Wandbild mit einer Karikatur der Tory-Politiker Johnson, Truss und Sunak
Analyse

Das britische Chaos-Jahr Tory-Elend und kein Ende

Stand: 25.12.2022 11:52 Uhr

Drei Premiers, hausgemachte Rezession, harte politische Kehrtwenden - die Briten haben ein chaotisches Jahr hinter sich. Doch selbst unter dem relativ rationalen Premier Sunak stehen ihnen weiter schwere Zeiten bevor.

Als die Queen Anfang September auf ihrem schottischen Landsitz Liz Truss zur neuen Premierministerin ernannte, da mag sie gedacht haben, mit dem Ende von Boris Johnson sei nach acht chaotischen Monaten das Schlimmste nun erst einmal vorbei.

Nachdem sie selbst sich nur wenige Tage später ganz von dieser Welt verabschiedete, dürften eingefleischte Royalisten heute erleichtert sein, dass Elizabeth II den Rest dieses Jahres nicht mehr erleben musste. Denn es sollte alles noch schlimmer kommen - und das in einem atemberaubenden Tempo.

Auch Sunak hat keine Lösungen

Das spektakuläre Scheitern von Truss nur 31 Tage nach der Beerdigung der am längsten regierenden Monarchin der britischen Geschichte setzte eine Kaskade von kleinen und größeren Katastrophen in Gang. Deren eigentliche Ursachen reichen aber deutlich weiter zurück und haben ihre Wurzeln in einer durch hausgemachte Dauerfehden vollkommen erschöpften und richtungslosen Tory-Partei.

Mit Rishi Sunak, dem dritten Premierminister in nur einem Jahr, ist zwar jetzt ein deutlich rationalerer Mensch am Steuer der Regierung. Für die sich immer höher auftürmenden aktuellen wirtschaftspolitischen Probleme nach dem Brexit aber hat auch er keinerlei Lösungen.

Nur ein Beispiel: Seit Mitte Dezember erlebt die Insel die größte Streikwelle seit den 1980er-Jahren. Bahnmitarbeiter, Postboten und selbst Pflegekräfte und Beschäftigte der Rettungsdienste protestieren gegen eine Regierung, die das Land in eine Rezession getrieben hat, die im Wesentlichen hausgemacht ist.

Premier der Kehrtwenden

Sunak sitzt dabei zwischen allen Stühlen, seit er Ende Oktober in der Downing Street übernahm. Nach Truss‘ Ankündigung, Steuern vor allem für Besserverdienende in Höhe von 45 Milliarden Pfund zu kürzen, ohne das auch nur im Ansatz gegenfinanziert zu haben, stürzten die Märkte ab. Und so blieb Sunak nichts anderes übrig, als unmittelbar nach Amtsantritt eine 180-Grad-Wende anzukündigen.

Statt Steuergeschenken plant er nun Steuererhöhungen und ein zusätzliches Sparpaket von mehr als 55 Milliarden, das vor allem die öffentlichen Dienste treffen wird. Eine Politik, die eher der Sparpolitik eines David Cameron ähnelt und für die die Tories im Grunde kein Mandat haben.

Der letzte tatsächlich gewählte Premier der konservativen Tories, Boris Johnson, war 2019 mit dem Versprechen, vor allem den verarmten Norden finanziell aufzurüsten, an die Macht gekommen: Das erwähnt Sunak nun gar nicht mehr. Aber er hat auch keine Wahl - die Märkte sind seit dem Truss-Abenteuer derart verunsichert, dass sein Spielraum, die Zusagen seiner Vorgänger einzulösen, extrem begrenzt ist.

Kürzungen kaum mehr möglich

Mit diesem Kurs aber hat er gleich mehrere Probleme auf einmal. Zum einen macht seine fiskalpolitische Wende die Tory-Rechten nervös, die kategorisch gegen höhere Steuern zur Konsolidierung der Staatsfinanzen sind. Womit Sunaks ohnehin prekäre Position innerhalb der Partei weiter geschwächt wird.

Zum anderen gibt es auf der Insel nichts mehr, woran noch gekürzt werden kann. Die öffentlichen Dienste und das nationale Gesundheitssystem wurden seit Jahren derart in Grund und Boden gespart, dass alle weiteren finanziellen Einschnitte mitten in einer massiven Inflation sie im Kern gefährden. Die derzeitigen Streiks machen das mehr als deutlich.

Sunaks aktuellen Versuch, die Gewerkschaften in die Knie zu zwingen, dürfte er kaum durchhalten können, wenn der Arbeitskampf weiter eskaliert. Nach diversen abrupten Kursänderungen in den vergangenen Wochen steht damit eine weitere Kehrtwende bevor, was Sunak politisch kaum stärken dürfte.

Don't mention the Brexit

Und dann ist da auch noch der Brexit. Das unabhängige Institut für Steuerschätzungen (OBR) hat kürzlich ausgerechnet, dass der Austritt aus der EU die britische Wirtschaft bereits jetzt vier Prozent ihres Bruttosozialprodukts kostet, Tendenz steigend. Von einer Brexit-Dividende kann also keine Rede sein.

Kurz- und mittelfristig wäre damit ein konstruktives Zugehen auf die EU der schnellste Weg, die Schäden, die der Brexit der britischen Wirtschaft zugefügt hat, zumindest teilweise abzumildern. Auch hier aber findet sich der Premierminister weiter im Würgegriff seiner Partei, für die jede auch noch so geringe Annäherung an die EU eine Todsünde bleibt.

Tories am Boden

Hinzu kommt, dass die Umfragewerte der Konservativen sich seit Sunaks Amtsübernahme nicht wirklich erholt haben. Gäbe es jetzt Neuwahlen, würden die Tories in den meisten Teilen des Landes so gut wie ausgelöscht. Auch das schwächt Sunaks Möglichkeiten, die Partei zu disziplinieren.

Dreizehn Tory-Abgeordnete haben bereits angekündigt, ihr Mandat vor der nächsten Wahl niederzulegen, viele andere haben resigniert und sind bereits auf der Suche nach neuen Jobs. Im Parlament dürften die im Zweifel abstimmen, wie sie wollen - Fraktionszwang hin oder her.

Bis zu den nächsten Wahlen durchhalten könnte Sunak vor allem, weil niemand in seiner Partei schon jetzt von der Bildfläche gewischt werden will. Sollte die britische Permakrise im nächsten Jahr allerdings weiter eskalieren, ist auch das nicht auszuschließen.

Charles' Krönung seltener Grund zum Feiern

Gemessen an der verfahrenen Situation in der Downing Street ist der Machtwechsel im Palast, nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt, vergleichsweise sanft und erfolgreich verlaufen. Selbst die Netflix-Eskapaden von Harry und Meghan haben die generelle Zustimmung zum neuen König, Charles III, nicht wesentlich erschüttern können.

Seine Krönung im Mai dürfte einer der wenigen Momente des nächsten Jahres werden, in denen die Briten noch einmal Grund zum Feiern haben. Sie sollten ihn nutzen. Denn ansonsten stehen der Insel weiter schwere Zeiten bevor.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Nova am 21. Oktober 2022 um 08:05 Uhr.