Interview

Tsipras' Syriza gewinnt Wahlsieger mit engem Spielraum

Stand: 21.09.2015 12:20 Uhr

Mit der neuen Regierung Tsipras könnte mehr Stabilität in Griechenland einkehren, sagt der Politologe Christos Katsioulis im Gespräch mit tagesschau.de. Aber der Spielraum für das neue Kabinett sei durch die Sparauflagen aus Brüssel klar vorgezeichnet.

tagesschau.de: Alexis Tsipras hat die Wahl gewonnen, wird wohl eine Koalition mit der rechten Anel-Partei eingehen. Alles beim Alten in Athen?

Christos Katsioulis: Nicht ganz. Syriza hat sich verändert. Die Partei ist verlässlicher geworden - und stärker bereit, das Reformprogramm umzusetzen. Das Kalkül von Tsipras, in Neuwahlen zu gehen, um mehr Rückhalt im Parlament zu bekommen, ist aufgegangen.

Zur Person

Christos Katsioulis leitet seit Mai 2012 das Athener Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuvor lebte der Politikwissenschaftler und Historiker in Berlin, wo er für die Internationale Politikanalyse der SPD-nahen Stiftung den Bereich Außen- und Sicherheitspolitik betreute.

tagesschau.de: Jeder Vierte ist arbeitslos, das Land hat Schulden von 230 Milliarden Euro angehäuft. Wie kann die Agenda für die zweite Amtszeit von Tsipras aussehen?

Katsioulis: Die zweite Amtszeit ist weitgehend vorgezeichnet durch die Kreditvereinbarungen. Da steht all das drin, was die griechische Politik in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren umsetzen muss. An dieses Memorandum werden sich alle Parteien halten. Die wirtschaftliche Misere, die wir seit fünf, sechs Jahren in Griechenland erleben, hängt eng mit der politischen Instabilität zusammen. Nicht umsonst ist die wirtschaftliche Entwicklung nach den Neuwahlen im Januar eingebrochen. Insofern könnte jetzt wieder Stabilität einkehren, denn diese Regierung hat eine längere Perspektive als nur sechs oder sieben Monate.

tagesschau.de: Es ist also nicht damit zu rechnen, dass die Griechen bald wieder an der Wahlurne stehen?

Katsioulis: Die Griechen haben zwar die Demokratie erfunden, aber es ist nicht so, dass sie sich jedes halbe Jahr vergewissern müssen, dass sie das noch können. Ich glaube nicht an Neuwahlen in der nächsten Zeit - auch wenn das Regieren mit der knappen Mehrheit von nur fünf Stimmen sehr schwierig sein wird. Auch vor dem Hintergrund dessen, was diese Regierung in den nächsten Monaten durchziehen wird. Entscheidend wird sein, ob es Tsipras gelingt, die Brücken, die er zur Opposition aufgebaut hat, aufrecht zu erhalten. Er wird bei einigen Gesetzen die Unterstützung von Nea Dimokratia, Potami und Pasok brauchen.

tagesschau.de: Ist der "Grexit" noch ein Thema?

Katsioulis: Das ist weiterhin ein Thema. Die Sorge ist groß, dass insbesondere Deutschland das Thema wieder auf die Tagesordnung bringt, sofern die getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Im Wahlkampf hat es allerdings eine eher geringe Rolle gespielt.

tagesschau.de: Haben die Griechen akzeptiert, dass ihre Probleme nur innerhalb der EU zu lösen sind?

Katsioulis: Die Bereitschaft der griechischen Gesellschaft, für einen Verbleib in der EU die nötigen Opfer zu bringen, ist ziemlich groß. Wenn man sich das Wahlergebnis anschaut, sieht man, dass über 75 Prozent der Griechen eine Partei gewählt haben, die die Vereinbarungen umsetzen will. Obwohl die Wähler genau wissen, dass das Schmerzen bereiten wird.

tagesschau.de: Nur jeder Zweite ist überhaupt zur Wahl gegangen. Sind die Griechen langsam müde und politikverdrossen?

Katsioulis: Die Leute sind politikmüde, sie sind wahlmüde. Sie hatten auch den Eindruck, dass im Moment gar nicht so viel zur Wahl steht. Denn die politischen Entscheidungen für die nächsten Jahre sind weitgehend vorgezeichnet. Dazu kommt, dass die Griechen nicht an ihrem Wohnort wählen, sondern an ihrem Heimatort. Viele haben schlicht und einfach die Kosten gescheut, um dorthin zu reisen.

tagesschau.de: Sieben Prozent für die rechtsextreme Goldene Morgenröte - nur ein Warnschuss?

Katsioulis: Die positive Nachricht ist, dass diese Partei offenbar in einem Korridor von maximal zehn Prozent gefangen ist. Trotz großer politischer und wirtschaftlicher Turbulenzen, die bis zu Bankenschließungen geführt haben. Der negative Aspekt ist, dass es offensichtlich einen Kern von Wählern gibt, die im vollen Bewusstsein eine rassistische, nationalsozialistische Partei gewählt haben. Das sind keine Proteststimmen mehr, keine Anti-Establishment-Stimmen, sondern klar ideologisch ausgeprägte Stimmen.

Das Interview führte Johannes Groß für tagesschau.de.