessere Technologien verfügbar seien. Allerdings müssen die Emissionen Klimaforschern zufolge sofort drastisch gesenkt werden, um die härtesten Folgen des Klimawandels noch zu vermeiden, und nicht erst in einigen Jahrzehnten.

Ärmere Länder besonders von Klimawandel betroffen

Indem auf nachteilige Folgen für arme Menschen hingewiesen wird, soll auf vermeintliche Schäden von Klimaschutzmaßnahmen hingewiesen werden. "Dieses Argument kommt oft ausgerechnet von Leuten, die sich sonst nicht sehr für soziale Gerechtigkeit einsetzen", sagt Staud. "Zudem hilft es armen Menschen viel weniger, wenn keine Klimapolitik gemacht wird - denn sie werden am stärksten unter den Folgen eines ungebremsten Klimawandels leiden."

Das gilt zum einen global gesehen: Denn bislang sind laut Weltklimarat (IPCC) vor allem Menschen aus armen Ländern von den Folgen des Klimawandels betroffen. Zu den besonders gefährdeten Regionen gehören demnach West-, Zentral- und Ostafrika, Südasien sowie Mittel- und Südamerika. Dort war die durch Wetterextreme wie Überschwemmungen, Dürren und Stürme verursachte Sterblichkeit in den Jahren zwischen 2010 und 2020 15-mal höher als im Rest der Welt.

Doch nicht nur global gesehen sind ärmere Menschen stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen: Auch in Deutschland spielt die finanzielle Situation eine wichtige Rolle. Denn arme Menschen leben unter anderem öfter in ungenügend isolierten Wohnungen in dicht bebauten Stadtvierteln, Hitzewellen treffen sie besonders hart. "Natürlich muss Klimapolitik sozial ausgewogen konstruiert sein", sagt Staud. "Aber nichts zu machen, wäre das Verkehrteste und hilft den armen Menschen noch viel weniger."

Das vierte übergeordnete Argumentationsmuster ist laut MCC die Kapitulation. Demzufolge sei es ohnehin zu spät, den Klimawandel noch aufzuhalten, und man könne es daher auch bleiben lassen, weitere Klimaschutzmaßnahmen zu implementieren. Das sei jedoch vollkommen falsch, sagt Staud. Jedes Zehntelgrad vermiedene Erhitzung sei wichtig. Wenn das 1,5-Grad-Limit gerissen wird, seien etwa zwei Grad immer noch besser als 2,1 Grad. Jedenfalls sei es niemals zu spät, Emissionen zu senken.

"Alarmierende Mobilisierung zu Gewalt"

Weltweit hat laut CAAD 2023 eine "alarmierende Mobilisierung zu Gewalt gegen diejenigen stattgefunden, die mit dem Klimaschutz in Verbindung gebracht werden - von gewählten Vertretern und politischen Entscheidungsträgern bis hin zu Wissenschaftlern, Aktivisten und Journalisten". Eine Studie der internationalen Nichtregierungsorganisation Global Witness gibt an, dass 39 Prozent der von ihnen befragten 468 Klimawissenschaftler in den letzten Monaten Online-Belästigung oder -Missbrauch erlebt hätten.

"All jene Personen werden als Zielscheibe für diese Art von Informationskrieg betrachtet", sagt Jennie King, Leiterin der Leiterin der Abteilung Klimaforschung und -politik des Institute for Strategic Dialogue (ISD) der Nachrichtenagentur AFP. Das deute darauf hin, dass zunehmend jeder zum Sündenbock gemacht werde, der mit Klimapolitik oder Klimaschutzmaßnahmen in Verbindung gebracht werde.

Motivation unterschiedlich

Das CAAD identifiziert in seiner Studie drei Hauptakteure der Verbreitung: die Lobby der fossilen Brennstoffe, staatlich unterstützte Akteure und diejenigen, die von der "Empörungsökonomie" im Internet profitieren. Dazu kämen neuerdings "Wellness"- und Gesundheitsinfluencer.

"Gerade bei den Verzögerungsargumenten gibt es Absender mit sehr verschiedenen Motivationen. Manche wollen Klimaschutz verhindern, andere sind vielleicht einfach nur mit Blick auf die Wirtschaft verunsichert, auch wenn sie an sich den Klimawandel sehr ernst nehmen", ergänzt Staud. Daher sei es wichtig, die richtige Ansprache für die einzelnen Bedenken zu finden.

Insgesamt sind laut Staud jedoch psychologische Gründe am wichtigsten, wenn man verstehen will, warum Menschen die Klimakrise leugnen oder Klimaschutzmaßnahmen verzögern wollen. "Es ist attraktiv, sich die Argumente zu suchen, die gegen weitreichende Maßnahmen sprechen. Denn der Realität ins Auge zu blicken, ist bei dem Thema sehr unbequem." Niemand wolle ein böser Mensch sein - doch sage man Leuten, dass sie das Klima zerstören, bewirke das zunächst eine Abwehrreaktion.

"Es ist kein Defizit an Informationen, dass einige Menschen weiterhin Klimaschutzmaßnahmen verzögern", sagt Staud. "Es sind psychologische Faktoren, die da eine Rolle spielen. Daher wird es immer Menschen geben, die es nicht wahrhaben wollen - vielleicht weil sie vom Status Quo profitieren, vielleicht weil ihr Selbstbild sonst ins Wanken geraten würde, vielleicht weil sie unterbewusst Angstgefühle vermeiden wollen, die sich einstellen würden, sobald sie die Realität der Klimakrise akzeptieren."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 14. April 2023 um 19:30 Uhr in der Sendung "Zeitfragen".