Interview

Interview zu Gesetzesvorhaben "Zensurstrukturen, die das gesamte Netz betreffen"

Stand: 18.01.2012 16:16 Uhr

Führende Internet-Seiten in den USA haben gegen Gesetzentwürfe protestiert, mit denen das Urheberrecht besser geschützt und Webseiten schneller gesperrt werden sollen. Der Online-Experte Markus Beckedahl sagt im Interview mit tagesschau.de: Das Vorhaben gefährdet auch die Freiheit im Netz in Deutschland.

tagesschau.de: US-amerikanische Politiker wollen schärfer gegen Verstöße gegen das Urheberrecht im Internet vorgehen. Wie soll das geschehen?

Markus Beckedahl: Mit zwei Gesetzesvorschlägen versucht man, die Wunschliste von Hollywood & Co. für eine mögliche Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen umzusetzen. Dazu gehören mehrere umstrittene Maßnahmen - wie etwa, dass Internetprovider gezwungen werden sollen, das Internet zu überwachen, indem man die Haftung neu interpretiert. Die Betreiber von Plattformen sollen stärker dafür verantwortlich gemacht werden, was bei ihnen passiert. Es soll eine Zensur-Infrastruktur errichtet werden, wie sie in Deutschland auch im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpronographischen Inhalten erwogen wurde.

Zur Person

Markus Beckedahl, geboren 1976, arbeitet als Unternehmer, Blogger und Aktivist für digitale Freiheiten in Berlin. Er gilt als einer der deutschen Pioniere der politischen Internet-Kommunikation. Beckedahls 2002 gegründeter Blog netzpolitik.org ist der meistverlinkte Blog in Deutschland. Er erhielt in den vergangenen Jahren mehrere Auszeichnungen.

tagesschau.de: Es würde also seitens des Staates eine eigene Infrastruktur errichtet, die tief in die Freiheit im Internet eingreift?

Beckedahl: Die Idee dahinter ist, dass es Server in anderen Ländern gibt, die urheberrechtlich geschützte Werke anbieten, ohne die Rechte zu besitzen. Diese Seiten möchte man ausblenden. Wer aber garantiert, dass ein solches Gesetz irgendwann nicht auch gegen politisch missliebige Seiten angewendet wird? Das Weiße Haus hat festgestellt, dass sich hier ein Zielkonflikt auftut. Außenministerin Hillary Clinton fährt durch die Welt und erklärt repressiven Staaten, dass sie nicht die Meinungsfreiheit durch Zensurstrukturen im Internet beschränken dürfen. Wenn man genau das aber im eigenen Land tut, kommt das nicht so gut an.

tagesschau.de: Wer trifft die Entscheidung über die Sperren - und wo liegt die Beweispflicht?

Beckedahl: Das ist ein weiteres Problem. Plattformbetreiber sollen zu Hilfspolizisten der Rechte-Industrie werden. Das heißt: Rechteinhaber sollen sich direkt an Plattformbetreiber wenden und verlangen können, bestimmte Seiten zu sperren - ohne dass ein Gericht dazwischen geschaltet wird. Die Betreiber sollen dann die Seiten sperren oder nachweisen, dass mit diesen Seiten alles in Ordnung ist. Das ist aber häufig kompliziert.

Vor kurzem verlangten die USA zum Beispiel die Beschlagnahmung einer spanischen Plattform namens mooo.com, die eine Seite mit urheberrechtlich geschütztem Material enthielt. Auf dieser Plattform gab es aber auch mehr als 80.000 andere Webseiten verschiedener Anbieter, die kein geschütztes Material enthielten. Durch diese Beschlagnahmung hatten unzählige Menschen keinen Zugriff mehr auf ihre Webseiten. Das sind Kollateralschäden, zu denen es bei solchen Gesetzesvorhaben kommt.

tagesschau.de: Können auch Dritte von den Sperren betroffen sein?

Beckedahl: Auch das Verlinken auf andere Seiten könnte durch die Gesetze strafbar werden, wenn auf ihnen das Urheberrecht verletzt wird. In einem dynamischen Web weiß aber niemand, wie sich Seiten verändern. Eine verlinkte Webseite, die heute keine Urheberrechtsverletzungen enthält, kann sie morgen durchaus enthalten. Davor ist niemand geschützt - auch tagesschau.de nicht.

Auswirkungen weltweit spürbar

tagesschau.de: Bleiben die Folgen des Gesetzes auf die USA begrenzt oder betreffen sie auch andere Länder?

Beckedahl: Sollten diese Gesetze auch nur zur Hälfte so kommen, wie sie vorgeschlagen wurden, hätte das Auswirkungen auf das gesamte Internet. Eine Vielzahl kommerzieller und nicht-kommerzieller Plattformen haben ihren Sitz in den USA: Facebook, Twitter, Google, Wikipedia und viele andere. Und sie werden in Deutschland intensiv genutzt. Sollten sich nun die Rahmenbedingungen in dem Herkunftsland ändern, dann hat das unmittelbare Auswirkungen auf unser Leben im Netz hier vor Ort.

tagesschau.de: Andererseits ist der Verstoß gegen das Urheberrecht nach wie vor ein Milliardengeschäft und für viele nur eine Art Kavaliersdelikt. Wie soll dieses Phänomen wirksam bekämpft werden?

Beckedahl: Die Musikindustrie zeigt, wie man dem Problem beikommen kann. Jahrelang hat sie sich geweigert, Angebote zu schaffen, die attraktiv für Konsumenten waren. Mittlerweile gibt es aber eine Vielzahl an solchen Angeboten und siehe da: Die Verkaufszahlen schießen nach oben, die Angebote werden angenommen. Warum ist das im Filmbereich nicht möglich?

Das Problem sind Plattformen wie kino.to und ihre Derivate. Das sind Parasiten, die mit mafiösen Strukturen Angebote bereit stellen, die eine große Nachfrage haben. Warum werden diesen Nachfragern keine legalen Angebote gemacht? Warum kann ich im Netz nicht kostengünstig Videos anschauen, herunterladen oder kaufen? Warum kann ich E-Books nicht zu einem attraktiven Preis erwerben, sondern muss fast denselben Preis wie für ein gedrucktes Buch zahlen, ohne dass ich die selben Rechte habe? Denn das E-Book kann ich nicht weiterverkaufen oder verleihen. Das sind absurde Zustände und die führen nicht dazu, dass Nutzer mehr Produkte kaufen.

tagesschau.de: Deutsche Onliner sind aufgerufen, bei Außenminister Westerwelle anzurufen, der die Gesetzesvorhaben unterstützt - haben Sie auch zum Hörer gegriffen?

Beckedahl: Noch nicht, ich habe aber mit vielen anderen Menschen gesprochen, um sie darüber zu informieren, was heute passiert und dass nicht nur in den USA eine solche Gesetzgebung vorbereitet wird. Auch in Europa und in Deutschland tauchen dieselben Forderungen auf, die in den USA gerade umgesetzt werden sollen. Man muss sich nur mal anschauen, welche Forderungen Musik- und Filmindustrie und die Gema an die Politik richten. Das sind genau dieselben Forderungen, die gerade in den USA ein offenes Internet gefährden.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de