Europaflaggen wehen vor dem Europagebäude in Brüssel.
Hintergrund

Proteste nach Wahlen Warum ist Belarus wichtig für die EU?

Stand: 19.08.2020 05:44 Uhr

In Brüssel ist es normalerweise extrem schwierig, 27 Interessen unter einen Hut zu bekommen. Nicht so im Fall Belarus. Denn in der EU sorgt man sich, das Land könne in die Arme Moskaus getrieben werden.

Eigentlich hatten die Außenminister der EU den künftigen Kurs gegenüber Diktator Lukaschenko schon festgelegt. Mit empfindlichen Sanktionen soll Druck aufgebaut werden, da war man sich schnell einig,  Einreiseverbote und Kontosperrungen sollen alle Unterstützer treffen, die an Gewaltaktionen und Wahlfälschung beteiligt waren. Der Auswärtige Dienst der EU stellt die Liste schon zusammen. Dass die 27 Staats- und Regierungschefs sich jetzt persönlich bei einem Sondergipfel mit der Lage in Belarus beschäftigen, zeigt, wie viel für die Europäische Außenpolitik auf dem Spiel steht.

Belarus liegt vor der europäischen Haustür. Drei EU-Länder sind direkte Nachbarn: Polen, Litauen und Lettland - für sie liegt Belarus direkt auf der anderen Seite der Grenze. Die frühere Sowjetrepublik dürfe nicht in die Arme Moskaus getrieben werden, das ist das Credo dieser Länder, und in dieser Einschätzung werden sie von den EU-Partnern gestützt. Während es sonst schon bei kleineren internationalen Konflikten unmöglich ist, die nationalen Interessen der 27 unter einen Hut zu bringen, spricht man im Fall Belarus mit einer Stimme.

Zustimmung auch aus Ungarn

"Es gab große Einigkeit", berichtet eine Kommissionssprecherin über die Vorbereitung des Sondergipfels, "dass die belarussische Regierung in einen nationalen Dialog mit Opposition und Gesellschaft eintreten muss, um die Krise zu überwinden." Sogar Viktor Orban, der ungarische Regierungschef, der gern auch schon mal seine Sympathie für Diktator Lukaschenko ausspricht, scheint sich jetzt in die gemeinsame Linie einzureihen. 

Dabei steht die europäische Außenpolitik vor einer heiklen Aufgabe. In den nächsten Tagen und Wochen wird ein Balanceakt nötig sein, sagt Gustav Gressel, von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations:

Was für die Europäer wichtig ist: Erstens Russland klarzumachen, dass man selber die weißrussische Oppositionsbewegung nicht angezettelt hat. Dass man nicht der geheime Schirmherr ist. Auf der anderen Seite Russland klar warnen, dass eine militärische Intervention so wie in der Ukraine für Russland gravierende Konsequenzen haben wird.

Lukaschenko wahrte Distanz zu Moskau

Belarus gehört zu einigen früheren Sowjetrepubliken, mit denen die EU seit gut zehn Jahren besondere Beziehungen pflegt. Östliche Partnerschaft heißt das Format, vorsichtige Anbindung an die EU ist das Ziel. Lange wurde in Brüssel an Lukaschenko geschätzt, dass er sich im Ukraine-Konflikt neutral verhielt und auch in einigen anderen Fragen Distanz zu Moskau wahrte.

Im Gegenzug wurden Visaerleichterungen und Handelsabkommen in Aussicht gestellt. Belarus als Puffer zwischen Russland und der EU - aus Sicht von EU-Diplomaten sollte es dabei bleiben. Aber wie kann der Regimewechsel jetzt friedlich gelingen? Der Osteuropa-Experte Gustav Gressel warnt vor einer Geopolitisierung der Krise. Die Menschen in Belarus müssten jetzt das Recht auf Wandel bekommen, fordert er, ohne dass man ihnen ein Bekenntnis zum Westen abverlangt.

Was die EU konstruktiv machen kann: Zu allererst auf die Weißrussen zu hören…. Es geht darum, den Weißrussen zu ermöglichen, ihren Staat zu verbessern. Nicht unser eigenes Gewissen zu befriedigen.

"Drang nach Europa nicht aufschwatzen"

Gressel weist auch darauf hin, dass die Menschen in Belarus traditionell weniger Moskau-kritisch eingestellt sind als beispielsweise in der Ukraine. Lukaschenko regiere sein Land länger und auch härter als Putin, deshalb gebe es weniger Anzeichen für eine Absetzbewegung von Moskau:

In dem Sinn gibt es in der weißrussischen Bevölkerung und der Elite nicht diesen Drang nach Europa. Und diesen Drang nach Europa - wenn er nicht da ist, soll man ihn ihnen nicht aufschwatzen.

Die EU-Spitzen suchen nach einer neuen Strategie gegenüber Belarus und sie selbst haben die Erwartungen hoch gehängt. Von dem Sondergipfel solle eine Botschaft der Solidarität mit der Bevölkerung von Belarus ausgesehen. Die EU-Spitzen wissen, dass es dabei entscheidend auf die Haltung Putins ankommt.

Gleich drei EU-Chefs telefonierten deshalb gestern mit dem Kreml-Chef - nacheinander Bundeskanzlerin Merkel, Frankreichs Staatspräsident Macron und EU-Ratschef Michel. Die Reaktion, die der Kreml danach verbreiten ließ, dürfte einige Erwartungen gedämpft haben. Putin habe in den Telefonaten die Unannehmbarkeit jeglicher Versuche der Einmischung von außen betont, hieß es. Und ohne Namen zu nennen habe der Kreml-Chef Staaten kritisiert, die versuchten, Belarus zu destabilisieren.

Helga Schmidt, Helga Schmidt, WDR Brüssel, 19.08.2020 08:28 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 19. August 2020 um 08:09 Uhr.