Plenarsaal des Bundestages

Bundesverfassungsgericht Ist die Wahlrechtsreform verfassungsgemäß?

Stand: 24.04.2024 19:42 Uhr

Zwei Tage lang hat das Verfassungsgericht über die Reform des Wahlrechts beraten. CSU, Linke und 4.000 Privatpersonen hatten sich an das oberste deutsche Gericht gewandt, weil sie die neuen Regeln für verfassungswidrig halten.

Es ist ein schlichter Satz im Grundgesetz, über den an zwei langen Tagen im Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts gestritten wurde. Artikel 38 gibt den Rahmen vor: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt." Aber zählen alle Wähler-Stimmen wirklich gleich, wenn 2025 nach neuen Regeln für den Bundestag gewählt wird?

Denn in Zukunft spielt die Direktwahl von einzelnen Personen in den Wahlkreisen nur noch eine untergeordnete Rolle. Mit der Erststimme können sich die Wähler zwar weiter für einen bestimmten Kandidaten entscheiden - aber eventuell geht das ins Leere. Denn alles hängt von den Zweitstimmen ab: Wenn nach dem Ergebnis der Zweitstimmen die Partei des Kandidaten an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, kommt er nicht in den Bundestag. 

 

Kritik von der CSU

Alexander Dobrindt kritisiert im Gericht das neue System massiv: "Dieses Wahlrecht der Ampel ist ein Wahlrecht der Täuschung des Wählers. Es suggeriert, dass er mit der Erststimme eine echte Wahl hätte und einen Kandidaten in den Deutschen Bundestag wählt", so der CSU-Politiker.

Das schaffe aber genau dieses Wahlrecht für die Zukunft ab. Das Wahlrecht sei genauso konzipiert, "dass eine Situation entstehen kann, dass beispielsweise in Bayern die CSU alle 47 Wahlkreise gewinnen kann, aber kein einziger Vertreter der CSU in den Deutschen Bundestag einzieht."

Grüne fordern "faire Regeln"

Till Steffen von den Grünen findet, dass es nicht anders geht, wenn der Bundestag kleiner werden soll. „Wir brauchen faire Regeln, die für alle gelten. Und es ist eben so, dass bestimmte Effekte für alle Parteien natürlich eintreten können. Es kann natürlich auch bei anderen Parteien dazu kommen, dass Wahlkreis-Erste nicht zum Zug kommen, das kann auch uns Grünen passieren. Das kann der SPD passieren, das kann allen Parteien passieren."

Das sieht SPD-Politiker Sebastian Hartmann genauso: "Die Rahmenbedingung privilegiert keine einzige Partei mehr. Das ist in der Vergangenheit bei der CSU so gewesen, weil es unausgeglichene Überhangmandate gab. Das ist jetzt sichergestellt, dass es keine Verzerrung mehr im Wahlergebnis gibt." Vielmehr sei nun ein Gleichheitsgrundsatz hergestellt worden.

Bedeutung der Direktwahl

Wie wichtig sind die direkt gewählten Abgeordneten für die Demokratie? Das wollten die Verfassungsrichter von Sachverständigen hören. Auf deren Schilderungen bezogen sich später viele Redner, denn die Politikwissenschafter hatten die Bedeutung der Direktwahl in ihrer Bedeutung eher herabgestuft.

Sie schilderten, die meisten Wählerinnen und Wähler würden das System mit Erst- und Zweitstimme nach wie vor nicht genau verstehen. Viele würden auch nicht den Namen des direkt gewählten Abgeordneten im Wahlkreis kennen. Und wie weit sich ein Parlamentarier im Bundestag für seine Region engagiert, dafür sei auch nicht entscheidend, ob er direkt gewählt wurde oder über die Liste seiner Partei ins Parlament gekommen ist.  

Daraufhin meldeten sich mehrere Abgeordnete zu Wort und schilderten ihren politischen Alltag. Aber das Bild blieb uneinheitlich. Ob der Bundestag überhaupt verkleinert werden muss und wie wichtig das Direktmandat ist, dazu gab es sich widersprechende Berichte.  

"Stimmen fallen unter den Tisch"

Im Gerichtssaal wurde auch die Frage diskutiert, ob die Fünf-Prozent-Hürde eigentlich demokratisch ist. Der Verein "Mehr Demokratie e.V." - der vor Gericht über 4.000 Privatpersonen vertritt - hält das neue Wahlrecht für verfassungswidrig. Denn im neuen Wahlrecht würde diese Hürde noch viel strenger gehandhabt.

Alle Wählerstimmen, die für kleine Parteien abgegeben werden, seien schlicht wertlos, wenn die gewählte Partei nicht die nötigen fünf Prozent der Stimmen bekommt. Bundesvorstandssprecher Uwe Beck bemängelte: "Es sind bei der letzten Bundestagswahl vier Millionen Stimmen unter den Tisch gefallen, sind nicht im Bundestag repräsentiert. Mit der jetzigen Wahlrechtsreform könnte sich die Zahl verdoppeln. Es könnte jede fünfte Stimme nicht im Bundestag vertreten sein."

Entscheidung steht aus

Es sind sehr grundsätzliche Fragen, über die das Verfassungsgericht zu entscheiden hat. Und sicher ist den Richterinnen und Richtern bewusst, dass sie bald das Urteil verkünden müssen, damit klar ist, wie die Bundestagswahl 2025 auszusehen hat.

Gigi Deppe, SWR, tagesschau, 24.04.2024 19:55 Uhr