Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission.

Juncker verabschiedet sich Mit Humor, Härte und Genuss

Stand: 22.10.2019 14:44 Uhr

Gebeugt, aber ungebrochen: So verlässt EU-Kommissionspräsident Juncker die politische Bühne. Heute hat er sich in Straßburg verabschiedet.

Brüssel im Sommer 2018: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker begegnet Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Seite an Seite stehen sie da: Der fragil und zerbrechlich wirkende Juncker und der alerte, stets perfekt gekämmte und höchst disziplinierte Kurz.

Stärker als ihr Alter trennt sie ihre Persönlichkeitsstruktur. Gekonnt und charmant lässt Juncker seine Abneigung gegen den erfolgsgestählten Jungkanzler aufblitzen. Und wendet sich in der Attitüde des besorgten Vaters an den hoffentlich noch lernfähigen Sohn.

Lieber Sebastian. Ich weiß, dass Du dich auch einfühlen kannst in die Befindlichkeiten der anderen. Ich bemühe mich um Ähnliches. Das gelingt mir nicht immer - dir im übrigen auch nicht - aber meistens.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (l.) und der österreichische Kanzler Sebastian Kurz (r.).

Zwei Politiker, die nicht gegensätzlicher sein könnten: Juncker und Kurz.

Tadel, getarnt als Selbstkritik

Juncker ist ein humorvoller Meister des als Selbstkritik getarnten Tadels und der plakativen Metaphorik. "Du weißt, dass ich ein großer Anhänger des Wiener Schnitzels bin. Ich frage in der Mongolei und in Afrika immer nach Wiener Schnitzel. Aber auf den Teller des Hauses EU gehört nicht nur Wiener Schnitzel. Okay, vielen Dank."

Abgekanzelt stand Kanzler Kurz da. Über dessen eindimensional auf Abschreckung zielende Flüchtlingspolitik hatte sich Juncker zuvor sehr geärgert. Keinen einzigen Bootsflüchtling aus dem Mittelmeer hatte Österreich während seiner sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft aufgenommen. Aus Junckers Sicht ein Armutszeugnis. "Wir können nicht bei der Ankunft jedes neuen Schiffes weiter über Ad-hoc-Lösungen streiten."

Knallhart und klar kann Juncker sein - trotz seines angegriffenen Körpers und trotz seiner erkennbaren Schwächen. Das Rauchen zum Beispiel kann er nicht lassen, eher klebte Juncker eigenhändig sämtliche Rauchmelder im dreizehnten Stockwerk des Kommissionsgebäudes ab. Und ausschließlich mit kohlesäurehaltigem Mineralwasser als Gipfel der Trinkfreude wie seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen wird sich der Luxemburger nie zufrieden geben. Junckers 'European way of life' sieht deutlich genussbetonter aus.

EU-Kommissionspräsident Juncker und US-Präsident Trump

Juncker und US-Präsident Trump im Juli 2018 im Weißen Haus.

Als er Trump die Stirn bot

"Auf euren Kleinekram lache ich" zitierte der Kommissionspräsident aus den Dachstuben-Stimmungen von Christian Morgenstern als er beim NATO-Gipfel 2018 gestützt werden musste. Anschließend wurde er von Österreichs Rechtsnationalen zum Rücktritt aufgefordert. "Was ist bloß mit Juncker los?" fragten sich "Bild" und Co.

Doch kurze Zeit später demonstrierte Juncker im Weißen Haus seine außergewöhnliche Klasse und Stärke. "Wir sind eine Handelsmacht" machte der Chef-Europäer seinem Gastgeber Donald Trump klar. Er hielt den EU-Gegner im Weißen Haus zumindest bis jetzt davon ab, Strafzölle gegen europäische und vor allem deutsche Autoindustrie zu verhängen, indem Juncker den USA anbot, mehr Soja und Flüssiggas in die Europäische Union zu exportieren. Ein Domestizierungs-Kunststück, das Juncker erst einmal jemand nachmachen muss.

Stolz auf seinen Kampf für Griechenland

Zur Höchstform lief der Kommissionspräsident während der Griechenland-Krise auf. Als der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble laut darüber nachdachte, das hochverschuldete Griechenland zeitweise aus der Euro-Währungsunion auszuschließen. "Ich bleibe stolz darauf, dass wir diesem Druck nicht nachgegeben und dafür gesorgt haben, dass Griechenland Euro-Mitglied bleibt."

Der britische Premier Boris Johnson (links) und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker äußern sich zum neuen Brexit-Deal.

Für Juncker ist der EU-Austritt der Briten eine Schlappe.

Ein Desaster wäre es für die EU geworden, hätte es vor dem Brexit bereits den Grexit gegeben. Unter dem Ausstieg der Briten leidet Juncker geradezu physisch. Betont stoisch und für seine Verhältnisse geradezu unnahbar reagierte Juncker in der vergangenen Woche, als Boris Johnson über den erreichten Brexit-Deal jubelte.

Niemand versteht die Briten, aber jeder versteht Englisch", gehört zu Junckers besten Brexit-Bonmots.

Den Ausstieg der Briten hätte er kaum verhindern können. Dennoch wird sich der Europäer aus Leidenschaft ewig vorwerfen, vor dem britischen Referendum ausgerechnet auf die Bitte seines Intimfeindes David Cameron gehört zu haben, sich bloß nicht in die innerbritische Diskussion einzumischen. "Ich werde bis zum Ende meines Lebens stolz sein, Europa gedient zu haben" sagte Juncker nach seinem vielleicht letzten EU-Gipfel. Ein Großer verlässt bald die EU-Bühne. Gebeugt, aber ungebrochen.

Ralph Sina, Ralph Sina, ARD Brüssel, 22.10.2019 14:57 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete B5 Aktuell am 22. Oktober 2019 um 11:05 Uhr.