Radovan Karadzic im Porträt Der Mann, der ein Land in die Hölle stürzte

Stand: 22.07.2008 05:37 Uhr

Selbsternannter Schöngeist, gewiefter Politiker, dreister Lügner, Schreibtischtäter und skrupelloser Mörder: Wer ist der Mann, dem die schlimmsten Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zur Last gelegt werden? Ein Porträt von

Andrea Mühlberger, ARD-Hörfunkstudio Südosteuropa

Einen Schreibtischtäter, auf dessen Konto der Völkermord an fast 8000 Muslimen gehen soll, stellt man sich anders vor: Der Mann ist elegant gekleidet, trägt das Haar künstlerisch zerzaust, ist verbindlich im Ton und allen Lebenslagen gewachsen. So dürften viele Radovan Karadzic in Erinnerung haben.

Mythos vom "Mann in den Bergen"

So inszenierte sich der frühre Präsident der bosnischen Serben in der Öffentlichkeit, bevor er vor zwölf Jahren untertauchte - nachdem das UN-Kriegsverbrechertribunal Anklage gegen ihn erhoben hatte. Fehlgeschlagene Festnahmen gab es mehrere und nach jeder wuchs der Mythos vom "Mann in den Bergen". Viele vermuteten Karadzic im Grenzgebiet zwischen Bosnien und Montenegro, versteckt in einem Kloster.

Wie um seine Verfolger zu verhöhnen und um sich bei seinen Bewunderern in Erinnerung zu bringen, ließ Karadzic über Kontaktpersonen immer wieder Romane, Gedichtbändchen, sogar Kinderbücher veröffentlichen. Ein studierter Mediziner, ein Psychiater mit höheren Neigungen - und mit Hang zur Poesie. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher versuchte sich als Dichter.

Hass auf alle Muslime

In die Politik fand der selbst ernannte Poet, Mediziner und gebürtige Montenegriner 1989, als er die nationalistische Serbische Demokratische Partei gründete. Schon bald darauf wurde klar, welche politische Richtung der in seiner Jugend glühende Tito-Anhänger als bosnischer Serben-Präsident einschlagen würde: Im Oktober 1991 droht er den Moslems im Parlament in Sarajevo mit Krieg, als sie die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas forderten: "Ihr müsst wissen, dass ihr Bosnien-Herzegowina in die Hölle stürzt und das muslimische Volk in den Untergang. Das muslimische Volk kann sich nicht verteidigen, wenn es zum Krieg kommt", sagte er da.

Dreiste Lügenmärchen

Nur ein halbes Jahr nach dieser denkwürdigen Parlamentssitzung und der Unabhängigkeitserklärung der Bosniaken stürzt Karadzic selbst das Land in die Hölle: Gemeinsam mit dem Belgrader Kriegstreiber Slobodan Milosevic organisiert er den Aufmarsch der serbischen Armee gegen muslimische Einheiten in Bosnien. Karadzic und des Teufels General, der weiter flüchtige Armeechef der bosnischen Serben Ratko Mladic, verbreiteten unter Bosniaken und Kroaten Angst und Schrecken - obwohl Karadzic vor internationalen Vermittler sogar frech das Gegenteil behauptet: "Vor dem Krieg lebten 20.000 Muslime in Banja Luka. Jetzt leben hier 40.000. Sie sind aus kleineren Dörfern gekommen, in denen wir sie nicht schützen können und jetzt schützen wir sie hier in Banja Luka", erklärte Karadzic damals.

Schuldig an Srebrenica

Stattdessen wird die Stadt Sarajevo durch jahrelange Belagerung ausgehungert. Zivilisten werden Freiwild für Scharfschützen. Und das Massaker an fast 8000 Bosniaken in der Enklave Srebrenica wird zum Synonym für einen brutalen Völkermord im Zentrum Europas nach dem zweiten Weltkrieg. Karadzic und Mladic gelten als Hauptverantwortliche.

Man darf gespannt sein, was der gewandte Redner und Taktierer Karadzic zu den Vorwürfen sagen wird. In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo wird seine Verhaftung jedenfalls schon groß gefeiert - als späte Genugtuung für die Familien der Opfer.