Das ACTA-Abkommen Kampf gegen Piraterie oder Zensur?

Stand: 12.02.2012 10:46 Uhr

Der Sturm im Netz gegen die US-Initiativen SOPA und PIPA zum Schutz des Urheberrechts war massiv: Wikipedia schaltete sich einen Tag lang ab, sogar Google trug einen Zensurbalken. Weitgehend unbemerkt wurde dagegen das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA unterzeichnet, wohl deswegen, weil die Verhandlungen im Geheimen stattfanden. Inzwischen aber - nach massiven Protesten der Netzgemeinde - hat auch die Politik das Problem erkannt. Mehrere Staaten, darunter Deutschland, setzten die Ratifizierung des Abkommens aus. tagesschau.de erklärt, was es mit ACTA auf sich hat.

Was genau ist ACTA?

Das Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement (ACTA), zu deutsch: "Handelsabkommen zur Abwehr von Fälschungen", ist ein internationales Abkommen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen. Beteiligt sind unter anderem die USA, die EU-Staaten und Japan. Im Kern geht es darum, Produktpiraterie - auch im Internet - zu bekämpfen. Im Klartext heißt das: Alle Dokumente im Netz sollen besser geschützt werden, also auch Filme und Musik. Daran hat vor allem die Unterhaltungsindustrie ein großes Interesse.

Was für Konsequenzen könnte ACTA haben?

Kritiker befürchten unter anderem, dass Internetprovider künftig dafür haftbar gemacht werden könnten, wenn ihre Kunden Verstöße gegen das Urheberrecht begehen - also etwa Filme oder Musik illegal downloaden. Für die Provider könnte dies bedeuten, dass sie künftig stärker überwachen müssen, was ihre Kunden im Internet machen. Im Zweifel könnten dann Internet-Nutzern ohne behördliche Anordnung der Zugang gesperrt werden. Weiterhin ist angedacht, bereits die Beihilfe für Urheberrechtsverletzungen strafbar zu machen. Für Portale wie etwa Youtube oder vimeo könnte das massive Konsequenzen haben. Sie wären - strenggenommen - gar nicht mehr denkbar.

Allerdings ist der Text des Abkommens ausgesprochen vage gehalten, eine explizite Verpflichtung zur Überwachung von Nutzern und/oder Sperrung von Internetzugängen gibt es nicht. Experten sind daher der Ansicht, dass die Umsetzung der Regelungen Auslegungssache sein dürfte.

Außerdem ist unklar, ob die Haftungsregelungen in der finalen Version von ACTA so überhaupt noch vorkommen. Einige Experten zumindest sind der Meinung, dass ACTA gar nicht über das bereits bestehende deutsche Urheberrecht hinausgeht.

Wie verliefen die Verhandlungen?

Die Gespräche über das Abkommen begannen bereits 2006 am Rande des EU-Gipfels in St. Petersburg, seit 2007 wird es auf Ministerebene verhandelt. 2010 endeten die Verhandlungen in Sydney. Die Gespräche fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, Organisationen wie die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) und die Welthandelsorganisation WTO wurden umgangen.

Offizielle Informationen wurden erst preisgegeben, nachdem Teile des Entwurfs "geleakt", also gegen den Willen der Verhandlungspartner veröffentlicht worden waren. Die endgültige Fassung von ACTA wurde im Mai 2011 vorgelegt, bereits am 30. September wurde das Dokument von einigen Staaten, darunter den USA und Japan, unterzeichnet. Mitte Januar segnete der EU-Rat die Vereinbarung während einer Sitzung des Fischereiausschusses ab, am 26. Januar unterschrieben 22 der 27 EU-Staaten. Deutschland war nicht dabei, will die Unterschrift aber schnell nachreichen.

Aus Protest gegen die Intransparenz des Verfahrens trat der Berichterstatter im federführenden Haushaltsausschuss des Europaparlaments, Kader Arif, von seinem Posten zurück. Er begründete seine Entscheidung mit "nie gesehenen Manövern der rechten Parteien im EU-Parlament". Diese hätten so das Abkommen schnell durchbringen wollen - "bevor die Öffentlichkeit alarmiert werden konnte". Er wolle bei dieser "Maskerade" nicht mitmachen.

Was soll mit ACTA erreicht werden?

Die unterzeichnenden Staaten wollen mit dem Abkommen ein Instrument schaffen, um wirksamer gegen Produktpiraterie vorgehen zu können. Laut Angaben des Europäischen Parlaments ist es nicht dazu gedacht, "Urheberrechte oder Markenrechte neu zu definieren". Es geht demnach nur darum, diese Rechte besser durchzusetzen. Das EU-Parlament hat dazu eine umfangreiche Einschätzung veröffentlicht.

In einer Erklärung aller an ACTA Beteiligten wird dies weiter präzisiert: "Bekämpft werden sollen insbesondere die ausufernde Nachahmung und Piraterie, die den rechtmäßigen Handel und eine nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft untergraben." Damit ist das Ziel von ACTA sehr weit gefasst. Es vermischt folglich eigentlich sehr unterschiedliche Probleme - etwa Urheberrechtsverletzungen auf der einen mit der illegalen Herstellung gepanschter und damit gefährlicher Medikamente auf der anderen Seite.

Was sind die Kritikpunkte?

Die Kritik richtet sich zum einen gegen das in den Augen vieler Gegner undemokratische Verfahren - schließlich wurde über ACTA weitgehend hinter verschlossenen Türen verhandelt.

Der Kern der Kritik liegt aber in der Annahme begründet, Provider würden mit ACTA gezwungen, ihre Nutzer zu überwachen. Am Ende läge damit die Regulierung der Meinungsfreiheit in den Händen von Unternehmen, die Interessen der Unterhaltungsindustrie würden fundamentalen Rechten wie Datenschutz, dem Schutz der Privatsphäre und Meinungsfreiheit übergeordnet und Internet-Nutzer würden für bereits geringfügige Vergehen kriminalisiert.

Befürworter von ACTA halten diese Befürchtungen für übertrieben. Das Bundesjustizministerium zum Beispiel sieht keine Veränderung der geltenden Rechtslage durch ACTA: "Es enthält nicht die Möglichkeit, zum Beispiel Internetsperren oder Zugangssperren einzuführen", so Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Auch bei der Auslegung des Patentschutzes gelte weiter der in der EU gültige Standard.

Auch einige ACTA-Kritiker halten die Vorwürfe von Anonymous & Co für überzogen und verweisen darauf, dass in dem Text keineswegs festgelegt sei, dass Provider zwingend ihre Nutzer überwachen müssen, wollen sie nicht selbst in Haftung genommen werden.

Weiterhin befürchten Gegner des Abkommens, dass mit ACTA eine Art "Goldstandard" gesetzt werden soll - vorbei an internationalen Organisationen. Eine kleine "Koalition der Willigen" könnte dann andere Staaten, vor allem arme Länder, zwingen, diesem Verfahren zuzustimmen. Eine adäquate Ausarbeitung von Vereinbarungen zum Schutz der Privatsphäre oder der Meinungsfreiheit hingegen fehle.

Unter anderem Ärzteorganisationen befürchten zudem, dass ACTA den Zugang zu günstigen Medikamenten und Generika in Entwicklungsländern beeinträchtigen könnte.

Wie ist das weitere Verfahren?

Damit ACTA in Kraft treten kann, muss es noch vom EU-Parlament und den nationalen Parlamenten abgesegnet werden. In Straßburg regt sich bereits Widerstand gegen das Abkommen, etwa bei den Grünen. Auch eine Ratifizierung in den nationalen Parlamenten ist offen, mehrere Staaten, darunter Deutschland, haben eine Ratifizierung des Abkommens ausgesetzt. Bürgerrechtsplattformen haben eine Online-Petiton erstellt, mit der Kritiker Einspruch gegen das Abkommen erheben können. Außerdem versuchen Aktivisten, auf die zuständigen EU-Parlamentarier Einfluss zu nehmen.