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Nicolas Schmit und Katarina Barley mit Saskia Esken und Lars Klingbeil.
Europawahl

Die Europäischen Sozialdemokraten Mehr als die zweite Geige?

Stand: 21.05.2024 16:57 Uhr

Als zweitstärkste Kraft lief im EU-Parlament bislang wenig ohne die Europäischen Sozialdemokraten. Doch nun befürchtet ihre Fraktion S&D wegen des Erstarkens der Rechten an Bedeutung zu verlieren.

Sie sind nach den Christdemokraten die zweite große Kraft im EU-Parlament, sehen sich als Bollwerk gegen rechts und als progressive Kraft, die große Herausforderungen wie den Klimawandel angeht, ohne dabei Arbeitsplätze und Industrie zu gefährden.

Im kommenden EU-Parlament droht jedoch eine Politik zu dominieren, die den Zielen der europäischen Sozialdemokraten entgegenläuft.

Anspruch auf Kommissionsspitze?

Viele Beobachter fragen sich, ob die Fraktion der Progressiven Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) mit der Entscheidung für den Luxemburger Nicolas Schmit als Spitzenkandidaten insgeheim schon den Anspruch auf das Amt des Kommissionspräsidenten aufgegeben hat.

Der Kommissar für Beschäftigung und Soziales gilt zwar als fleißig und hat mit der EU-Mindestlohnrichtlinie und dem Plattformarbeitsgesetz für den Schutz von Beschäftigten bei Unternehmen wie Uber klassisch sozialdemokratische Anliegen umgesetzt. Doch fehlt dem 70-Jährigen anders als Amtsinhaberin Ursula von der Leyen von den Christdemokraten die große Bühne. 

Werben mit Erfolgen

Trotzdem wehren sich die europäischen Sozialdemokraten dagegen, als zweite Geige im Wahlkampf wahrgenommen werden. Sie zählen ein ganze Reihe von Erfolgen aus dieser Legislaturperiode auf. Etwa, dass sie dafür gesorgt haben, die Umweltvorgaben des "Green Deal" mit den Interessen von Beschäftigten oder Geringverdienern zu versöhnen.

Auch haben sich die EU-Sozialdemokraten während der Corona-Krise vehement für das milliardenschwere Hilfspaket eingesetzt, mit dem die Europäische Union nach der Pandemie wieder auf die Beine gestellt wird. 

Abgrenzung nach rechts

In der kommenden Legislatur wollen die Sozialdemokraten am europäischen "Green Deal" festhalten, aber auch mehr in Industrie und Zukunftstechnologien investieren. 

Außerdem haben die sie eine Art Brandmauer-Deklaration unterschrieben, die die Zusammenarbeit mit rechten Kräften ausschließt, die sich Umfragen zufolge im Aufwind befinden.

Der Appell richtet sich auch an von der Leyen, die in einer Talkshow nicht kategorisch ausgeschlossen hatte, nach der Wahl etwa mit der polnischen rechtskonservativen PiS-Partei oder den Fratelli d’Italia von Italiens Premierministerin Giorgia Meloni zusammenzuarbeiten.

Parteien der Mitte zerstritten

Vieles jedoch spricht dafür, dass die Spitzenkandidatin der konservativen Fraktion EVP, von der Leyen, im Falle einer Wiederwahl weniger stark auf eine Mitte-Links-Allianz setzen wird als bisher.

Die Parteien, auf deren Unterstützung die Kommissionschefin in ihrer ersten Amtszeit gebaut hatte - Christ- und Sozialdemokraten, sowie Liberale und Grüne - hatten sich zuletzt wegen des "Green Deals" zerstritten.

Zudem fordert ihre eigene Partei, die EVP, einen Kurswechsel. Schon längst dominieren Forderungen nach einem Regulierungsstopp oder gar einer Rückabwicklung der Umweltvorgaben die Debatte.

Ebenso wird heiß diskutiert, wie Europa seine Verteidigung aufgrund der Bedrohung aus Russland mehr in die eigenen Hände nehmen kann. Die EU-Sozialdemokratie tritt dabei weniger energisch auf als Christdemokraten oder Liberale.

Große Fraktion mit unterschiedlichen Tönen

Die S&D-Fraktion im Europaparlament zählt 139 Abgeordnete aus 26 Ländern. Davon sind 16 deutsche SPD-Abgeordnete. Oft divergiert das Abstimmungsverhalten je nach Länderzugehörigkeit. Auf die Reform der Agrarpolitik etwa blicken die Mitglieder meist mit ihrer länderspezifischen Brille.

Auch gucken die deutschen SPD-Abgeordneten traditionell anders auf den Konflikt zwischen Israel und Palästinensern als ihre spanischen Kollegen, wo die sozialistisch geführte Regierung bald einen Palästinenserstaat anerkennen will.

Wie groß die S&D-Gruppe wird, hängt besonders davon ab, wie stark sozialdemokratische Parteien aus südeuropäischen Ländern diesmal abschneiden werden. Der Trend deutete bisher nach unten.

So ist die Fraktion im EU-Parlament seit 2014 kontinuierlich geschrumpft. Und auch im Europäischen Rat der 27 Mitgliedsländer sitzen derzeit nur vier sozialdemokratische Regierungschefs am Tisch - aus Malta, Spanien, Dänemark und Deutschland.