Der Blick auf das Tor zum früheren deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau

Holocaust-Gedenkstätte Auschwitz kann jetzt auch digital besucht werden

Stand: 27.01.2024 05:54 Uhr

Interaktiv und online - so kann man seit Kurzem die Gedenkstätte Auschwitz besuchen. Die digitalen Rundgänge wurden aus der Not heraus ersonnen. Teilnehmen können auch Menschen, für die ein Besuch sonst nicht möglich wäre.

"Auschwitz in front of your eyes" - Auschwitz vor deinen Augen. So steht es auf dem Bildschirm. Dann erscheint eine Frau vor dem Eingangstor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei". "Guten Tag, ich bin Jadwiga und ich werde Sie hier über das Gelände führen", sagt sie.

Etwa zwei Millionen Menschen besuchen die Gedenkstätte Auschwitz pro Jahr. Jadwiga ist eine der Tourguides, die die Gruppen durch das frühere deutsche Konzentrationslager führt. Normalerweise analog - seit einigen Tagen aber auch digital. Die Besucherinnen und Besucher sitzen zu Hause vor dem Bildschirm, Jadwiga läuft mit einer Kamera durch die Gedenkstätte. Das ganze geschieht Live zu einem vorher gebuchten Termin.

 

Eine Idee aus Zeiten der Pandemie

"Die Idee entstand, wie viele andere technische Lösungen auch, während der Corona-Pandemie", sagt Wojciech Soczewica, der Generaldirektor der Stiftung Auschwitz-Birkenau. "Damals war die Gedenkstätte geschlossen, wie alle anderen Museen der Welt auch. Der Unterschied ist aber, dass Auschwitz-Birkenau ein Ort ist, den die Menschen oft aus emotionalen Gründen besuchen wollen. Und sie haben uns in Briefen, Mails und Anrufen aufgefordert, einen Weg zu finden, ihnen diesen Besuch zu ermöglichen."

Ein High-Tech-Unternehmen aus Israel sei damals auf die Stiftung zugegangen, erzählt Soczewica. Viele Mitarbeiter der Firma seien Nachkommen von Opfern des Holocaust und gemeinsam hätten sie die Online-Führung entwickelt.

Jadwiga bleibt kurz hinter dem Tor stehen und richtet die Kamera auf die frühere Lagerkirche. Hier habe morgens und abends das Lagerorchester gespielt, wenn die Gefangenen durch das Tor gingen - oft völlig entkräftet und die Leichen derer tragend, die nicht überlebten. "Die Häftlinge mussten im Rhythmus marschieren. Das waren am häufigsten Märsche. Dadurch war es für die SS-Leute einfacher, die Leute durchzuzählen."

Eine andere Erfahrung

Während Jadwiga erzählt und die Kamera auf die Lagerkirche hält, wird im Hintergrund leise Musik eingeblendet. Auf das Originalbild legen sich halbtransparent historische Fotos und Zeichnungen des Gebäudes und der geschundenen Menschen. "Das Ganze ist interaktiv, man kann Fragen stellen und auf das, was man sieht, reagieren. Die Guides sind in der Lage, zusätzliche Inhalte wie Filme, Audiomaterial, Fotos von Häftlingen und Überlebenden zu präsentieren, was eine ganz andere Erfahrung ermöglicht", sagt Soczewica.

Durch die neue Technik könnten digital sogar Räume betreten werden, die für Besuchergruppen sonst aus Sicherheits- oder Denkmalschutzgründen gesperrt sind. Vorab sei zudem in Studien überprüft worden, dass so auch wirklich nicht nur die Bilder, sondern auch die Emotionen und die die Grausamkeit des industriellen Mordes an über 1,1 Million Menschen durch die digitale Führung vermittelt würden.

Außerdem sei so ein Besuch auch für Menschen möglich, die sonst nicht oder nicht mehr die Möglichkeit dazu haben, sagt Soczewica. "Mir scheint, Auschwitz-Birkenau ist ein besonderer Ort mit einer besonderen Verantwortung. Ein Ort, der der Welt gehört - nicht nur Polen, nicht nur Europa. Sondern der ganzen Welt."

Es sei also ohnehin notwendig, immer neue Wege zu suchen, meint Soczewica. Auch wenn die beste Online-Führung einen echten Besuch in Auschwitz und Auschwitz-Birkenau natürlich nie ersetzen könne.

Martin Adam, ARD Warschau, tagesschau, 26.01.2024 21:34 Uhr