Afrikanische Migranten im Lager Zawiyah, 45 Kilometer von Tripolis, Libyen

Vereinbarung des Migrationsgipfels "Verrat europäischer Werte"

Stand: 29.08.2017 14:09 Uhr

Menschenrechtsorganisationen und Opposition haben die Vereinbarungen des Pariser Migrationsgipfels scharf kritisiert. Frankreich, Deutschland und weitere EU-Staaten streben eine engere Zusammenarbeit mit afrikanischen Transitländern wie Libyen an.

"Man kooperiert mit Verbrechern. Das muss man klar formulieren", kritisierte der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, das Vorhaben, mit Ländern wie Libyen enger zusammenzuarbeiten. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk wies er darauf hin, dass das Auswärtige Amt zu Recht darauf hingewiesen habe, dass es in den Haftlagern Libyens zu Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen komme.

In Libyen herrschten auch in den Lagern, die sich im Gebiet der libyschen Einheitsregierung befinden, untragbare Zustände. "Es ist unfassbar, dass die Bundeskanzlerin europäische Werte so verrät und der Öffentlichkeit alles schön redet und so tut, als gebe es das alles nicht", kritisierte Burkhardt.

Merkel: Illegale Migration stoppen

Beim Migrationsgipfel in Paris hatten sich mehrere EU-Staaten darauf verständigt, Schutzbedürftigen aus Afrika legale Wege nach Europa zu ermöglichen. Dazu wollen Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien enger mit den afrikanischen Transitstaaten Niger, Tschad und Libyen zusammenarbeiten. Die Nordgrenzen der Länder sollen verstärkt gesichert werden. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sagte, Flüchtlinge sollten schon in Niger oder Tschad erfasst werden. In den beiden Ländern sollten jene "identifiziert" werden, die "Recht auf Asyl" hätten, sagte Macron in Paris zum Abschluss des Gipfeltreffens mit europäischen und afrikanischen Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingskrise. Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützte Macrons Vorschläge.

"Leiden verbergen statt lindern"

Vorsortieren in Libyen "ist zum einen wenig realistisch", sagte Philipp Frisch von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" im Interview mit den tagesthemen. Zum anderen müsse man sich vor Augen führen, wie katastrophal die Bedingungen in den libyschen Lagern jetzt schon sind. Die Teams der Hilfsorganisation berichteten von Vergewaltigungen und Folter.

Man sehe aktuell eine "Externalisierung europäischer Außengrenzen in diese Transitländer". Frisch kritisierte, die europäischen Länder strebten eher danach, das Leid der der Menschen zu verbergen und nicht so sehr, das Leiden zu lindern. Die Menschen, die aktuell auf der Flucht seien, hätten nicht die Zeit, um abzuwarten, bis sich die Lage in diesen Ländern stabilisiere - sie benötigten jetzt Hilfe.

Kritik auch von den Grünen

Kritik kam auch aus der Opposition. Grünen-Politikerin Claudia Roth sagte im Deutschlandfunk, der "Mini-Gipfel" habe nur ein Ziel gehabt: "Zu verhindern, dass Geflüchtete bei uns in Europa überhaupt ankommen - koste es, was es wolle." Statt Deals mit Libyen zu machen, wo staatliche Strukturen fehlten und Flüchtlingslager "rechtsfreie Räume" seien, müsse Europa zeigen, was eine wertegeleitete Politik sei. Dem Sterben im Mittelmeer müsse man etwas entgegensetzen, betonte Roth. Das gehe aber nicht, "indem wir die Außengrenze nach Afrika verlagern und die Augen verschließen vor dem Elend". Nötig seien sichere Durchgangswege nach Europa und eine Entwicklungspolitik, die den Menschen in Afrika eigene Perspektiven eröffne. Die aktuelle Politik wolle die Flüchtlinge statt die Fluchtursachen bekämpfen. Eine verantwortungsvolle, humanitäre Politik sei das nicht. "Daraus spricht doch der ganze eiskalte Zynismus einer Politik, die sich in schöne Worte verkleidet", kritisierte sie die Formulierungen von Paris.

UN hält den Weg für ermutigend

Die Vereinten Nationen begrüßten dagegen die Ergebnisse des Pariser Flüchtlingsgipfels: Die angekündigte enge Kooperation zwischen EU-Staaten und Transitländern sei ermutigend, erklärte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, in Genf. Grandi lobte auch die Bereitschaft der Europäer, weiterhin Flüchtlinge in Seenot und gestrandete Menschen in den Wüstengebieten Nordafrikas zu retten. Die Rettung von Menschenleben sei eine zentrale Aufgabe während der Flüchtlingskrise, unterstrich der aus Italien stammende UN-Hochkommissar.

Der EU-Innenkommissar wandte sich nach dem Gipfel in Paris sogleich an die Innenminister der EU-Staaten: "Wir haben eine rechtliche und eine moralische Pflicht, jenen Schutz zu bieten, die ihn wirklich brauchen", schrieb EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos nach einem "Handelsblatt"-Bericht den Innenministern der EU-Länder.

Er forderte darin die Regierungen auf, bis Mitte September mitzuteilen, wie viele Menschen sie im kommenden Jahr aufzunehmen bereit sind. Dabei sollten sie "so ehrgeizig wie möglich" sein, zitierte die Zeitung aus dem Schreiben. Für Avramopoulos sei die Eröffnung legaler Wege nach Europa ein zentrales Element zur Lösung der Flüchtlingskrise.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 28. August 2017 um 22:30 Uhr.