Ursula von der Leyen

Ursula von der Leyen Als EU-Kommissionschefin noch nicht fertig

Stand: 19.02.2024 05:10 Uhr

Anhänger wie Kritiker würdigen von der Leyens Leistung als Krisenmanagerin. Heute dürfte die EU-Kommissionschefin bekannt geben, dass sie für eine zweite Amtszeit antritt. Das hat Folgen - für sie selbst und für Europa.

Wenn Ursula von der Leyen bei der Sitzung der CDU-Führung in Berlin ihre Kandidatur für eine zweite Amtszeit erklärt, schlüpft sie in eine neue Rolle: die der Wahlkämpferin. 2019 hat sie es (fast) ohne Kampf an die Spitze von Europas mächtigster Behörde geschafft. Die Staats- und Regierungschefs setzten sie als Kommissionspräsidentin gegen ein zerstrittenes EU-Parlament durch.

Diesmal wird von der Leyen als Spitzenkandidatin der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) antreten. Den Rückhalt von Partei- und Fraktionsschef Manfred Weber sowie der Vorsitzenden von CDU und CSU, Friedrich Merz und Markus Söder, hat sie. Anfang März soll der EVP-Kongress in Bukarest sie offiziell nominieren.

Fünf Jahre lang musste von der Leyen zwischen 27 Mitgliedsstaaten austarieren und moderieren, jetzt darf sie polarisieren. Dabei muss sie Wahlkampf und Amt klar trennen. Die entsprechenden Leitlinien hat die Kommission praktischerweise erst vor einem Monat aktualisiert.

Rückhalt der Mitgliedsstaaten nötig

Ursula von der Leyen ist nicht die Erste, die für eine zweite Amtszeit an der Kommissionsspitze antritt. Der Portugiese José Manuel Barroso war zweimal Präsident, der Franzose Jacques Delors sogar dreimal. Um wiedergewählt zu werden, braucht sie den Rückhalt der EU-Regierungen. Davon werden zwölf christdemokratisch geführt und zählen damit zu von der Leyens politischem Lager.

Auch die Ampel-Regierung in Berlin gibt der CDU-Politikerin die Chance auf eine zweite Amtszeit, obwohl ihre Partei im Bund in der Opposition steht. Laut Ampel-Koalitionsvertrag dürfen zwar die Grünen einen EU-Kommissar vorschlagen - aber nur dann, wenn die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland kommt.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält ebenfalls zu ihr; er hat sie schließlich 2019 vorgeschlagen. Zur ultrarechten und in Europa pragmatisch auftretenden Regierungschefin Italiens, Georgia Meloni, hat von der Leyen eine gute Beziehung aufgebaut.

Schwierige Mehrheit im EU-Parlament

Um Kommissionschefin zu bleiben, braucht sie außerdem eine Mehrheit im EU-Parlament. Im Juli 2019 bekam von der Leyen nur neun Stimmen mehr als nötig; Abgeordnete der SPD und der deutschen Grünen votierten nicht für sie. Auch diesmal wird es schwierig, falls die Fraktionen am rechten Rand bei der Europawahl zulegen. Im Wahlkampf muss von der Leyen zunächst die eigenen Reihen schließen. Die EVP-Fraktion hat sich zuletzt nicht mehr bedingungslos hinter ihren "Green Deal" zum nachhaltigen Umbau Europas gestellt und wichtige Umweltgesetze blockiert. Abgeordnete bemängeln, die Kommissionschefin zeige sich zu wenig und mache grüne Klimapolitik.

Von der Leyen bemüht sich seit Monaten, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Im September kündigte sie in ihrer Rede zur Lage der Union einen Dialog mit den Landwirten an und machte ihnen Zugeständnisse. So verzichtet Brüssel auf das Vorhaben, den Einsatz von Ackergiften drastisch einzuschränken. Ihr für Klimapolitik zuständiger Stellvertreter Frans Timmermans wurde durch rhetorisch geschmeidigere Nachfolger ersetzt.

Was sie geschafft hat

Anhänger wie Kritiker würdigen von der Leyens Leistung als Krisenmanagerin. Die Kommission hat unter ihrer Führung an Macht und Einfluss gewonnen. In der Corona-Pandemie beauftragten die Mitgliedsstaaten die Kommission, Impfstoffe zu beschaffen. Die Impfkampagne lief nach Anfangsproblemen gut - obwohl Einzelheiten über die Vereinbarung mit dem Hersteller Pfizer im Dunkeln bleiben. Brüssel verteilt die Gelder aus dem durch gemeinsame Schulden finanzierten Wiederaufbaufonds.

Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine organisiert die Kommission Hilfe für das Land und Sanktionen gegen Moskau. Dabei stimmt sich von der Leyen eng mit US-Präsident Joe Biden ab - in Washington weiß man längst, unter welcher Telefonnummer Europa zu erreichen ist. Bei ihren Reisen nach Kiew hat die Kommissionschefin trotz überschwänglicher Solidaritätsappelle stets betont, dass der EU-Beitritt von Fortschritten des Landes abhängt.

Im Verhältnis zu China hat sie den Begriff "De-risking" geprägt. Dass die Präsidentin Deutsche ist, wurde sehr deutlich, als sie nach dem Hamas-Überfall auf Israel dessen Selbstverteidigungsrecht hervorhob, ohne ebenso nachdrücklich den Schutz von Zivilisten einzufordern. Das kam bei einigen Regierungen und manchen in ihrer Behörde nicht gut an.

... und was zu tun bleibt

Brüssel muss auch künftig Finanzhilfe und militärische Unterstützung für die Ukraine sicherstellen - umso mehr, als Zweifel an der Verlässlichkeit der USA bestehen. Die EU selbst konnte ihr Versprechen nicht einlösen, Kiew fristgerecht Artilleriegeschosse zu liefern. Um das zu ändern, geben die Mitgliedsstaaten mehr für Verteidigung aus und fahren ihre Rüstungsproduktion hoch. Die EU-Kommission könnte diese Anstrengungen flankieren, indem sie einen Kommissar für Verteidigung einsetzt. Das hat die amtierende Präsidentin am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt für den Fall, dass sie im Amt bleibt. Wenn es so kommt, wird sie sich außerdem weiter mit Ungarn auseinandersetzen müssen wegen Budapests Verstößen gegen Grundwerte der Gemeinschaft.

Und Ursula von der Leyen kann ihr ursprüngliches Vorhaben vorantreiben, das allein für mehrere Amtszeiten reicht: den Kampf gegen den Klimawandel. Ihre Kommission hat in Gesetzesform ausbuchstabiert, was die EU-Staaten 2015 in Paris vereinbart hatten - die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die meisten dieser Gesetze sind beschlossen. Aber die Umsetzung des "Green Deal" wird Regierungen und Bevölkerung noch viel abverlangen; darüber können Zugeständnisse im Wahlkampf nicht hinwegtäuschen. Falls von der Leyen im Amt bleibt kann sie durchsetzen, was sie angestoßen hat. Sie ist noch nicht fertig.

Jakob Mayr, ARD Brüssel, tagesschau, 19.02.2024 06:25 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Februar 2024 um 07:38 Uhr.