Narges Mohammadi (Archivbild: undatiert)
interview

Friedensnobelpreisträgerin Mohammadi "Für meinen Einsatz habe ich alles aufgegeben"

Stand: 10.12.2023 14:31 Uhr

Der iranischen Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi wurde in Abwesenheit der Friedensnobelpreis verliehen. Im Interview aus dem Gefängnis sprach sie zuvor über "Weiße Folter" und ihren größten Schmerz. Sie befindet sich im Hungerstreik.

ARD: Sie können den Friedensnobelpreis nicht persönlich entgegennehmen. Was ist Ihre Botschaft zum Tag der Preisverleihung?

Narges Mohammadi: Ich fordere die Welt auf, die Verwirklichung der Menschenrechte im Iran, in Afghanistan und in allen Völkern der Region für einen dauerhaften Frieden zu unterstützen und Menschenrechte als absolut notwendig und als Voraussetzung für jegliche Verhandlungen, Verträge und Kontakte mit diesen Regierungen zu betrachten. Solange in den Ländern des Nahen Ostens keine Demokratie erreicht wird, wird ein dauerhafter Frieden nicht Wirklichkeit werden.

Autoritäre Regierungen sind die Quelle extremistischer und terroristischer Bewegungen, die weltweit Unsicherheit, Gewalt und Instabilität verbreiten. Demokratie wird in den Ländern des Nahen Ostens nicht erreicht werden, solange in diesen Ländern Menschenrechte und Zivilgesellschaft nicht geschützt werden.

Narges Mohammadi (Archivbild: undatiert)
Zur Person

Narges Mohammadi ist eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen im Iran. Sie wurde mehrfach inhaftiert, seit 2021 sitzt sie im Teheraner Evin-Gefängnis. Von dort sendet sie immer wieder Botschaften, so unterstützte sie die Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini. Im Oktober wurde sie mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

ARD: Der Friedensnobelpreis ehrt auch all jene iranischen Frauen, die seit dem Tod von Jina Mahsa Amini vor einem Jahr unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" gegen das Regime auf die Straße gegangen sind. Wo steht diese Bewegung jetzt?

Mohammadi: Die religiös-autoritäre Regierung hat die Befreiungsbewegung "Frau, Leben, Freiheit" mit aller Macht und mit allen Ressourcen unerbittlich unterdrückt; mit den gewalttätigsten Methoden. Die Regierung ist gezwungen, ihre Unterdrückung in alle gesellschaftlichen Milieus auszuweiten. Repression findet überall statt: In Schulen, sogar in Grundschulen, Universitäten, auf den Straßen, in Krankenhäusern, Konzerten, Stadien und Sporthallen, bei politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen.

Die Menschen konfrontieren die Regierung immer mehr, indem sie sich auf kreative und vielfältige Weise in sozialen Bewegungen organisieren. Dass die Regierung ihre Unterdrückung derart ausweitet, zeigt, wie stark die Proteste sind und wie breit sie mittlerweile in der Gesellschaft verankert sind. Auch wenn der Protest nicht mehr auf der Straße ist, sein Geist ist noch da.

"Endloser, schrecklicher Albtraum"

ARD: Sie haben in Isolationshaft die sogenannte Weiße Folter selbst vier Mal erleben müssen. Sie berichten, wie Sie und andere Insassen in zwei mal drei Meter kleine, permanent erleuchtete Zellen gesperrt werden, häufig ohne Tageslicht. Welche Wirkung hatte diese Einzelhaft auf Sie selbst?

Mohammadi: Als ich 2001 zum ersten Mal in Isolationshaft kam, war ich 29 Jahre alt. In der Zelle spürte ich nur Angst, Schrecken und Unsicherheit. Die Einzelzelle war für mich ein unbekanntes Phänomen, ich war völlig verwirrt und fassungslos. Die Verhöre bestanden nur aus Drohungen, es gab keine normalen Gespräche oder Worte. Die sich ausbreitende Stille war wie ein ständiger Schrei, der meine Gehirnzellen lahmlegte.

Auch meine zweite Isolationshaft im Jahr 2010, als meine Kinder, die Zwillinge Ali und Kiana, drei Jahre und fünf Monate alt waren, war quasi tödlich. Es war ein Ort der Qual. Das Leiden dieser Zeit ist unbeschreiblich. Ich weiß nicht, wie ich es ertragen habe.

Diese Zeit ist ein endloser, schrecklicher Albtraum in meinem Inneren. Während dieser Zeit fiel ich in der Zelle mehrmals in Ohnmacht. Mein Körper war übersät mit Prellungen und Wunden. Trotz der Angst, diese Isolationshaft wieder erleben zu müssen, bin ich entschlossen, den Kampf fortzusetzen.

"Anhaltende Auswirkungen auf Geist, Seele und Körper"

ARD: Sie haben andere Folteropfer interviewt, die der Film "Unbreakable" nun erstmals im deutschen Fernsehen zeigt. Mit diesen Interviews haben sie zeigen können, wie politische Häftlinge psychisch gebrochen und zu falschen Geständnissen gezwungen wurden, aufgrund derer ihnen die Verurteilung und teilweise auch die Hinrichtung droht. Was hat Sie während Ihrer Interviews am meisten bewegt?

Mohammadi: Was mich schockierte und was für mich schwer zu fassen war, waren die Auswirkungen und Folgen der Einzelhaft. Selbst die Menschen, deren Isolationshaft schon Jahrzehnte her war, sprachen von den immer noch anhaltenden Auswirkungen auf ihren Geist, ihre Seele und sogar ihren Körper. Es ist eine erschreckende Wirklichkeit. Und trotzdem erhalten Menschen, die Einzelhaft durchleben mussten, weiterhin keine Behandlung für diese Traumata. Das liegt daran, dass so wenig über diese Art der Folter bekannt ist.

Die Berichte von Menschen, die in Isolationshaft waren und Weißer Folter ausgesetzt waren, sind unerträglich. Ich musste die Gespräche mehrmals unterbrechen, weil Erzählungen wie jene über erzwungene Geständnisse so verstörend waren. Ich denke oft an diejenigen, die in Isolationshaft erzwungene Geständnisse abgelegt haben und hingerichtet wurden. Ihre Geschichten sind mit ihnen begraben.

Trennung von den Kindern "wie Sterben"

ARD: Sie waren jahrelang im Gefängnis und kämpfen weiterhin. Gibt es Momente, in denen Sie schwach sind?

Mohammadi: Während die Jahre meines Lebens hinter den Mauern des Evin-Gefängnisses vergingen, war es immer mein Ziel, gegen die Ungerechtigkeit aufzustehen und zu kämpfen. Dreimal nahmen mich Regimekräfte fest, trennten mich von meinen Kindern und brachten mich ins Gefängnis. Da zweifelte ich jedes Mal an meiner Überlebensfähigkeit. Das Wort "schwierig" ist definitiv nicht laut und deutlich genug.

Die Trennung von Kiana und Ali war fast wie Sterben. In den Momenten, in denen ich über das Fehlen einer Mutter während Alis und Kianas Kindheit und Jugend nachdenke, überkommt mich manchmal eine erdrückende Traurigkeit, die mich denken lässt, dass ich das nicht überlebe - auch wenn ich durch diese lange Trennung nicht besiegt werde.

Für meinen Einsatz für Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie habe ich als Frau, Mutter und Mensch alles aufgegeben und das bereue ich nicht. Aber das gilt nicht für meine Kinder Ali und Kiana. Ich bedaure, dass ich nicht bei ihnen sein kann.

Das Gespräch führte Katja Deiß, HR

Über das Leben von Narges Mohammadi sendet das Erste um 23:35 Uhr die Dokumentation "Unbreakable - Mein Freiheitskampf im Iran".

Christian Buttkereit, SWR, tagesschau, 09.12.2023 18:34 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. Dezember 2023 um 18:00 Uhr.