Nach dem Umsturz in Tunesien Eine Kettenreaktion ist kaum wahrscheinlich

Stand: 18.01.2011 00:18 Uhr

Die Tunesier haben Diktator Ben Ali davongejagt - erfolgreich, wie es scheint. In mehreren Ländern der Region wird nicht viel weniger autokratisch regiert. Steht jetzt, nach dem Machtwechsel in Tunis, auch eine Revolte in Syrien, Jordanien oder anderen Golfstaaten an?

Von Ulrich Leidholdt, Amman

Von Ulrich Leidholdt, ARD-Hörfunkstudio Amman

Im jordanischen Finanzministerium haben sie in der vergangenen Woche ein paar Nachtschichten eingelegt. Das war sicherlich auch eine Reaktion auf die Vorgänge in Tunesien. Unabhängig davon waren Korrekturen im Sozialbereich jedoch zu erwarten, Revolutionäres wie in Tunis aber nicht. Es gab in Amman kleinere, friedliche Demonstrationen von ein paar Tausend, in Jordanien nichts Außergewöhnliches.

Hohe Preise für Lebensmittel und Notwendiges wie Kochgas-Kartuschen, Heizöl oder Benzin erzeugen immer wieder den Unmut der Bevölkerung. Besonders seit die Regierung auf Geheiß des Königshauses und unter westlichem Druck Wirtschaftsreformen in Angriff nimmt - also weniger Staat, mehr privat und Abbau von Subventionen. Die Folge: weniger Inflation, aber auch steigende Preise. Obst und Gemüse wurden im letzten Jahr um weit mehr als zwanzig Prozent teurer.

König Abdullah und Königin Rania werden deshalb nicht müde, sozialen Ausgleich für ihr Sieben-Millionen-Volk zu propagieren. Schulen für alle, auch in Regionen fern der Hauptstadt. Dort also, wo es zu Unmutsbekundungen kam. Bildung ist sicher die Positiv-Marke Jordaniens, womit sich das Land klar von anderen Ländern der arabischen Welt abhebt. Auch sein Gesundheitssystem ist vorbildlich und auf hohem Niveau - viele Ärzte haben im Ausland studiert. Doch Behandlungen sind bei Durchschnittseinkommen von 400 Euro für viele unerschwinglich, weshalb Krankenhäuser jetzt Rabatte versprechen.

125-Millionen-Paket und Hilfe aus Washington

Das Finanzministerium offeriert als Ergebnis der Nachtarbeit seiner Experten ein 125-Millionen-Euro Paket. Inhalt: Preissenkungen und Arbeitsplatz-Programme. Die USA, die in Jordanien ihren zuverlässigsten Verbündeten in Nahost sehen, schießen 75 Millionen hinterher - für Arme und Jugendliche.

Der staatlich geduldete Protest von Gewerkschaftern und Islamisten hält sich in überschaubaren Grenzen. Die Regierung, gerade erst gebildet, steht in Jordanien eher für technokratische Verwaltung, hat Weisungen des Königs auszuführen und wird von ihm recht schnell entlassen, falls die Dinge nicht zu seiner Zufriedenheit laufen. Die jordanische Monarchie steht nicht in Frage, der Sicherheitsapparat ist loyal und garantiert Stabilität. Die Jordanier, mehr als die Hälfte Palästinenser, wissen, was sie an ihrem Land haben - besonders wenn sie die Verhältnisse ringsum anschauen. Trotz der wie überall auch hier grassierenden Korruption.

Die Palästinenser unter israelischer Besatzung haben da ganz andere Probleme, auch die Libanesen, die gerade erst wieder ethnisch-religiöse Spannungen fürchten müssen, die früher schon mal einen fünfzehnjährigen Bürgerkrieg auslösten.

Auch in Damaskus werden Hilfspakete geschnürt

Syrien greift zu ähnlichen Maßnahmen wie Nachbar Jordanien, um sozialen Sprengstoff zu entschärfen. Damaskus beschließt Subventionen für seine 20-Millionen-Bevölkerung, von der trotz bescheidenem Wirtschaftswachstum jeder Vierte unter der Armutsgrenze lebt. Polizei, Armee und Geheimdienste halten für Präsident Assad die Lage unter Kontrolle.

Die Syrer tragen allerdings auch seinen Widerstand gegen Israel mit, verlangen die seit 1967 okkupierten Golanhöhen zurück und sind erleichtert über Assads vorsichtige Öffnung gen Westen - in dieser Woche unterstrichen durch die Rückkehr eines US-Botschafters nach sechs Jahren. Das von George Bush als Schurkenstaat deklarierte Syrien lastet die tunesische Entwicklung einer zu großen Nähe zum Westen an. Assad setzt arabische Stärke dagegen und sitzt als wieder umworbener Friedenspartner einstweilen fest im Sattel.

Ölstaaten müssen sich kaum sorgen

Auch die arabischen Golfstaaten müssen kein zweites Tunesien fürchten - sie haben genug Öl und Gas, um das Leben ihrer Staatsbürger so komfortabel zu gestalten, dass Protest von Kuwait über Katar bis zu den Emiraten ein Fremdwort bleibt. Die Arbeitskräfte, die die Scheichtümer unter oft erbärmlichen Bedingungen am Laufen halten, kommen aus Südostasien und bleiben ohne Stimme.

Fazit: Die arabische Welt verfolgt dank medialer Globalisierung zwar aufmerksam das Geschehen in Tunesien, bekundet Sympathie für die Menschen dort - doch das bedeutet keineswegs, dass von Amman über Damaskus bis Dubai derzeit Ähnliches ansteht.