EU befürchtet Flüchtlingsstrom Tausende wollen raus aus Libyen

Stand: 24.02.2011 05:58 Uhr

Wer kann, versucht Libyen zu verlassen. Deutschland und andere Länder bringen ihre Staatsbürger mit Schiffen oder Flugzeugen in Sicherheit, auch Einheimische ergreifen die Flucht. Die EU fürchtet einen Ansturm von Flüchtlingen, ist aber in der Migrationspolitik tief gespalten. Heute treffen sich deshalb die EU-Innenminister.

Von Daniela Stahl, ARD-Hörfunkstudio Rom

Italien und der kleine Inselstaat Malta sind derzeit der Brückenkopf für die internationalen Evakuierungsmaßnahmen aus Libyen. Die gingen bis in die Nacht hinein weiter. Wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtet, starteten von Italien aus zwei Maschinen, um im Laufe des Tages weitere Ausländer aus Libyen zu holen.

Auf Malta warten noch zwei deutsche Transall-Maschinen auf Einsätze. Am Flughafen Tripolis sollen noch immer rund 5000 Ausländer festsitzen. Auch die Ausreise von hunderten US-Bürgern verzögert sich noch immer, sie sollten bereits gestern mit zwei vom US-State-Departement gecharterten Schiffen aus Libyen nach Malta gebracht werden. Dafür war aber die See zu rau. Nach Informationen des ARD-Hörfunkstudios Rom sind auch drei deutsche Fregatten im Mittelmeer unterwegs.

Suche nach gemeinsamer EU-Mittelmeerpolitik

Außerdem hat die italienische Marine inzwischen vor der libyschen Küste zwei Kriegsschiffe stationiert. Sie sollen zum einen eingreifen, falls es zu militärischen Zwischenfällen kommt, zum anderen aber auch den befürchteten Flüchtlingsansturm abwehren. Über genau dieses Problem hat der italienische Innenminister Roberto Maroni gestern mit seinen Kollegen der fünf anderen Mittelmeeranrainerstaaten beraten.

Zitat

"Wir können nicht alle armen Afrikaner nach Europa lassen, nur weil sie im Moment in Libyen vielleicht keine Arbeit finden. (...) Wir brauchen Hilfe, damit junge Menschen in ihren Ländern ihre Zukunft wieder in die Hand nehmen."

Italien, Malta, Zypern, Griechenland, Spanien und Frankreich wollen bei der EU-Innenministerkonferenz heute in Brüssel mit klaren Ansagen aufwarten. Die sechs Länder fordern vor allem eine gemeinsame Mittelmeerpolitik der EU. Ein Appell, der seit Jahren im Raum steht und bislang noch nicht umgesetzt wurde.

Dazu schlagen die Mittelmeerländer zum einen eine gemeinsame Strategie im Umgang mit den Flüchtlingsländern vor. So sollten neue partnerschaftliche Beziehungen entwickelt werden, um den betroffenen Ländern bei der Wirtschaftsentwicklung zu helfen und so die gesamte Region zu stabilisieren.

Entlastung für Grenzländer

Zum anderen soll es ein gemeinsames Asylsystem geben, um die Grenzländer zu entlasten. Innenminister Maroni erklärt: "Heute sehen die europäischen Richtlinien vor, dass wenn bei einer Asylanfrage jemand als asylberechtigt anerkannt wird, dieser in dem Land bleiben muss, in dem er angekommen ist. Das heißt also vor allem in den Grenzländern."

Über diese Belastung hätten sich die Mittelmeerländer nie beklagt und man habe das Asylrecht auch immer angemessen angewandt, so Maroni weiter: "Aber angesichts einer solchen humanitären Notsituation, die uns an unsere Küsten 200.000 bis 300.000 Flüchtlinge bringen könnte, sehen wir uns veranlasst, die anderen EU-Länder zu bitten, wenigstens zu versuchen, ebenfalls das Prinzip zu teilen, dass eine solche humanitäre Notlage nicht allein unseren Ländern überlassen bleibt."

Notfallfonds für Ausnahmesituationen

Deshalb fordern die Mittelmeeranrainer als dritten Punkt, einen Notfallfonds einzurichten, auf den die betroffenen Grenzländer in Ausnahmesituationen wie der derzeitigen Krise in Nordafrika zurückgreifen können.

Zuvor hatte schon der italienische Außenminister Franco Frattini die EU zu mehr Engagement aufgerufen, um die Mittelmeerländer vor der drohenden Flüchtlingswelle zu schützen. Frattini sieht auch die Zeit gekommen, der europäischen Grenzschutzagentur Frontex mehr Aufgaben zuzuteilen: "Frontex wurde nicht nur als Kontrollorgan eingerichtet, sondern sollte schrittweise das Steuerungsorgan für die Flüchtlingsströme und für den Schutz der Außengrenzen werden. Der Fall Libyen ist meiner Ansicht nach genau das Musterbeispiel für Frontex, um diese Verantwortung jetzt auch zu übernehmen."

Wie ein solcher Einsatz vor den Küsten Italiens aussehen könnte, ist derzeit aber noch völlig unklar. Ziemlich sicher ist aber, dass die ersten Flüchtlinge bald kommen dürften. Denn die gemeinsamen Seekontrollen, die Italien und Libyen bislang durchgeführt haben, sind mit der Krise hinfällig geworden.