Reportage aus Georgien Wahlbeobachter unter verschärfter Beobachtung

Stand: 22.05.2008 14:09 Uhr

Vom Urteil internationaler Wahlbeobachter hängt es ab, wie die Welt auf den Ausgang von Wahlen in Staaten reagiert, deren Demokratie als schwach gilt. Doch wie kommen sie zu ihrer Bewertung? Am Mittwoch fanden in Georgien Parlamentswahlen statt. Etliche internationale Beobachter waren dabei. Von der Opposition wurden sie mit großer Skepsis empfangen. Denn bei der Präsidentenwahl vor fünf Monaten hatten Beobachter mit widersprüchlichen Aussagen für Ärger gesorgt.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Hier in einem kleinen Raum im fünften Stock des "Sheraton" Hotels in Tiflis läuft alles zusammen: Im Büro der OSZE gehen die Berichte von 530 Wahlbeobachtern aus dem ganzen Land ein. Zwei Statistiker, die sich als Hans und Andrew vorstellen, bearbeiten mit 26 Helfern die Daten von mehr als 2000 Formularen am Computer. Die beiden haben weit mehr als 40 Wahleinsätze hinter sich. Ihnen ist die Anspannung vertraut, die sie auch über die Nacht wach hält. Am Tag nach der Wahl muss der vorläufige Bericht fertig sein, den die internationale Beobachtermission dann der Öffentlichkeit präsentiert.

Formuliert wird der Text vom Vizechef der OSZE-Beobachtermission, Stefan Krause. Er gehört zu den Wahlexperten von ODIHR (Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte), einer Unterorganisation der OSZE, die weltweit als erste Organisation Standards für die Wahlbeobachtung entwickelt haben. Zusammen mit 13 Kollegen eines Kernteams in Tiflis und 28 Experten in den Regionen Georgiens analysiert Krause seit sechs Wochen die Lage. Einige Tage vor der Wahl reisten weitere 380 Kurzzeitbeobachter an.

Verschiedene Interessen - verschiedene Bewertungen

Ergänzt wird die Mission von 80 Parlamentsabgeordneten verschiedener Länder, die im Namen internationaler Organisationen - wie etwas der der Nato oder der EU - angereist und nur für kurze Zeit vor Ort sind. Auch wenn Parlamentarier und Experten im Rahmen der Mission mit einer Stimme auftreten sollten, so haben sie doch ein unterschiedliches Verständnis über die Bewertung. Während sich die Experten in ihrer Bewertung streng an den ODIHR-Beobachtungsstandards orientieren, sprechen die Abgeordneten zumeist über den Eindruck, den sie am Wahltag gewinnen, und treten auch als Interessenvertreter ihrer Länder auf.

Bericht der Beobachter hat weitreichende Folgen

Vom Urteil der Beobachter hängt für Georgien viel ab: Etwa ob das Land als Demokratie anerkannt wird und sich dem Westen weiter annähern kann. Präsident Michail Saakaschwili hat versprochen, Georgien in die Nato zu führen. Im Dezember berät die Nato erneut darüber, nachdem Georgien beim Gipfel in Bukarest vor sechs Wochen der vorletzte Schritt zum Beitritt auch mit Hinweis auf demokratische Defizite verweigert worden war.

Opposition: Urteile früher und deutlicher formulieren

Die vorgezogene Präsidentenwahl im Januar hatte Saakaschwili zwar gewonnen. Aber die Opposition erkennt das Ergebnis bis heute nicht an. Sie wirft der Regierung vor, mit Fälschungen eine Stichwahl verhindert zu haben. Eine Mitschuld gibt sie aber auch den internationalen Beobachtern. "Weil die Beobachter Kritik erst geäußert haben, als das Wahlergebnis nicht mehr angefochten werden konnte, wurde uns die Chance auf eine Stichwahl genommen", beklagt Salome Surabischwili vom Parteienblock Vereinigte Opposition. Sie fordert, dass die Beobachter ihre Urteile deutlicher und früher formulieren.

"Triumphaler Schritt" für die Demokratie?

Bei der vorgezogenen Präsidentenwahl war das nicht der Fall: Am Tag nach der Wahl hatte der US-Abgeordnete Alcee Hastings in Tiflis von einem "triumphalen Schritt" für die Demokratie gesprochen. Der vorläufige Bericht der Beobachtermission, der auch am Tag nach der Wahl veröffentlicht wurde, zählte bereits einige Mängel auf - so die Einschüchterung von Oppositionsanhängern und den Missbrauch von Steuergeldern für den Wahlkampf der Regierungspartei. Im Abschlussbericht von Anfang März wurden dann Manipulationen bei der Stimmenauszählung kritisiert.

Auch nach der Präsidentenwahl kürzlich in Armenien war das Urteil der Beobachter direkt nach der Wahl zunächst recht positiv ausgefallen. Erst im Nachhinein wurden schwere Mängel benannt. Kaukasus-Experte Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik fordert angesichts dieser Ereignisse, die westlichen Wahlbeobachter sollten künftig mit einer Stimme sprechen, wenn sie glaubwürdig sein wollten.

Zurück zum Tag der Parlamentswahl in Tiflis: Am Morgen schwärmen die Beobachter in Zweier-Teams mit Fahrer und Übersetzer in ein ihnen zugewiesenes Gebiet aus. Fünf bis zehn Wahllokale sollten sie besuchen. Sie sollen an der Eröffnung, Schließung und Auszählung in einer Wahlstation teilnehmen. Von den 3500 Wahllokalen würden auf diese Weise etwa 2500 besucht, rechnet ODIHR-Sprecher Jens-Hagen Eschenbächer vor. Am Mittag macht in Tiflis dann die Nachricht von einem Mord nahe eines Wahllokals die Runde. Doch das Innenministerium beschwichtigt: Es gebe keinen Zusammenhang zur Wahl. Später wird von einem Mann berichtet, der mit einer Axt politische Gegner aus einem Wahllokal vertrieben haben soll. Auch Parlamentsabgeordnete unter den Beobachtern berichten von Streitereien und Ungereimtheiten hier und da, äußern sich aber überwiegend positiv zum Wahltag, während die ODIHR-Experten am Wahltag keinen Kommentar abgeben.

Bürger vor der Wahl unter Druck gesetzt

Das ODIHR-Team hatte bereits die Vorbereitungen zur Wahl beobachtet - und zwei Berichte dazu veröffentlicht: Wieder wurden bei Wahlkampfaktionen der Regierungspartei Gutscheine an die Bürger verteilt und Bürger unter Druck gesetzt, heißt es da. Ein Kandidat von Saakaschwilis Vereinter Nationaler Bewegung erklärte einer Mutter, ihr Sohn werde aus dem Gefängnis entlassen, wenn sie seiner Partei einige hundert Wählerstimmen verschaffe. Entscheidend für die Wahlexperten ist bei solchen Berichten, dass glaubwürdige Zeugen gefunden werden. Doch oft verhindert Angst vor möglichen Folgen eine Aussage.

Geld für Renovierung für das "richtige" Kreuzchen?

Die Beobachter haben es außerdem mit immer ausgefeilteren Manipulationsmethoden zu tun, sagt Eschenbächer. Seltener werde versucht, massenhaft gefälschte Wahlzettel in die Wahlurnen zu schmuggeln. Stattdessen werden Wähler belohnt, wenn sie das Kreuz an der "richtigen Stelle" gemacht haben und ein Handy-Foto als Beweis vorlegen. Glaubt man Berichten von Tiflisern, so können sich Mieter mit ihrer Stimme für die Regierungspartei auch die Renovierung ihres Treppenhauses "erkaufen". Offenbar wird auch kontrolliert, ob die Wähler ihre Versprechen einhalten: Am Morgen stehen vor der Schule Nummer 54 Frauen und jüngere Männer zusammen - wie vor vielen anderen Wahllokalen auch. Manche haben Listen in der Hand. Eine von ihnen, Magda, erzählt der tagesschau.de-Reporterin, sie seien von der Regierungspartei geschickt worden. Auf den Listen stünden Namen von Wählern, die versprochen hätten, für die Regierungspartei zu stimmen. Wie viel sie dafür gezahlt bekämen, sei abhängig davon, wie viele dieser Leute erschienen.

"Wir sind keine Wahlpolizei"

"Wäre dies einem Wahlbeobachter erzählt worden, hätte er das als gravierenden Fall von Stimmenkauf notieren müssen", sagt ODIHR-Sprecher Eschenbächer dazu. Aber selbst wenn die Wahlbeobachter offensichtliche Fälle von Manipulationen vorfinden, greifen sie nicht ein. "Unsere Rolle ist es nicht, Wahlbetrug zu verhindern, wir beobachten nur", stellt Eschenbächer klar. Zwar könne die Anwesenheit der Wahlbeobachter dazu beitragen, Betrug zu verhindern und langfristig Änderungen bewirken, aber "wir sind keine Wahlpolizei".

Was die Beobachter sehen, tragen sie in zweiseitige Formulare ein, die von den Statistikern im OSZE-Büro im "Sheraton" Hotel die Nacht hindurch ausgewertet werden. Bis zum Morgen wird Krause mit seinen Kollegen vom Kernteam an dem Bericht schreiben, damit er der Presse am Tag nach der Wahl präsentiert werden kann. Doch die Opposition wartete die Bewertung nicht ab. Schon am Abend spricht sie von Wahlbetrug und fordert zu neuen Protesten auf.