Ein Journalist vor einer Kamera. Sein Mikrofon trägt die Aufschrift "Dom".

Pressefreiheit in der Ukraine "Angesichts der Lage gar nicht so schlecht"

Stand: 03.05.2024 06:49 Uhr

Im vergangenen Jahr bescheinigte die Organisation Reporter ohne Grenzen der Ukraine Fortschritte bei der Pressefreiheit. Doch wie ist es mittlerweile um die Medienlandschaft im Land bestellt?

Noch immer laufen die Nachrichten im ukrainischen Fernsehen auf sechs Kanälen gleichzeitig. Zappen bringt da nicht viel. Nach der russischen Großinvasion am 24. Februar 2022 schalteten sich die Sender zusammen - zum sogenannten Telemarathon.  

Die Idee für den "Telemarathon" kam von den Sendern selbst. In den chaotischen Tagen nach der Invasion beschlossen sie, gemeinsame Sache zu machen und den Menschen Orientierung zu bieten. Mit genügend Sendefläche für Experten, Politiker und Militärs.

Zwei Jahre später sendet der "Telemarathon" immer noch. Ein Grund dafür sind auch die angeschlagenen Finanzen vieler Sender: Ein Mantelprogramm spart schlicht Geld - und die beteiligten Sender erhalten außerdem Subventionen vom Staat.

"Ein ziemlich enges Meinungsspektrum"

Viele Ukrainer sehen das Programm allerdings zunehmend kritisch. Einer Studie des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie zufolge ist das Vertrauen in den "Telemarathon" stark zurückgegangen: Waren im Mai vor zwei Jahren noch mehr als zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass der "Telemarathon" eine glaubwürdige Quelle sei, war es im Februar dieses Jahres nur noch etwa ein Drittel.

Die Medienexpertin Oksana Romaniuk würde das Format gern beendet sehen. Romaniuk ist Direktorin der Nichtregierungsorganisation Institute for Mass Information, das sich für starke Medien in der Ukraine einsetzt.

"Es gibt dort ein ziemlich enges Meinungsspektrum. Das Programm verschlingt viel Staatsgeld. Und es hat versagt, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen oder ein bedeutendes Publikum zu erobern", meint Romaniuk. Der "Telemarathon" habe aber Folgen beim Mediennutzungsverhalten in der Ukraine hinterlassen, sagt sie.

Telegram als Informationsplattform

Die Menschen in der Ukraine wollen laufend über Geschehnisse und Gefahren Bescheid wissen - so schnell wie möglich und so nah an der Quelle wie möglich. Daher greifen sie stark auf die sozialen Netzwerke zurück, allen voran auf den Messenger-Dienst Telegram.

In Deutschland ist die Plattform umstritten, weil sie gern von Demokratiefeinden aller Art genutzt wird. In der Ukraine informieren sich die Menschen dort über Neuigkeiten von der Front, drohende Luftangriffe oder die Lage in den besetzten Gebieten.

Auch Roman Pohorily hat seinen Kanal: Er ist einer der Gründer von "Deep State Map", einer unabhängigen ukrainischen Onlineseite, die Militärbewegungen genau analysiert. Auf Telegram hat er mehr als 700.000 Abonnenten.

"Als wir das Projekt gestartet haben, hat es sich erstmal nur um eine Karte gehandelt: Wir dachten, das sei einfach, nützlich und interessant", erzählt Pohorily. Aber heute hingen von ihren Angaben Menschenleben ab. "Denn viele Karten werden von Evakuierungsdiensten genutzt, auch vom Militär und anderen."

Bei "Deep State Map" ist klar, wer dahinter steckt. Das ist bei Telegram aber nicht immer so. Viele Autoren bleiben anonym. Das ist in Kriegszeiten nachvollziehbar. Andererseits nutzen manche Autoren diese Kanäle, um Desinformation zu verbreiten. Daher wird Telegram auch in der Ukraine kritisch gesehen.

Vertrauen in Medien zurückgegangen

Die Organisation Reporter ohne Grenzen sieht die Ukraine aktuell auf Platz 61 im weltweiten Ranking der Pressefreiheit und spricht von Verbesserungen (18 Plätze höher als 2023). Dies liege vor allem an der geringeren Zahl von Medienschaffenden, die von der russischen Armee getötet wurden. 

Im vergangenen Jahr stellte sie der Ukraine ein mäßiges Zeugnis aus: Von 180 Ländern platzierte sie die Ukraine auf Platz 79. Im Jahr zuvor hatte sie noch knapp 30 Plätze weiter unten gelegen.

Insgesamt sei das Vertrauen in die Medien in der Ukraine zurückgegangen, sagt Medienexpertin Romaniuk - mit Ausnahme von regionalen und lokalen Medien. Denn dort hätten die Autorinnen und Autoren einen Namen und genössen Vertrauen, weil sie vor Ort sind und nachfragen.

Zudem gibt es die Investigativplattformen: "Ich würde sagen, dass wir die am meisten entwickelte Investigativjournalismus-Szene in Osteuropa haben", meint Romaniuk. "Da gibt es nichts Vergleichbares. Wir haben sehr gute Rechercheure, sehr starke unabhängige Medien und öffentlich-rechtliche Sender, die im ganzen Land zu sehen sind."

Konsequenzen für Behinderung von Journalisten

Eine bekannte Investigativ-Reporterin ist Maria Semlanska. Sie arbeitet für die Rechercheplattform Bihus.info. Semlanska ist aber auch ein Beispiel dafür, wie in der Ukraine immer noch Druck auf Journalisten ausgeübt wird.

Sie wurde mit ihren Kollegen heimlich gefilmt und abgehört - und die Videos davon ins Internet gestellt. Auf ihnen ist unter anderem zu sehen, wie einige aus ihrem Team bei einer privaten Feier Cannabis konsumieren. Eine Schmutzkampagne, um deren Ruf zu schaden. Dahinter steckte offenbar der ukrainische Geheimdienst SBU.

Semlanska sagt dazu: "Natürlich hat der Vorfall international für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Erstens war das wirklich ein großer Verstoß gegen die Menschenrechte. Zweitens war das ein Versuch, Druck auf  die Redaktion auszuüben." Trotzdem wiederholten sich solche Fälle immer wieder. "Ich kann nicht sagen, dass sich das ganze Land nach unserem Vorfall verändert hat. Das sind systemimmanente Dinge, die sich über Jahre ändern müssen." Nach Bekanntwerden der Affäre wurde ein hochrangiger SBU-Mitarbeiter entlassen, die Generalstaatsanwaltschaft begann mit Ermittlungen.

Journalisten sind nicht wehrlos

Auch das ist die Ukraine: Wer Journalisten verfolgt oder auch nur bei ihrer Arbeit behindert, muss mit Konsequenzen rechnen. So musste vor kurzem die Sprecherin der Verteidigungskräfte im Süden des Landes gehen. Journalisten hatten sich beschwert, dass sie sie in ihrer Arbeit behindere.

Tatsächlich sei es oft mühsam, an Informationen zu kommen, sagt Semlanska. Bei Anfragen an Behörden beriefen sich diese häufig darauf, dass sie aus Kriegsgründen keine Informationen teilen könnten. Manche Kolleginnen und Kollegen übten außerdem Autozensur: Aus Sorge, mit ihren Recherchen dem Feind in die Hände zu spielen.

Angesichts der Lage stehe die Ukraine in Sachen Pressefreiheit aber gar nicht so schlecht da: "Wir sind eine junge Demokratie. Wir haben nicht sehr viele unabhängige Medien. Der Machtapparat lernt allmählich, mit der unabhängigen Presse umzugehen." Die Lage werde besser. Und immerhin sei es ja nur psychischer Druck - und keine physische Gewalt.