Interview

Referendum zum EU-Reformvertrag Ein Ja ist nicht sicher

Stand: 02.10.2009 02:37 Uhr

Bis zum späten Abend konnten die Iren gestern über den Lissabonvertrag abstimmen. Das Scheitern eines ersten Referendums hatte die EU in eine tiefe Krise gestürzt. Doch inzwischen half die EU Irland, die Auswirkungen der Finanzkrise abzufedern. Doch ein Ja ist nicht sicher, so ARD-Korrespondent Björn Staschen.

tagesschau.de: Herr Staschen, was ist bei der zweiten Abstimmung zu erwarten?

Björn Staschen: Nach Meinungsumfragen gewinnt diesmal das Ja-Lager, was aber im vergangenen Jahr auch schon vorausgesagt worden war. In diesem Jahr ist immerhin die Zahl der unentschiedenen Wähler sehr viel kleiner. Wir rechnen eher nicht mit einer bösen Überraschung, was aber nicht heißt, dass es sie nicht noch geben kann. Deshalb haben sogar noch am Tag vor der Abstimmung viele Parteien und Gruppen in den Fußgängerzonen von Dublin Handzettel verteilt, obwohl da der Wahlkampf eigentlich schon verboten war. Premierminister Brian Cowen war in seinem Wahlkreis unterwegs. Also: Eine sichere Angelegenheit ist die Abstimmung sicher nicht.

Irlands Premierminister Brian Cowen kämpft um das Ja der Iren zum EU-Reform

Irlands Premierminister Brian Cowen kämpft um das Ja der Iren zum EU-Reform. Beliebt ist er aber nicht bei seinen Landsleuten.

tagesschau.de: Hat sich die Stimmung seit vergangenem Jahr verändert? Was beeinflusst diesmal die Entscheidung der Menschen am meisten?

Staschen: Im vergangenen Jahr fühlte man sich noch als einer der Gewinner der europäischen Einigung und als eines der Länder, denen es wirtschaftlich sehr gut ging. Das hat sich rapide geändert. In Irland ist die Wirtschaftskrise nun massiv zu spüren. Die Arbeitslosigkeit hat sich in einem Jahr auf mehr als zwölf Prozent verdoppelt, und es wird erwartet, dass sie weiter steigt. Vor allem junge Menschen finden keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Die Banken in Dublin haben in diesem Jahr keinen einzigen Auszubildenden eingestellt. Viele sagen, weil die Wirtschaftslage so schwierig ist, müssen wir mit Ja stimmen, weil nur Europa uns aus der Patsche helfen kann. Die irische Wirtschaft fußt auf dem Export und ein Großteil dessen geht nach Europa.

tagesschau.de: Wie wurden denn in diesem Jahr die Kampagnen geführt?

Staschen: Der Wahlkampf um das Referendum sieht im Straßenbild diesmal ganz anders aus. Im vergangenen Jahr hatten die Parlamentsparteien, die bis auf Sinn Fein für den Vertrag von Lissabon sind, Fotos ihrer Spitzenpolitiker plakatiert. In diesem Jahr gibt es kaum Politiker auf den Postern, sondern ausschließlich Botschaften und Inhalte. Das heißt, man versucht darüber aufzuklären, was im Vertrag von Lissabon wirklich steht. 

Im vergangenen Jahr hatte das Nein-Lager vor allem damit gepunktet, dass es Ängste heraufbeschwor: Dass die militärische Neutralität Irlands verloren gehen könnte, dass Irland seine sehr strengen Abtreibungsregeln lockern müsste, dass die Unternehmenssteuer europäischen Sätzen angepasst werden müsste. Aber all das steht im Lissabon-Vertrag gar nicht drin.

tagesschau.de: Die irische Regierung hat nach der Abstimmungspleite einen Zusatzvertrag zum EU-Reformvertrag ausgehandelt. Spielt das für die Bürger eine Rolle?

Staschen: Das wird die Abstimmung zeigen. Unser Gefühl ist: ja. Denn 2008 haben viele gesagt, sie stimmen mit Nein, weil sie nicht wissen, was im Vertrag steht. In diesem Jahr treffen wir wenige Menschen, die das sagen. Viele haben sich damit beschäftigt, was Lissabon bedeuten könnte. Insofern ist Irland in jedem Fall besser informiert. Damit sind die Sorgen und Ängste der Iren sicherlich geringer als beim letzten Mal.

tagesschau.de: Haben sich auch die Lager der Ja- und Nein-Sager verschoben?

Staschen: Es haben einige die Seiten gewechselt, zum Beispiel Ryanair-Chef Michael O'Leary. Der war im vergangenen Jahr zurückhaltend bis ablehnend gegenüber dem Lissabon-Vertrag. In diesem Jahr hat er eine Ja-Kampagne finanziert mit der Aussage: Die Regierung ist zwar bescheuert, aber um uns vor der irischen Regierung zu schützen, stimmt bitte für den Vertrag. Dann kann uns wenigstens Europa aus der Patsche helfen.

In diesem Jahr wurden außerdem viele neue Gruppen gegründet, die den Vertrag unterstützen, besonders unter den 18- bis 35-Jährigen. Eine heißt "we belong". Ihre Internet-Kampagne wurde sehr positiv aufgenommen. Ihr Video auf Youtube wurde 270.000 Mal abgerufen. Das Internet ist erst dieses Mal wirklich zum Mittel für den Wahlkampf geworden. 

tagesschau.de: Welchen Einfluss hat der Gründer der europakritischen Partei Libertas, der Millionär Declan Ganley, noch?

Staschen: 2008 führte er die größte Gruppe der Nein-Sager an und steckte viel Geld in eine Kampagne gegen den Vertrag. Er musste aber bei der Europa-Wahl im Frühjahr eine herbe Schlappe einstecken und war deswegen viel weniger präsent. Das heißt aber nicht, dass das Nein-Lager schwächer wäre. Unser Gefühl ist, dass im Straßenbild auf Postern und Plakaten das Nein-Lager noch präsenter ist als das Ja-Lager.

tagesschau.de: Was passiert, wenn Irland doch wieder mit Nein stimmen sollte?

Staschen: Wir haben das Premier Cowen gerade gefragt. Er sagte: Zum dritten Mal abstimmen lassen wir nicht. Allerdings hat er schon im vergangenen Jahr gesagt, ein zweites Mal wird er nicht abstimmen lassen. Seinen Verbleib im Amt hat er von der Abstimmung bisher nicht abhängig gemacht.

In Brüssel sagen viele, das Vertragswerk muss dieses Mal durchgehen. Einen Plan B hat man nicht. Ein Szenario im Falle einer Ablehnung wäre, dass man Irland zum Austritt aus der EU drängt. Das ist sicherlich sehr fern, aber einige erwähnen das immer wieder. Es ist ein kleines Land, dass das große Europa nicht aufhalten soll. Andere reden wieder über ein Kerneuropa - ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, in dem die Befürworter des Lissabon-Vertrages schnell vorangehen und die anderen hinterherhinken. Aber all das ist noch ferne Zukunft. Die wahrscheinliche Variante ist: Beim zweiten Mal klappt es und Lissabon geht durch.

Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de

Das Interview führte Björn Staschen, NDR