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20 Jahre nach dem Diamantenraub Ein beinah brillanter Coup

Stand: 15.02.2023 06:31 Uhr

Vor genau 20 Jahren landeten Diebe in Antwerpens Diamantenviertel einen Jahrhundertcoup. Die belgische Edelsteinmetropole verlor an Ansehen. Doch heute steht die Branche vor neuen Herausforderungen.

Der 17. Februar 2003 fällt auf einen Montag. Um halb acht Uhr morgens klingelt das Telefon von Patrick Peys, damals Mitglied der Diamanten-Sondereinheit der Polizei Antwerpen. Er wird ins weltberühmte Diamantenviertel der belgischen Hafenstadt gerufen: Im Diamantenzentrum, einem Gebäude, wo Händler Büros anmieten können, haben Diebe am Wochenende den Tresor im Keller ausgeräumt.

Peys trifft mit einem Kollegen am Tatort ein: "Der Tresorraum war normalerweise mit einer 30 Zentimeter dicken Stahltür verschlossen, aber die stand weit offen. Auf dem Boden lag ein Haufen Müll. Aber dann merkst du: Das sind Dokumente, Diamanten, Juwelen, Goldbarren. Und dann erkennst du, dass du es mit etwas ganz Besonderem zu tun hast."

Für Peys wird es der Fall seines Lebens. Er und seine Kollegen finden heraus, dass die Täter den Magnetalarm mit einer selbstgebauten Vorrichtung ausgetrickst haben. Auf den Wärmesensor sprühten sie Silikonspray, vor den Bewegungsmelder stellten sie eine Styroporplatte - Gegenstände aus dem Baumarkt für ein paar Euro. Geschätzter Wert der Beute: mindestens hundert Millionen.  

Hinweise im Müll

Wenige Stunden später meldet sich August van Camp aus dem Städtchen Vilvoorde bei der Polizei. Der Lebensmittelhändler besitzt ein Waldstück an der Autobahn zwischen Antwerpen und Brüssel. In Müllsäcken im Unterholz hat van Camp verdächtige Dokumente gefunden.

Seine Witwe Annie Lauwers erinnert sich: "Er hat sie geöffnet wie immer, um eine Adresse zu finden und die Übeltäter anzuzeigen. Überall waren zerrissene Papiere. Dann hat er den Hinweis aufs Diamantenzentrum Antwerpen entdeckt und sofort die örtliche Polizei verständigt - ja, und dann ging es los."

Die Anschrift auf einer Rechnung und Mautpapiere für den Brenner im Abfall führen die Ermittler auf die Spur von Leonardo Notarbartolo. Der Mann aus Turin hat zwei Jahre lang ein Büro im Diamantenzentrum gemietet - um das Gebäude auszuspähen. Als der nichtsahnende Verdächtige aus Italien nach Antwerpen zurückkommt, um Beweise zu beseitigen, nimmt ihn die belgische Polizei fest.  

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Werkstätten wie diese gibt es viele in der Weltmetropole des Diamantenhandels, Antwerpen.

Lehren aus dem Schock

Notarbartolo und drei Mittäter werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Aber der Ansehensverlust für Antwerpen ist enorm. Die belgische Hafenstadt hat sich über fünf Jahrhunderte zur Weltmetropole des Diamantenhandels entwickelt. Händler, Schleifer, Juweliere, Diamantenbörsen konzentrieren sich auf drei kleine Straßen nahe des Hauptbahnhofs.

Sie lernen aus dem Schock, sagt Philipp Claes, der damals für den Lobbyverband Antwerp World Diamond Center (AWDC) arbeitet: "Man hat ein umfassendes Sicherheitssystem fürs Diamantenviertel aufgebaut, mit der besten Technologie. Vorher hat das eher jedes Gebäude für sich organisiert." Nach Angaben von AWDC-Sprecher Tom Neys investiert die Branche ständig in ihre Sicherheit: "In diesen Straßen leben und arbeiten 70 Kulturen und Nationalitäten zusammen. Wir leben ein bisschen in einer Blase. Drinnen fühlen sich alle sicher, die Gefahren kommen von außen."  

Künstliche Edelsteine und Globalisierung

Und von dort kommen Herausforderungen, die fürs Geschäft bedrohlicher sind als Räuber und gegen die neue Kameras und Sensoren nicht helfen. Neue Technologien machen es zum Beispiel möglich, Diamanten im Labor zu züchten. Sie haben fast die gleichen Eigenschaften wie natürliche Edelsteine, sind aber viel preiswerter und unbegrenzt herstellbar.

Noch werden laut AWDC nirgendwo so viele Edelsteine umgeschlagen wie in Antwerpen: 86 Prozent der rohen und 50 Prozent der geschliffenen Diamanten. Von der Branche hängen dem Verband zufolge über 30.000 Arbeitsplätze ab. Aber Mumbai und Dubai holen auf.

Der Diamantenhändler Ulrich Freiesleben von der Firma Diamondas hat den Wandel miterlebt: "Als wir Ende der 1980er-Jahre in Antwerpen eine eigene Firma eröffneten, deckten wir 95 Prozent unseres Bedarfs an geschliffenen Diamanten dort." Heute seien das nur noch fünf Prozent, so Freiesleben. Das Geschäft mit Rohdiamanten ist immer noch gut gelaufen. Aber jüngste Entwicklungen geben eher zur Sorge Anlass."

Globalisierung und der technische Fortschritt lassen sich nicht aufhalten - und in Sachen Sicherheit versucht die Branche zu beruhigen: Das Diamantenzentrum, Schauplatz des beinahe brillanten Coups von 2003, schreibt auf seiner Website: "Unsere oberste Priorität ist die Sicherheit unserer Kunden und ihrer Produkte."

Trotzdem schließen Fachleute nicht aus, dass sich ein solcher Raub wiederholen könnte: "Man kann installieren, was man will", sagt der Ex-Ermittler Peys, "es gibt immer Leute, die das umgehen können, weil sie es selbst eingerichtet haben oder wissen, wie es geht." Von der Beute des Jahrhundertraubs fehlt bis heute jede Spur.  

Jakob Mayr, Jakob Mayr, BR Brüssel, 14.02.2023 13:41 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 11. Februar 2023 um 18:40 Uhr.